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Filmkritik "Don't Look Up"

Weltuntergang? Erst mal abwarten!

Filmkritik "Don't Look Up": Weltuntergang? Erst mal abwarten!
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Die Netflix-Satire "Don't Look Up" hat eine Kontroverse zwischen Filmkritik und Wissenschaft ausgelöst. Die einen verweisen auf ästhetische Schwächen, die anderen sehen ihre Position und Perspektive exakt wiedergegeben: die von frustrierten, verzweifelten Klima-ForscherInnen.

"Die Welt braucht diesen Film. Und noch möglichst viele andere, die in die gleiche Kerbe hauen, möglichst brutal, möglichst einfach zu verstehen, mit möglichst viel Star-Power." Christian Stöcker, "Spiegel"-Kolumnist

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Noch sechs Monate und vierzehn Tage bis zum Einschlag. "Sie haben zwanzig Minuten!", erklärt die schwer beschäftigte US-Präsidentin Janie Orlean (Meryl Streep) dem Astronomie-Professor Randall Mindy (Leonardo DiCaprio) und der Doktorandin Kate Dibiasky (Jennifer Lawrence), die in ihrem Teleskop den Gesteinsbrocken in Mount-Everest-Größe entdeckt und dessen Flugbahn berechnet haben. Jetzt sind sie endlich im Weißen Haus, jetzt wollen sie die Welt warnen und zu Gegenmaßnahmen auffordern. Aber dieser Komet kommt der Präsidentin recht ungelegen. Eine Affäre poppt in den Medien hoch, Wahlen stehen an, und überhaupt: Ist es sicher, dass uns dieser so genannte "Planet-Killer" trifft?

"Die Wahrscheinlichkeit eines Einschlags ist 100 Prozent", bestätigt Professor Mindy. Er solle doch bitte nicht 100 Prozent sagen, erwidert die pikierte Präsidentin. Einer ihrer Ratgeber schlägt vor, lieber von einem "potenziell bedeutenden Ereignis" zu sprechen. Kate Dibiasky weist das zurück: "Es wird aber nicht 'potenziell' passieren. Es wird passieren." Professor Mindy ergänzt: mit "99,78 prozentiger" Sicherheit. Da ist die Präsidentin erleichtert: "Okay, es sind also nicht 100 Prozent." Und die praktizierende Egozentrikerin verrät den beiden frustrierten WissenschaftlerInnen, wie sie, die Präsidentin, nun vorzugehen gedenke: "Ruhe bewahren und sondieren!"

Der Film ist unlustig und unrelaxed? Unwichtig!

Adam McKays Satire "Don't Look Up" wurde von vielen KritikerInnen verhalten aufgenommen, manchmal auch schwer verrissen. Zum Beispiel von Peter Bradshaw im "Guardian", der dem Film unter anderem vorwarf, unlustig und "unrelaxed" zu sein. In seinem Schlusssatz allerdings seufzt Bradshaw: "Doch wenn der Film hilft, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen, sind solche kritischen Einwände unwichtig." Ebenfalls im "Guardian" schreibt Peter Kalmus: "Der Film 'Don't Look Up' ist Satire. Aber als Klimawissenschaftler gesprochen, der alles dafür tut, um die Menschen aufzuwecken und die Zerstörung des Planeten zu verhindern, ist dies auch der exakteste Film über die schreckenerregende Nicht-Reaktion auf den Klima-Zusammenbruch, den ich kenne."

Moment mal! Geht es nicht um einen bevorstehenden Kometen-Einschlag!? Richtig, ja. Aber so weit die Positionen von Filmkritik und Wissenschaft auch auseinandergehen mögen: In diesem Fall sind sich alle einig, dass der Komet als Metapher für die bevorstehende Klima-Katastrophe zu verstehen ist, sozusagen als zeitraffender, kondensierter und sichtbarer Stellvertreter für einen sich als jahrelange Entwicklung vollziehenden Untergang. Ein Film mit Botschaft also. Samuel Goldwyn, Studioboss im alten Hollywood, soll mal jenen Filmemachern, die im Kino Botschaften verkünden wollten, empfohlen haben, diese lieber per Post zu senden. "Don't Look Up" jedoch will, pathetisch gesagt, tatsächlich warnen und so die Welt retten! Oder, etwas weniger pathetisch: Er will seinen Teil zur Weltrettung beitragen.

