Veronika Kienzle, 59, setzt sich seit vielen Jahren für das Leonhardsviertel ein. Lebenswert soll der Stuttgarter Rotlichtbezirk werden, Handel, Wohnen und Gewerbe will die langjährige grüne Bezirksvorsteherin in Einklang bringen. "Wenn die eine oder andere Terminwohnung darunter ist", sagt sie, "hat kein Mensch etwas dagegen." Ein Miteinander von Jakobschule, sozialen Einrichtungen, Gaststätten und BewohnerInnen soll es dort geben, den illegalen Bordellen allerdings wird es an den Kragen gehen. So will es der städtische Bebauungsplan Vergnügungsstätten, so wollte es seit Jahren der Bezirksbeirat Mitte. Doch seit die Vorlage dort beraten wird, fliegen die Fetzen. Befeuert von einem Mann, der viel zu verlieren hat.
Frau Kienzle, die Debatte um das Leonhardsviertel ist uralt, neu ist allerdings eine Zahl: 657.000 Euro. Soviel Umsatz macht John Heer im Jahr, laut eigener Aussage in der Lokalpresse, mit zwölf Zimmern à 150 Euro Tagesmiete in seinem Bordell. Da verdient einer offenbar richtig Geld.
Diese Summe hab' auch ich mit einigem Erstaunen in der "Stuttgarter Zeitung" gelesen. Ich fand diese Äußerung insofern interessant, weil ausgerechnet dieser Eigentümer so tut, als läge ihm das Wohl des Viertels am Herzen. Er geißelt ja gerne eine drohende "Gentrifizierung" des Quartiers – ein in diesem Zusammenhang und an diesem Ort absurd verdrehter Kampfbegriff. Teurer als das, was heute mit der gewerblichen Zimmervermietung verdient wird, kann's ja gar nicht werden. Übrigens: Wir sprechen hier von einem nicht genehmigten Bordell, das jetzt endlich geschlossen werden sollte.
Auch im Bezirksbeirat schien man sich bisher einig zu sein, Bordelle und Vergnügungsstätten aus dem Quartier zu vertreiben. Schließlich sind die sieben Bordelle dort illegal. Rechtlich ist alles sauber begründet in einer 20-seitigen Vorlage. Und der Beirat sagt plötzlich stopp, wir müssen nochmal überlegen?
Ich bin guter Hoffnung, dass der Bezirksbeirat und die gemeinderätlichen Gremien das, was sie seit 2004 begonnen haben, weiterführen und auf der vereinbarten Linie bleiben. Wir wollen Wohnraum im Viertel schaffen, auch für Studierende oder Geflüchtete. Wir wollen Wohnraum zurückerobern, der derzeit mit illegalen Nutzungen belegt ist. Darum geht es.
Die vereinbarte Linie muss der Mitte-Rat ja wohl erst wieder finden. Waren Sie überrascht von dem Meinungsumschwung?
Ich hätte gedacht, dass der Bezirksbeirat der Stadtverwaltung einen größeren Vertrauensvorschuss einräumt als einem Prozessgegner. Die Betreiber der Bordelle im Quartier haben ja ausdrücklich nur eine gewerbliche Zimmervermietung angemeldet. Ich hätte nicht gedacht, dass ein Bordellbetreiber, der gerichtlich bereits in die Schranken gewiesen wurde, so viel Gehör findet. Vielleicht habe ich das unterschätzt.
Wieder bestimmen Männer die Debatte. Bordellbesitzer und Gaststättenbetreiber. Wo bleiben die Stimmen der Frauen?
Der Immobilienmarkt wird von Männern dominiert. Und darum geht es doch: Um Geld, das in diesem Bereich verdient werden kann. Herr Heer hat seine Zahlen ja offen gelegt. Mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel Geld rauszuholen, ist aber sicher nicht im Sinne des Gemeinwohls und der Stadt. Unser Ansinnen muss sein, dass wir auch in diesem Quartier, wie auch an jedem Ort in der Stadt, Normalität haben. Das heißt für mich, dass dort auch Familienleben, Kindheit und Nachbarschaft möglich sein muss.
11 Kommentare verfügbar
Shitney Spears
am 13.01.2022