Anders sah dies bisher immer die Aufsichtsbehörde. Das baden-württembergische Umweltministerium genehmigte trotz jeweils neuer Schadensfunde, den Reaktor nach Jahresrevisionen wieder hochzufahren. So auch im vergangenen Juli. "Wir würden dies niemals genehmigen, sollte durch den Reaktorbetrieb eine Gefahr für Gesundheit und Leben ausgehen", versichert ein Sprecher der grünen Umweltministerin Thekla Walker gegenüber Kontext. Ähnlich geäußert hatte sich auch Walkers Vorgänger Franz Untersteller, der bis Frühjahr 2021 das Amt innehatte.
Der Antrag der Bürgerinitiativen wurde abgelehnt
Darauf vertrauen die Atomkraftkritiker nicht. Bereits Anfang 2020 beantragten sie, die Betriebserlaubnis von Neckarwestheim II so lange auszusetzen, bis die Korrosionsschäden in den Anlagen und ihre Ursache vollständig beseitigt sind. Dies würde aber Reparaturen im dreistelligen Millionenbereich sowie einen monatelangen Stillstand der Anlage bedeuten – was sich angesichts des baldigen Laufzeitendes für die EnBW niemals rechnen würde. Genau aus diesem Grund lehnte das Umweltministerium den Antrag der Bürgerinitiativen Ende 2020 ab, vermutet BBMN-Sprecher Wagner.
Klein beigeben wollten die Atomkraftgegner nicht, auch wenn der Ablehnungsbescheid mit einer Gebühr in Höhe von 3.000 Euro belegt war. Im Frühjahr 2021 reichten zwei Anwohner mit Unterstützung der atomkritischen Vereine Klage beim Verwaltungsgerichtshof Mannheim gegen die Entscheidung ein. "Uns war natürlich klar, dass sich solch ein Prozess über viele Jahre bis über den Abschalttermin Ende 2022 ziehen kann", sagt Wagner. Deshalb verlangte Rechtsbeistand Ulrich Wollenteit im vergangenen Juni per Eilantrag die Beschleunigung des Verfahrens. Der Jurist, der unter anderem 2015 den Entzug der Betriebsgenehmigung für das Atommüll-Zwischenlager Brunsbüttel erstritt, arbeitet für die renommierte Hamburger Kanzlei Günther. Zu ihr gehört auch die Rechtsanwältin Roda Verheyen, die im vergangenen Jahr erfolgreich Verfassungsbeschwerde vor dem Karlsruher Bundesverfassungsgericht gegen das Klimaschutzgesetz der damaligen Großen Regierungskoalition aus Union und SPD geführt hatte.
In Mannheim herrscht dennoch bis heute Weile statt Eile. Zunächst zog das Gericht den Kraftwerksbetreiber EnBW als Beigeladene im Verfahren hinzu. Danach betrieben Konzern und Umweltministerium aus Sicht der Kläger ein abgesprochenes Spiel. Zahlreiche Anträge, Schriftwechsel und Fristverlängerungen sollen das Verfahren ausbremsen, klagt Wagner. "Inzwischen haben wir das Gefühl, dass die Gegenseite sogar Akteneinsicht in eigene Akten beantragt, nur um den Prozess in die Länge zu ziehen", kritisiert er. Völlig unklar sei, wann es zu Verhandlung und Urteilsspruch komme. "Während vor dem Verwaltungsgerichtshof andere Eilverfahren, etwa von Impfgegnern, innerhalb von Tagen entschieden werden, sind es in unserem Fall schon rund sieben Monate, und ein Ende ist noch nicht in Sicht."
Dabei zerrinnt den Atomkraftgegnern neben der Zeit auch das Geld: Rund 60.000 Euro haben Gerichts-, Anwalts- und Gutachtenkosten bislang verschlungen. "Dagegen ist jeder Tag, den das Gericht nicht entscheidet, ein wertvoller Tag für den Kraftwerksbetreiber EnBW", verweist Wagner darauf, dass der Strompreis zuletzt an der Strombörse auf neue Höchststände schoss. "Das Instrument des Eilantrags wird ad absurdum geführt."
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