"Wir haben das angefangen, weil die Leute überall ausgeschlossen werden", erklärt Iva. Seit den ersten Tagen der Corona-Notlage im März 2020 verteilen Simon, Marvin und sie Essen an "arme gestrandete Seelen", wie Iva sich ausdrückt. Sie gehören zur Substituierten-Szene, einer der Randgruppen, die unter der Paulinenbrücke am Rand der Stuttgarter Innenstadt ihren Treffpunkt haben. Als die Tafeln und Vesperkirchen schlossen, gründeten sie mit Hilfe der Sozialarbeiterin Conny Krieger den Paule-Club. Seitdem stehen sie hier: seit zwanzig Monaten, jeden Tag, bei jedem Wetter, im Winter wie im Sommer.
Die Paulinenbrücke ist ein Ort der Gegensätze: Neben ihr, auf dem Dach der Shopping-Mall Gerber, stehen geklonte Luxusvillen. Unten, gleich nebenan treffen sich die Ausgegrenzten: Wohnsitzlose, AlkoholikerInnen, Substituierte. Die Paulinenbrücke ist Teil des Cityrings, der autogerechten Stadt der 1960er-Jahre. Wo der Paule-Club Essen verteilt, befand sich früher mal eine Tankstelle, gegenüber ein Parkplatz. Den hat zwei Jahre lang der Verein Stadtlücken bespielt, der es als sein Ziel sieht, Probleme sichtbar zu machen und Ideen und Konzepte zu sammeln, um Stuttgart lebenswerter zu machen. Die jungen ArchitektInnen, DesignerInnen, KünstlerInnen und StadtplanerInnen nannten ihr Projekt nach dem Österreichischen Platz am Ende der Brücke, die dort in einen aufgeständerten Kreisel mündet.
Eine Ecke weiter bei der Kirche St. Maria steht Harrys Bude: ein Container, in dem einmal Lastenräder untergebracht waren und der jetzt aussieht wie eine Imbissbude. Vorn öffnen sich zwei Klappen nach oben und unten, hinter einer gläsernen Front warten in durchsichtigen Boxen die Lebensmittel. Harry hat 13 Jahre lang auf der Straße gelebt. Er kennt die Nöte der Menschen, die zu ihm kommen, ob es Obdachlose, Hartz-4-Empfänger oder alte Menschen sind, die den größeren Teil ihrer Rente für die Miete ausgeben. "Auch sehr viele Junge", bemerkt er, "die sagen: Wir wissen nicht, wo wir das Geld hernehmen sollen."
Selbsthilfe in Köln und in Stuttgart
Uwe Kassai ist zur Paulinenbrücke gekommen, weil ihn Valentin Thurn, wie Kassai Filmemacher und Produzent, gefragt hat, ob er an einem Film über Foodsharing in der Coronakrise mitwirken wolle. Thurn hat 2011 mit dem Dokumentarfilm "Taste the Waste" die Foodsharing-Bewegung angestoßen. Er lebt in Köln, stammt aber aus Stuttgart und kennt Kassai seit langer Zeit. Unter der Paulinenbrücke haben die Architekturstudenten Ali Haji und Felix Haußmann im Sommer 2019 mit dem Foodsharing angefangen: an ihrem Stadtregal, einem Vielzweck-Möbel mit Fairteiler-Kühlschrank und Küchenzeile, wo die Initiative "Foodsharing Commons Kitchen" aus abgelaufenen Lebensmitteln gekocht hat.
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