Mit einer 80-Prozent-Ablehnung jedweder Änderung im geltenden Wahlrecht rechneten TeilnehmerInnen vor Sitzungsbeginn. Nach fast vier Stunden sind es sogar 100 – bei Abwesenheit mancher Hasenfüße, die sich nicht in die eine und nicht in die andere Richtung outen wollen. Jedenfalls findet eine förmliche Abstimmung statt, deren Ergebnis den Parteifreund Strobl und zugleich die Grünen brüskiert. Im Koalitionsvertrag ist die Reform fest vereinbart. Er habe auch "die Balkonszenen und Jamaika" im Blick gehabt, bemüht Reinhart zur Rechtfertigung kühne Parallelen. Viel einfacher "wäre es gewesen, noch ein paar Runden zu drehen und die ganze Sache dann platzen zu lassen". Als "redlicher" preist er "die Klarheit, für die jetzt gesorgt ist".
Keine Speerspitze gesellschaftlichen Fortschritts
Der Fraktionschef gelte als "als extrem eitel und ehrgeizig, soll Ambitionen hegen, die CDU bei der nächsten Wahl als Spitzenkandidat anzuführen", wird die "Süddeutsche" tags darauf schreiben. Er sei "ein politischer Routinier, mit Gespür für die Befindlichkeit der ländlichen, konservativen Abgeordneten". Eine Speerspitze gesellschaftlichen Fortschritts wird der 61-Jährige jedenfalls nicht mehr. Ein Manko, das er aber verschmerzen kann in einer Partei, die an Geschlechterquotierung noch immer und – vor allem in der Jungen Union – schon wieder wenig interessiert ist und in der Quoten regelmäßig in das schlechte Licht eines Zwangsinstruments gerückt werden.
Reinhart, ein bewährter und seit jeher um Profilierung und Außendarstellung bemühter Strippenzieher, hat dieser Tage eine neue Tradition begründet und zum ersten Neujahrsempfang seiner CDU-Fraktion geladen. Unter den Gästen, kaum beachtet von den mehreren hundert Männern, eine der bekannteren Politikerinnen der Nachkriegs-Union. Renate Hellwig war Stuttgarter Landtagsabgeordnete, Heiner Geißlers Staatssekretärin in Rheinland-Pfalz, Bundestagsabgeordnete im Wahlkreis Neckar-Zaber, profilierte Kohl-Kritikerin, aktiv und widerborstig. "In meiner Partei kann man sich mit keiner Politik so unbeliebt machen wie mit Frauenpolitik", wusste Hellwig schon Anfang der Neunziger Jahre, als sich die Diskussion um mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Union wieder einmal zuspitzte. Wenig bis nichts, analysiert sie zweieinhalb Jahrzehnte danach, habe sich daran geändert.
Im Südwesten, nach dem Absturz in die Opposition 2011, wollten zudem andere, Strobl und seine damalige Generalsekretärin Katrin Schütz, inzwischen ebenfalls Reformgegnerin, die Modernisierungsflanke mit der Aktion "Frauen im Fokus" besetzen. "Programmatisch" wollte der Landesvorsitzende in die Partei hineinwirken. Wie gründlich das gescheitert ist, lässt sich an der baden-württembergischen Landesgruppe im neuen Bundestag ablesen. Von 38 Abgeordneten sind 35 männlich, weil selbst eine quotierte Liste nichts ausrichten kann gegen ein rückwärtsgewandtes gesellschaftliches Bewusstsein an der Basis. Wenn also in den Wahlkreisen vor Ort fast keine Frauen aufgestellt und alle Mandate dort direkt gewonnen werden.
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