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Filmkritik "Narren"

Komm, wir gehen narren!

Filmkritik "Narren": Komm, wir gehen narren!
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Zum 11.11. bringt das Regie-Duo Böller und Brot "Narren" in die Kinos. Die Doku zeigt das Geschehen rund um die Rottweiler Fasnet, bei der Frauen keinesfalls ins Rössle und in demselben durchs Schwarze Tor dürfen.

Jetzt ist Schluss mit lustig! Jetzt geht es nämlich hinein in die Rottweiler Fasnet zum Narrensprung! Und wer sich dabei nicht an die Regeln hält und das alles nicht sehr, sehr ernst nimmt, der hat hier nichts zu suchen. Irgendeiner aber hat jetzt doch was gemacht mit einem Glöcklein, so wird es berichtet in einer Nach- und Vorbesprechung, etwas "luschtig" Gemeintes, und das geht einfach nicht! "Mir sind nicht Dick und Doof", empört sich einer, "mir sind keine Witzfiguren, wir repräsentieren die Narrenzunft Rottweil." In den tollen Tagen des rheinischen Karnevals mag hie und da noch ein bisschen Anarchisches ausbrechen, in der schwäbisch-alemannischen Fasnet aber – und vor allem in Rottweil – hat alles seine Ordnung. Und ein bisschen düster wirkt das noch dazu. Die Fasnet, so erklärt am Ende dieses Films ein Volkskundler, sei auch "ein Spiel mit der Endlichkeit menschlicher Existenz."

Mehr als drei Jahre lang haben das Regie-Duo Sigrun Köhler und Wiltrud Baier, auch bekannt als Böller und Brot, an ihrem Dokumentarfilm "Narren" gedreht. Eigentlich war er schon 2020 fertig und sollte punktgenau zum Beginn der Fasnet in die Kinos kommen, aber dann kam Corona und der Termin musste um ein Jahr verschoben werden. Auf ein Neues also beziehungsweise: Auf das Alte! Weil die Rottweiler Narren im Neuen ja eine Gefahr sehen. "Haltet hoch die Tradition, weichet niemals ab davon ...", singen hier schon die Vorschulkinder. Und in der Vorstandssitzung, die unter der besorgten Frage "Quo vadis Fasnet?" steht, ist man (was hier im Wesentlichen immer noch Mann bedeutet) einerseits stolz auf die anwachsende Zahl der Narren ("4.200 bis 4.400!"), anderseits wird deren laxe Lizenzierung beklagt.

Der eine hatte Glück, der andere Durchfall

Nein, da kann nicht einfach jeder kommen und als Treiber, Federhannes, Goller oder gar als Rössle durchs Schwarze Tor ziehen. Wobei es natürlich nicht "als", sondern "im" Rössle heißen muss, weil man auf diese Konstruktion nicht auf-, sondern einsteigt und dann auf eigenen Beinen herumgaloppelt. Wer da ausgewählt wird, wer da einsteigen darf? Na, das hat zu tun mit Verwandtschaft, Familientradition, Beziehungen und manchmal auch mit ein bisschen Glück: "Jemand anderer hat Durchfall gehabt und ich nicht!" Auch für andere Rollen gilt: Mindestens zehn Jahre muss einer schon im Ort gelebt haben, muss die strengen Rottweiler Fasnets-Regeln kennen, muss auch Schwäbisch schwätzen können. Jedes Kostüm, jedes Häs muss zudem von einer Art Fasnets-TÜV abgenommen werden und wenn was abweicht von den Vorbildern, "dann gibt's keine Plakette, dann ist es kein Original Rottweiler Narrenkleid!" Sonst noch was? Ach so, ja, beim Narrensprung muss jeder auf Verlangen seine nummerierte Zulassungsmarke vorzeigen können.

"Wie kriegen wir's hin, dass die Narren besser narret?", fragt bei der Generalversammlung einer der drei Vorstandsmänner. (Das Wort Narren gibt es in Rottweil auch in Kleinschreibung, als Verb beziehungsweise Tätigkeitswort). Diese Angst, dass die Regeln aufweichen oder unterlaufen werden, dass sich der kleinlich-kleinstädtisch geregelte Narrensprung zum zügellos-touristischen Groß-Event auswächst! "Schwäbisch wird nicht mehr kontrolliert", klagt einer dieser von der eigenen Wichtigkeit überzeugten Männer. "Es wird bei der Zulassung beschissen", moniert ein anderer. Dann gibt es da noch das Problem mit den Nachbarn, den dreisten Deißlingern, die sich maskiert einschleichen und unbefugt mitspringen respektive -jucken. Ob es auch die Deißlinger sind, die jene Zulassungsmarken gefälscht haben, die auf dem Schwarzmarkt für acht- oder neunhundert Euro das Stück angeboten wurden?

