
Ein Anflug im Morgenlicht, ein Anflug übers Meer, ein Anflug auf eine Stadt, die mal als die schönste galt, dann im Dreck versank und ihren Ruf verlor und jetzt, in den ersten Bildern von Paolo Sorrentinos Film "Die Hand Gottes", wiederaufersteht als glamouröser und buchstäblich wundervoller Ort, an dem die Heiligengeschichten blühen. Ein luxuriöser Oldtimer gleitet an der Uferpromenade entlang, aus dem Fond heraus holt ein Herr mit überirdisch blauen Augen die üppige Patrizia (Luisa Ranieri) aus der Warteschlange an der Bushaltestelle, stellt sich ihr vor als San Gennaro, der, wie alle in Neapel (und andere nach einer Recherche bei Google) wissen, der Schutzheilige der Stadt ist, nimmt die Frau in einen geheimnisvoll-dekadenten Palazzo mit, führt sie dem kleinen Mönch vor, der sie fruchtbar machen soll, und greift ihr selber an den Hintern.
"Du Hure!", schreit zu Hause ihr Mann und schlägt sie. Anders als Patrizias lockenköpfiger Neffe Fabietto Schisa (Filippo Scotti) glaubt er ihre Geschichte nicht und wird seine Frau, die an ihrer Kinderlosigkeit verzweifelt, später in die Psychiatrie einweisen lassen. Und der aus Neapel stammende Regisseur Paolo Sorrentino, der den pubertierenden Fabietto als sein Alter Ego durch den Film führt? Glaubt er Patrizias Geschichte? Ist ihr also wirklich ein Heiliger erschienen oder war das nur ein geiler alter Sack? Schon in seiner ewigkeitsdurchflüsterten Rom-Hommage "La Grande Bellezza", in der etwa eine in der Gnade Gottes stehende (oder scheinende?) Nonne auftaucht, will sich Paolo Sorrentino bei solchen Fragen nicht festlegen. Gerade noch führt er die Kirche vor – etwa bei einer pompösen Botox-Messe –, da lässt er schon wieder ambivalente "Wunder"-Szenen folgen.
Auch in Sorrentinos Vatikan-Serie "The young Pope", in der Jude Law als jungem und attraktivem US-Bischof die Rolle des Oberhirten aller Gläubigen zufällt, mischen sich Satire, Blasphemie und Wunder – und bleiben auf merkwürdige Weise in der Balance. Mag sein, dass der Regisseur nicht an Religion und Kirche glaubt, auch wenn er deren Räume und Riten glamourös in Szene setzt. Aber von Legenden und Volks- und Aberglauben zeigt er sich jederzeit fasziniert. Manchmal löst Sorrentino dann das, was nicht ganz von dieser Welt scheint, wieder auf und zieht es hinab ins Lächerliche, oft aber bleibt ein Rest von Geheimnis, etwas zwischen Himmel und Erde Schwebendes, das sich der Schulweisheit entzieht.
Wundersame Typen im wuselnden Napoli
Und warum sind in "Die Hand Gottes" plötzlich Passanten an einer Straßenkreuzung stehengeblieben, schockstill und die Münder offen vor Staunen? Ist etwa schon wieder ein Wunder geschehen? Tatsächlich: Ein Heilsbringer ist erschienen, auf den die ganze Stadt gewartet hat. Denn dieser kleine Kerl, der da am Steuer einer Limousine sitzt, ist oder könnte jedenfalls sein: Diego Maradona. Ein sehr profanes Wunder, sollte man meinen. Oder ist der im Vorspann als bester aller Zeiten bezeichnete Fußballspieler, der Mitte der 1980er-Jahre tatsächlich zum SSC Neapel kam und diesem die Meisterschaft bescherte, doch ein bisschen mehr als bloß ein Fußballspieler? Zunächst aber biegt Sorrentino in seiner Geschichte nun ab ins Irdische und reiht seine Erinnerungen an die Jugend in die Tradition der überdrehten italienischen Familienkomödie ein.
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