Insofern erscheint es fragwürdig, wenn Schwulen- und Lesbenverbände in Zeiten eines erstarkenden Autoritarismus die ziemlich vielfältige antifaschistische Bewegung auf Gewaltbereitschaft und Radikalismus reduzieren. Genau das wollen der LSVD BW und der CSD Stuttgart, ihrer ursprünglichen Formulierungen ungeachtet, aber auch gar nicht getan haben. Die gemeinsame Pressemitteilung vom 21. Juni ist nach heftiger interner und externer Kritik überarbeitet worden. Inzwischen sind beide nicht mehr "entsetzt", sondern finden die Wahl des Logos "bedenklich". Statt einem "direkten Zusammenhang mit gewaltbereiten Gruppierungen" ist nun die Rede davon, dass man an keiner Veranstaltung teilnehmen könne, die "durch ihr Motiv einen Zusammenhang mit Linksradikalismus oder gewaltbereiten Gruppierungen herstellt". Der CSD Stuttgart – der vor der Bundestagswahl 2021 AfD-Kandidaten zu Podiumsdiskussionen eingeladen hat – nimmt weiterhin nicht in Freiburg teil, aber tut das nun solidarisch. Detlef Raasch aus dem Vorstand erklärt: "Wir begrüßen ausdrücklich, dass der CSD in Freiburg uns alle daran erinnert, dass Faschismus immer noch alltäglich ist – auch wenn wir als Stuttgart PRIDE eine andere Form der Außenkommunikation gewählt haben. Trotz unserer Absage zur Teilnahme in diesem Jahr stehen wir als Organisation für und von Menschen aus der LGBTQIA*-Community natürlich solidarisch an der Seite des CSD Freiburg und allen anderen, die sich für unsere Rechte einsetzen. Denn: Wir kämpfen alle für das gleiche Ziel, nur auf unterschiedlichen Wegen."
Doch manche Ziele sind gleicher. Während Diskriminierungsfreiheit als gemeinsamer Nenner von den allermeisten unterschrieben werden dürfte, gab es innerhalb der Community seit jeher Auseinandersetzungen. Angefangen als gemeinsamer Protest verschiedener marginalisierter Gruppen in den USA spaltete sich von der Gay Liberation Front, die sich unmittelbar nach dem Stonewall-Aufstand in der Christopher Street formiert hatte, nur wenige Monate später die Gay Activists Alliance ab: ein Zusammenschluss, der sich als politisch neutral verstand, im bestehenden System arbeiten wollte und in dem zum Beispiel Transpersonen nicht willkommen waren. Auf diesem Weg versprachen sich die Beteiligten bessere Chancen für ein Antidiskriminierungsgesetz.
Banal gesagt: Gerade weil die Sexualität einer Person keine Rückschlüsse auf ihr politisches Denken zulässt, ist es ziemlicher Unsinn, von grundsätzlich gemeinsamen Zielen zu reden. "Einem großen Teil der Homosexuellenbewegung geht es seit jeher weniger um die Überwindung der Zweigeschlechtlichkeit und die daran gebundenen Begehrensstrukturen als um Sichtbarkeit, Anerkennung und Integration", schrieb der Autor Julian Volz 2021 in der Zeitschrift "Konkret". Zu dieser Zeit protestierte Markus Söder mit Regenbogenmaske gegen die UEFA, und die europäische Grenzschutzagentur Frontex färbte sich anlässlich des Pride Month Juni das Logo bunt, um "die Kernwerte der EU – Gleichheit und Nichtdiskriminierung" zu fördern. Kernwerte, die aktuell mit kindgerechten Haftbedingungen und einer beim Ertrinken behilflichen Küstenwache gegen Ausländer:innen verteidigt werden.
Rekordzahlen trotz Boykott-Erklärungen
"Anlässlich der vielen Unzulänglichkeiten der bestehenden Verhältnisse", schreibt Politikwissenschaftler Tadzio Müller, sei es keine überzeugende Strategie, sich nur um die Verteidigung sozialer Errungenschaften zu bemühen. Er ruft dazu auf, den Einsatz um die Anliegen von Queers mit denen anderer Auseinandersetzungen zusammenzuführen: "Den Kampf gegen die Rechten mit dem für den Feminismus, für die Klimagerechtigkeit und für offene Grenzen."
Da erscheint es ungewollt komisch, dass der Freiburger FDP-Stadtrat Sascha Fiek mit Blick auf die Demonstration am Wochenende und die Antifa-Kontroverse kritisierte, das "bunte Fest der Vielfalt" werde "politisch gekapert". Seine Partei blieb der durchaus politisch gemeinten Veranstaltung ebenso fern wie der Landesverband der Lesben und Schwulen in der Union (LSU), für den "die queere Community und ihre Themen in die Mitte der Gesellschaft" gehören (während die CDU-Landtagsfraktion aktuell gegen geschlechtergerechte Sprache zu Feld zieht). Wer sich mit Linksextremisten gemein mache, rücke "die Anliegen von Homo-, Bi- und Transsexuellen ins Abseits", schrieb der LSU – und hielt es offenbar für eine gute Idee, für die Bebilderung ein Wahlplakat von 1976 aus der Mottenkiste zu kramen. Darauf zu sehen ist eine Blondine mit Boxhandschuhen, die fordert: "Komm' aus deiner linken Ecke!" Es stammt aus einer Zeit, in der der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß Sätze sagte wie: "Lieber ein kalter Krieger als ein warmer Bruder."
Trotz diverser Boykott-Erklärungen wurde der CSD in Freiburg am Wochenende regelrecht überrannt. Die Veranstalter:innen zählten anfangs 17.000 teilnehmende Personen, zum Höhepunkt sogar 23.000, und nach Angaben der Polizei kamen noch einmal 30.000 bis 40.000 Zuschauer:innen hinzu. Damit sei die Veranstaltung nach Behördenangaben "auf jeden Fall wieder auf Vor-Corona-Niveau", und wahrscheinlich sei der diesjährige CSD der größte, den es in Freiburg bislang gegeben habe. Trotz oder wegen der Kontroverse im Vorfeld. Das Orgateam hatte die Logowahl bis zuletzt gegen alle Kritik verteidigt und betonte dabei klipp und klar: "Antifaschismus gehört für uns als Queers zu unserer grundsoliden Überzeugung."
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Jörg Rupp
am 30.06.2023