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Uffbasse!

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Zwölf Zimmer, die pro Tag jeweils 150 Euro kosten, spülen im Jahr stolze 650.000 Euro in die Kasse. Das sind beinahe 55.000 Euro im Monat, und auch abzüglich sicher ordentlicher Versteuerung und diverser Kosten bleibt da dennoch ein monetäres Träumchen. Besitzer eines illegalen Puffs müsste man halt sein, seufz. Die junge Frau aus Osteuropa, die da während der Kontext-Recherche im Stuttgarter Rotlichtviertel mit einer Großpackung Zewas unterm Arm eines der Häuser betritt, das offiziell nicht zu Prostitutionszwecken genutzt werden darf, könnte davon wunderbar eine kleine Damenboutique eröffnen. Und müsste nicht mehr jeden Tag mehrfach ihren Körper verkaufen. Moment mal, nicht genehmigter Puff? Ist doch illegal, wird halt einfach dichtgemacht und geräumt, geht bei besetztem Leerstand ja auch, und zwar ratzfatz. Moment, sagen nun einige, dann wird ja dieses total schön romantisch-verruchte Viertel mit seinen total hübschen roten Lichtern gentrifiziert, wenn da plötzlich normale Leute wohnen. Und das "älteste Gewerbe der Welt", das arme, braucht doch auch einen Raum zum existieren, damit es nicht heult. Bullshit. Die Wahrheit ist, dass reiche Männer mit sehr armen und sehr abhängigen Frauen in sehr alten Häusern mitten in Stuttgart eine sehr große Menge Geld verdienen. Macht diese Bordelle dicht, fordert die grüne Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle. Und zwar jetzt.

Jedenfalls können wir nur raten: uffbasse, wenn der Verstand mal wieder von schrägen Argumentationen strapaziert wird. Uffbasse, so sagt die Kurpfälzerin und der Hesse, wenn Vorsicht angesagt ist, und "Uffbasse!" heißt auch die Initiative in Mannheim, die seit Neuestem per Menschenkette das Rathaus umzingelt, um es vor gewaltbereiten Corona-MontagsspaziergängerInnen zu schützen. In vielen Städten blühen momentan Gegenspaziergänge auf, das ist so erfreulich wie höchste Eisenbahn. Man fragt sich sowieso, warum sich die breite Masse von einer so kleinen Menge "ganz normaler Leute aus der Mitte des Volkes" so lange derart auf der Nase rumtanzen lässt.

Immerhin geschehen in diesen inflationsgebeutelten Zeiten, in denen AKWs fröhlich vor sich hin rosten dürfen und Stromanbieter wie die "Schwarzwald Energy" ihre Kunden dank windiger Verträge einfach vor die Tür setzen können, doch noch Zeichen und Wunder: Die Karlsruher haben nun die neueste und kürzeste U-Bahn Deutschlands. Die Geschichte der sogenannten Kombilösung liest sich wie eine Miniatur der Stuttgart-21-Historie. Der Karlsruher Tunnel wurde nur dreimal so teuer wie zum entscheidenden Bürgerentscheid veranschlagt. Dieter Thomann, Tunnelbefürworter und ehemaliger Personalchef der Karlsruher Verkehrsbetriebe, hat dafür auch eine prima Erklärung: "Bei Großprojekten wird zu Beginn natürlich immer niedrig gerechnet, um die Bevölkerung nicht zu verschrecken." Und wir lernen: uffbasse! Das nächste Mal.


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