So begehrt ist die aktive Teilnahme an dieser Fasnet, dass sich auch die Rottweiler Mädchen und Frauen nicht mehr damit begnügen, hie und da als Treiberin mit der Peitsche zu knallen. Manche Frauen streben sogar die Königsdisziplin an: Sie wollen ins Rössle! Und zweien von ihnen ist das sogar mal maskiert gelungen – eine wurde jedoch erkannt und bestraft. Ja, die Geschichte stimme, sagt einer vom Vorstands-Trio lapidar, mehr werde man von ihm dazu aber nicht hören. Die Rottweiler Fasnet, das muss jetzt konstatiert werden, ist eben ein von schwäbischen Männern dominiertes Ritual, in dem für Frauen nur Nebenrollen vorgesehen sind. Eine Frauenquote? Da ist ein anderer vom Vorstandstrio dagegen. "Das würde den Verein strapazieren", sagt der Mann mit dem professoralen Habitus, außerdem wäre "die Gesprächskultur dann nicht mehr zielführend."

Böller und Brot sind in den Brauch quasi eingesickert

Sigrun Köhler und Wiltrud Baier ("Schotter wie Heu", "Alarm am Hauptbahnhof") lassen sich von solchen Aussagen nicht provozieren. Das weibliche Regie-Duo bleibt auch hier bei seiner bewährten Methode, einfach lange und genau zuzuhören und zuzusehen. Es verzichtet auch darauf, Einordnungen oder Erklärungen über seine Bilder zu legen, es will lieber die Dinge selber zum Sprechen bringen. Die Regisseurinnen stellen höchstens mal kleine Fragen aus dem Off, bleiben aber auch dabei immer unsichtbar. Sie sind in diese eigene Rottweiler Welt nicht offensiv eingedrungen, sondern quasi eingesickert, sie fallen dort irgendwann gar nicht mehr auf und sind schließlich mittendrin. Wenn sich die Fasnet-Zunft nun das filmische Ergebnis anschaut, wird sie sich wiedererkennen, aber nicht unbedingt denunziert fühlen. Doch auch wer sich skeptisch fragt, ob es solches Brauchtum noch braucht, findet sich in "Narren" bestätigt.

Mehr als bestätigt, könnte man sagen. Auch wenn die Kritik im Film nie direkt geäußert wird – seine Haltung zeigt sich eher in der Auswahl und Montage der Szenen –, so liefert er doch genügend Material, um die Rottweiler Fasnet als konservatives und manchmal auch reaktionäres Bollwerk gegen die Moderne zu begreifen. Das geduldige Schnitzen und Bemalen der Masken, das exakte Zuschneiden der Kostüme, die aufwändige Bearbeitung von Lederutensilien wie der Narrenwurst, all dies wird im Film zur nostalgischen Feier alten Handwerks, wobei diese Szenen fast zu nah dran sind an der SWR-Vorabend-Folklorehuberei. (Im Epilog hat einer Angst vor der Digitalisierung, dass etwa Masken eingescannt und per 3-D-Drucker produziert werden.) Die Pflicht zum Dialekt aber ist nicht nur regionale Rückbesinnung, sie ist auch eine Ausschluss-Regel: Welche Nichtschwaben oder gar Zugezogene mit Migrationshintergrund könnten schon die Frage beantworten: "Was isch ein Kratten?"

Einmal ist kurz ein schwarzer Junge zu sehen, am Rand stehend, nicht mitmachend. Aber so sind eben die Regeln, so ist eben die Tradition! Wirklich? Wir lesen mal nach. Aha. Das Rottweiler Fasnets-Ritual, das von seinen Verwaltern vorgeführt wird, als gäbe es das schon ewig, war Anfang des 20. Jahrhunderts fast ausgestorben. Im Jahr 1903 waren noch ganze sieben Narren sprungbereit. Hat sich diese vom Film in atmosphärisch-stimmungsvollen Bildern eingefangene Kleinstadt, in der die Fasnet zur ganzjährigen Angelegenheit geworden ist, seine Tradition also nur erfunden, um sich gegen neue und auswärtige Zumutungen zu wappnen? Na wenn schon, die Kinder jedenfalls wachsen da willig hinein. Zum Beispiel dieser Dreijährige, der erstmals mitmachen darf, sich ein Kostüm mit Schellen überziehen lässt, eifrig herumhüpft. Es wird ihm aber bald zu heiß, sodass er die schwere Maske gleich wieder ab- und sich hinlegt. "Man muss mal anfangen, je früher, desto besser", sagt einer der Erwachsenen. Weil es in Rottweil nämlich nicht so ist, dass die Erwachsenen in der Fasnacht wieder Kinder spielen dürfen. Es ist eher umgekehrt.


Sigrun Köhlers und Wiltrud Baiers "Narren" ist ab Donnerstag, 11. November in deutschen Kinos zu sehen. Welche Spielstätte den Film in Ihrer Nähe zeigt, sehen Sie hier.


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