Aber Stojans Geschichte, in der auch seine Suizid-Versuche kläglich scheitern, wird immer schlimmer. So schlimm, dass sie aus dem vom bunt-fröhlichen Filmplakat versprochenen Komödien-Genre fast aus- und ins Düster-Schwarze hinabsteigt. Stojan wird vom armen Naiven zum mörderisch-gewalttätigen Clubbesitzer, der die eigene Tochter auf den Strich schicken will. Das sprengt dann jede Balkan-Folklore auf, das ist jetzt richtig böse. Und es ist nur der erste Teil eines Triptychons, das auf seine Weise die letzten drei Jahrzehnte des auseinandergerissenen und zerfallenen jugoslawischen Raums widerspiegelt.
Orgiastisches Happening in der schicken Gesellschaft
Ein Zeitsprung führt zunächst in den zweiten Teil und ins Jahr 2001. Der schizophrene Gojko (Bojan Navojec) hat gemordet – vielleicht auf Befehl von ganz oben? Denn es passiert hier wieder ein Wunder in Gestalt eines göttlichen Handys voller Eingebungen, und im Gefängnis, dessen Direktor unser schon bekannter Stojan geworden ist, passiert ein weiteres, welches zur Frage führt, ob man Babys exekutieren darf. Was ist das bloß für ein Film?
Eine Satire, klar. Auch ein düsteres Märchen und eine Allegorie. Und alles beschäftigt sich, wie gesagt, mit den Hinterlassenschaften und Zerfallsprodukten des früheren Jugoslawiens und mit dem Neuen, das in diesen Raum eingedrungen ist und sich ausgebreitet hat. Als groteske Mischung aus Tradition, Religion, Kommunismus und Kapitalismus zeigt Srdjan Dragojevic diese Welt, die er, anders als noch vor zehn Jahren in seiner Erfolgskomödie "Parada", nicht mehr zusammenführen kann und will. Damals führte der Regisseur, übrigens ausgebildeter Psychotherapeut, vier Veteranen der Balkan-Kriege zusammen – einen Serben, einen Kroaten, einen Bosnier und einen Albaner – und ließ die Ex-Feinde gemeinsam eine Belgrader Schwulen-Parade vor homophoben Aggressoren beschützen.
Der dritte Teil von "Der Schein trügt" führt dann ins Jahr 2026 und in die Kunst. Gojko ist inzwischen nämlich Maler geworden und die Tochter Stojans betreibt eine Galerie. So könnte also die Kunst das versöhnen, was Tradition, Religion, Kommunismus und Kapitalismus auseinandergebracht haben? Aber weil Stojan selbst zum Staatspräsidenten aufgestiegen ist, hat man doch seine Zweifel. Gojkos Bilder werden in dieser Geschichte übrigens geerdet, die auf die Leinwand gepinselten Nahrungsmittel lösen – welch Wunder! – solche Hungergefühle aus, dass der Betrachter schon Kaubewegungen macht. Und noch ein schön satirisches Kunstbild inszeniert der Film: nämlich eine schicke Gesellschaft, die sich in der Galerie sattgesehen hat und plötzlich orgienhaft Farben kotzt, so dass der Boden aussieht wie ein Drip-Painting von Jackson Pollock.
Srdjan Dragojevics "Der Schein trügt" läuft an diesem Donnerstag, 16. Dezember in deutschen Kinos an. Und außerdem, so als sei der Film letztlich doch ein Appell an eine gemeinsame Vergangenheit, in den Kinos von Serbien, Mazedonien, Kroatien, Slowenien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina.
Welche Spielstätte den Dreiteiler in Ihrer Nähe zeigt, sehen Sie hier.
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