Und so sind in diesem Weltuntergangsszenario Stars versammelt, die sich schon immer als Teil des progressiven Hollywood verstanden haben. Stars, die hier nicht unbedingt als SchauspielerInnen gefordert sind, sondern als ihre eigenen Ikonen auftreten, sich gleichzeitig aber demütig der guten Sache unterordnen und ihr glamouröses Image unterlaufen: Leonardo DiCaprio als nerdiger Professor mit Brille, Bart, Holzfällerhemd und Panikattacken; Jennifer Lawrence mit Rothaarperücke, Nasenring und Norwegerpulli; Meryl Streep mit roter Brille und einer Frisur, die man nur als unmöglich bezeichnen kann; Jonah Hill als ihr deppert-arroganter Sohn und Stabschef; Cate Blanchett als aufgedreht fröhliche Talk-Show-Moderatorin Brie ("Wir müssen den schlechten Nachrichten Leichtigkeit verleihen!"); Timothée Chalamet als hippiesker Kiffer; Ariana Grande als eitel-narzisstische Popsängerin; und noch viele mehr …

Marketingphantasien von Bezos bis Zuckerberg

Unbedingt zu erwähnen ist noch Mark Rylance als Business-Mogul Peter Isherwell – immer nur lächelnd, immer vergnügt! –, in dem Figuren wie Steve Jobs, Jeff Bezos, Mark Zuckerberg oder Elon Musk – also die ganze egozentrische Tech-Unternehmer-Bagage – eingeschmolzen sind. Isherwell begreift die Katastrophe als Chance für seine Firma BASH und überzeugt die Präsidentin, den Kometen nicht zu zerstören, sondern ihn auszubeuten – seltene Erden! –, ihn also in kleinere Stücke zu zerschießen und diese zu bergen. Spoiler: Der Plan geht schief.

Professor Mindy, der in den Medien eher versehentlich zum sexy Wissenschaftler (Hallo, Professor Drosten!) hochgehypt und von Brie ins Bett gelockt wurde, fällt in ihrer Talkshow nun doch aus der Light-Entertainment-Rolle und schreit: "Wir hätten diesen Kometen aus der Bahn bringen müssen, als wir die Chance dazu hatten, aber wir haben es nicht getan! Und jetzt feuern sie tatsächlich Wissenschaftler wie mich, wenn sie offen sprechen." Seiner Assistentin Kate wurde vorher bei einer FBI-Verhaftung ein Sack über den Kopf gezogen. Das sei auf seinen besonderen Wunsch passiert, brüstet sich der Präsidentensohn, das mache sonst nur der CIA. Diese Komödie zielt manchmal in die Richtung von Stanley Kubricks ausgefeilter Doomsday-Story "Dr. Seltsam", trifft dagegen häufig den robusten Humor eines Mel Brooks, und wird grundiert von TV-Satire-Shows wie "Saturday Night Live".

In dieser auch visuell mit Anspielungen und Zitaten gespickten Geschichte, in welcher das Weltende von Karriere- und Geschäftsinteressen überlagert und unter einem Wust aus TV- und Social-Media-Klatsch und -Tratsch vergraben wird, wechseln also die Tonlagen. Und auch die ProtagonistInnen bieten – von der Karikatur bis zu Beinahe-Charakteren – eine große Bandbreite. Was "Don't Look Up" von anderen Katastrophen-Filmen unterscheidet, in denen ForscherInnen warnen dürfen und danach von Action-Helden an den Rand gedrängt werden: Er erzählt bis zum Ende vornehmlich aus der Perspektive der WissenschaftlerInnen Mindy und Dibiasky, die dem titelgebenden Motto der Regierung einen Schaut-doch-in-den-Himmel-Aufschrei entgegensetzen. Vergeblich. "Wir hatten alles", wird Professor Mindy melancholisch feststellen, als es in jedem Sinne ernst wird und nur noch darum geht, in Würde zu sterben.

Inzwischen haben sich Klima-ForscherInnen auf der ganzen Welt mit ihren KollegInnen in "Don't Look Up" identifiziert und – siehe oben – hinter diesen Film gestellt. Und sie kritisieren nun ihrerseits in harschen Worten die FilmjournalistInnen. Diese "höhnischen Mainstream-Kritiker" seien sich offensichtlich nicht dessen bewusst, schreibt etwa David Vetter in "Forbes", dass sie den KometenleugnerInnen des Films ähnelten. Sie würden diese gelungene Zusammenfassung der unzähligen durch die Klimakrise offengelegten Idiotien nicht (an)erkennen, "von der Wissenschaftsleugnung bis zum Greenwashing; von politischer Feigheit bis zur Hoffnung auf schnelle technologische Reparaturen". Diese kulturellen Gatekeeper, so Vetter, betätigten sich also "in genau jener Art von Realitäts-Analphabetismus, die im Film so schonungslos verspottet wird."


Adam McKays "Don't Look Up" ist bei Netflix und hierzulande auch noch in einigen Kinos zu sehen – ob und wo in Ihrer Nähe, sehen Sie hier. Anmerkung: Der Streaming-Dienst zeigt den Film inzwischen in rund hundert Ländern.


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