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Ermittlungen gegen Udo Stein, AfD

"Bräunlicher Wolf"

Ermittlungen gegen Udo Stein, AfD: "Bräunlicher Wolf"
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Gegenwärtig ist Udo Stein, Vize-Vorsitzender der baden-württembergischen AfD-Fraktion, stationär in psychiatrischer Behandlung. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn. Den Landtag beschäftigt nun die Frage, welche Schlüsse aus dem Waffenfund in seinem Büro zu ziehen sind.

Der 2016 neu gewählte baden-württembergische Landtag war noch keine vier Wochen alt, da fing sich der neue Abgeordnete aus dem Wahlkreis Schwäbisch Hall seine erste scharfe Rüge ein. "Das ist ja hier schlimmer als in der Nazi-Zeit", schrie Udo Stein in der Debatte über den Antisemitismus seines damaligen Fraktionskollegen Wolfgang Gedeon durch den Plenarsaal. Um, wie er später sagt, dessen Vorverurteilung zu kritisieren. Am Ende entschuldigte sich der damals 33-Jährige. Doch auch weiterhin kam es immer wieder zu unsäglichen Grenzverletzungen, die eindeutig Vorsatz und Strategie erkennen ließen: Zu weit gehen, dann Teile des Gesagten zurücknehmen, um sich im Netz für die ursprünglichen O-Töne feiern lassen. Friedrich Bullinger (FDP) aus demselben Wahlkreis fand nach der Gedeon-Debatte deutliche Worte: Der ungeheuerliche und ahistorische NS-Zeit-Vergleich sei kein Ausrutscher von Stein gewesen, vielmehr habe da "ein bräunlicher Wolf im Schafspelz im Plenum seine Maske fallen lassen".

Als Unterzeichner der "Erfurter Resolution" hat sich der Einzelhandelskaufmann und Vater von drei Kindern früh als Anhänger von Björn Höckes völkischem Flügel geoutet. Dennoch folgte er dem als gemäßigt geltenden Fraktionschef Jörg Meuthen in die vorübergehend wegen Gedeon abgespaltene "Alternative für Baden-Württemberg" (ABW). Gleich nach seinem Einzug in den Landtag sorgt er ein zweites Mal für Aufregung mit einer Reise in den russisch besetzen Donbas und dubiosen Kontakten zu prorussischen Separatisten. Auch später steht Stein häufig an der Seite der Radikalen, allen voran an der von Parteifreundin Christina Baum, der Zahnärztin aus Lauda-Königshofen, die es mittlerweile vom Landtag in den Bundestag geschafft hat und immer wieder mit Äußerungen vom ganz rechten Narrensaum auffällt. Beide verbreiten anhaltend den Unsinn von der "Frühsexualisierung" baden-württembergischer Kinder. Stein titulierte die Landtagsvizepräsidentin von der CDU einmal in einer Retourkutsche auf einen Ordnungsruf als "Hetzerin". Ein andermal gab er von sich, er wolle "abschieben statt durchfüttern".

Waffen im Abgeordnetenbüro

Seit Langem ist Stein ein übereifriger Zwischenrufer, dagegen blitzt er bei Redner:innen anderer Fraktionen regelmäßig mit den Ansinnen ab, eine Frage stellen zu dürfen. Wird die doch mal zugelassen, wie bei einem seiner vorerst letzten Auftritte im Parlament von Justizministerin Marion Gentges (CDU), hetzt er gleich wieder und behauptet, "dass jeder Mensch ohne Kontrolle, ob er Deutsch kann, ob er arbeiten kann, ob er für uns in der Wirtschaft irgendetwas beibringt, zu uns kommen kann". Natürlich postet er die Passage und trägt so dazu bei, dass Fake News über staatliche Zuwendungen an Asylsuchende und sogar ukrainische Geflüchtete verbreitet werden.

Vor einer guten Woche nun machte sein Team "in eigener Sache" bekannt, dass "unser Chef leider erkrankt ist". Es werde allerdings weiter auf Facebook informiert, gekennzeichnet mit "Büro Stein".

Viele Verdachtsmomente

Nach wochenlangen Gerüchten bestätigt nun die Staatsanwaltschaft Stuttgart, dass sie Ermittlungen gegen "einen Abgeordneten" eingeleitet habe wegen des Anfangsverdachts des Hausfriedensbruchs, der Amtsanmaßung, des Verstoßes gegen das Waffengesetz, des tätlichen Angriffs sowie Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, der versuchten Körperverletzung, des Missbrauchs von Notrufen, der falschen Verdächtigung und des Vortäuschens einer Straftat. Die Landtagspräsidentin sei informiert. Im Klartext: Die Latte der Verdachtsmomente ist lang, konkret bestätigt ist wenig, dementiert aber auch nicht. Durchsuchungen haben nicht nur im Stuttgarter Büro, sondern auch im Privathaus stattgefunden, auch eine Jagdhütte wird genannt. Eine zweistellige Zahl von Waffen soll gefunden worden sein, darunter sogar solche, die in der Bundesrepublik nicht zugelassen sind. Und nach Informationen der "Heilbronner Stimme" kam es in einem Bordell zu einem Heiratsantrag und Handgreiflichkeiten, im Zuge derer sich der 40-Jährige als Polizeibeamter ausgegeben hat.  (red)

Erste Gerüchte über ein mögliches staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren gegen Udo Stein gibt es seit gut zwei Wochen. Der passionierte Jäger soll in einer Shisha-Bar Personen mit einer Softair-Pistole bedroht haben. Über Umwege wanderte ein Rucksack in sein Abgeordnetenbüro in der Urbanstraße, in dem sich Munition sowie ein Jagdmesser fanden. "Von einer behaupteten Aufhebung der Immunität oder einem entsprechenden Antrag ist uns nichts bekannt", heißt es in einer Reaktion der AfD-Fraktionsführung aus der vergangenen Woche. Und weiter: "Es dürfte aber in der bundesdeutschen Geschichte einmalig sein, sofern der Landtag in Baden-Württemberg dem zustimmen würde – denn damit würde ein erkrankter Abgeordneter offen wegen seiner Erkrankung diskriminiert." Zugleich wird beklagt, "wie sich einzelne Medien weit von einer seriösen, sachlichen und vor allem moralisch-ethischen Berichterstattung entfernt haben". Es mache fassungslos, dass die Erkrankung eines Menschen im Inhalt und in den Worten medial ausgenutzt wird.

Angesichts von Waffen im Landtag sah sich allerdings Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) zu einer "Überprüfung der Sicherheitslage" veranlasst. Uneingeschränkt erhalten bleibt der Zugang über zwei Pforten zum Haus des Landtags für Abgeordnete, Beschäftigte und Besucher:innen nach Anmeldung. Künftig allerdings wird Abgeordneten verwehrt, ungehindert in die Etagen und in die Büroräume anderer Fraktionen einzudringen. Für Parlamentarier:innen der "Alternative für Deutschland" bedeutet dies, dass das Haus der Abgeordneten neben dem Haus der Geschichte, in dem Grüne und CDU untergebracht sind, genauso tabu ist wie das Königin-Olga-Gebäude am Schlossplatz, in dem SPD und FDP sitzen. Denn, sagt Aras ohne Erwähnung der Vorgänge in der AfD-Fraktion, "die Sicherheit aller Menschen, die sich in Gebäuden des Landtags aufhalten oder arbeiten, hat für mich oberste Priorität".

Immunität schützt Parlamente, nicht Abgeordnete

Inzwischen ist die Landtagspräsidentin von der Staatsanwaltschaft über das Vorgehen gegen Stein informiert. Die erste Durchsuchung seines Büros – samt Messer- und Munitionsfund – gehorchte den Regeln der Gefahrenabwehr. Das weitere Vorgehen jedoch ruft jetzt auch Abgeordnete anderer Fraktionen auf den Plan, die sich vom Innen- und vom Justizministerium sowie von der Landtagsverwaltung selber schlecht informiert fühlen. "Was wir wissen, wissen wir aus den Medien", sagt ein Parlamentarier. Das könne nicht sein, grundsätzlich nicht, und erst recht nicht, wenn Fragen der Immunität tangiert seien. Unstrittig ist von den Behörden nicht der Landtag, sondern die Heimstätte der AfD-Fraktion in der Ulrichstrase betreten worden, um die Vokabel Hausdurchsuchung zu vermeiden. Für die gilt aber, was für alle Landtagsgebäude gilt – und selbst die Frage der Gefahrenabwehr ist Auslegungssache. "Immunität bedeutet, dass Abgeordnete nicht ohne Genehmigung des Landtags strafrechtlich verfolgt oder festgenommen werden dürfen", heißt es in einem Erklärungstext des Landtags für Interessierte. Und weiter: "Dies gilt aber zum Beispiel nicht, wenn der Abgeordnete auf frischer Tat ertappt oder am darauffolgenden Tag festgenommen wird." Das Recht auf Immunität diene dazu, "die Funktionsfähigkeit des Parlaments zu gewährleisten".

Ganz unabhängig von solchen und anderen zu klärenden rechtlichen Fragen stimmt eines ganz bestimmt: Den Maßstab, den die AfD jetzt an Stein angelegt wissen will, billigt sie anderen Menschen nicht zu. "Auf das Schärfste" werden "Entgleisungen" verurteilt, und dass Persönlichkeitsrechte nicht berücksichtig seien. Dabei sind alle Info- und Kommunikationskanäle der Rechtspopulisten:innen und -extremist:innen voll genau davon, wenn es um Andersdenkende oder Ausländer:innen geht. Würde seine Fraktion eben diese Maßstäbe für ihren Kollegen anlegen, hätte Udo Stein jedenfalls niemals die Chance auf einen fairen Umgang mit einem psychisch kranken Menschen.


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13 Kommentare verfügbar

  • Erich Weichsel
    am 27.08.2023
    Antworten
    Endlich hat es mal so ein AfDler geschafft zu erreichen, was eigentlich bei allen AfD Aktiven der Fall ist, er ist verrückt. Man kann die geistige Störung in der Regel bei allen Leuten in der AfD diagnostizieren, den sie haben völlig abwegigen Vorstellungen von der deutschen Gesellschaft, Ihre…
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