Viele Medien standen 2021 regelrecht unter Strom. Genauer gesagt unter Atomstrom. Denn immer wieder ploppte die Kernkraft in Zeitungen und Sendern auf. Auffällig häufig in der zweiten Jahreshälfte. Eine weltweite Renaissance erkannte im September die "Tagesschau" in einer Studie der Internationalen Atomenergiebehörde IAEO, wonach "im Kampf gegen den Klimawandel nun viele Länder den Einsatz von Atomkraft erwägen".
Knapp einen Monat später flehten AKW-Fans in Springers "Welt" per offenem Brief: "Liebes Deutschland, bitte lass die Kernkraftwerke am Netz". Auch des Klimas wegen. Mitte November verkündete der französische Präsident Emmanuel Macron: "Um Frankreichs Energieunabhängigkeit zu gewährleisten, die Stromversorgung unseres Landes zu sichern und unser Ziel der Kohlenstoffneutralität im Jahr 2050 zu erreichen, werden wir zum ersten Mal seit Jahrzehnten die Errichtung von Kernreaktoren in unserem Land wieder aufnehmen."
Im Hintergrund rührte offenbar die Atomlobby die Werbetrommel – und das gleich zu zwei Anlässen. Die 26. UN-Klimakonferenz in Glasgow Anfang November bot die Chance, das seit der Fukushima-Katastrophe ramponierte Image wieder aufzupolieren. Auf dem Klimagipfel mutierte die Hochrisikotechnologie denn auch zur Klimaretterin. Erfolgreich beeinflusst sie wohl auch die Taxonomie-Verordnung der EU-Kommission, wie sich in deren am Neujahrstag bekannt gewordenen Entwurf zeigt. Er kürt die Kernkraft zum "nachhaltigen Energieträger", der den Kontinent bis 2050 klimaneutral machen soll. Dieses Greenwashing, wie es hiesige Grüne nennen, könnte Milliarden an Investmentgeldern in den Neu- und Ausbau von Meilern europaweit lenken.
Ganz sicher: Atomstrom ist nicht klimaneutral
Dabei ist Atomstrom eines sicher nicht: klimaneutral. Beim Urananbau für Brennstäbe, beim Kraftwerksbau- und Rückbau sowie bei Zwischen- und Endlagerung wird CO2 freigesetzt. Laut UN-Klimakommission IPCC sind es 3,7 bis 110 Gramm CO2-Äquivalente pro Kilowattstunde. Zudem gilt der Uranbergbau als höchst umwelt- und gesundheitsschädlich.
Auf einen Geldregen hofft nicht nur die Branche, sondern auch das Atom-Musterland Frankreich, wo 56 Atomkraftwerke knapp 70 Prozent des Stroms produzieren. Denn die staatlich kontrollierten Atomkonzerne Areva und EDF sind bereits hoch verschuldet. Zudem müssen sie den überalterten Kraftwerkspark sanieren, was weit über hundert Milliarden Euro kosten soll.
Die desolate Lage der hochgelobten énergie nucléaire zeigte sich vor dem Jahreswechsel, als 15 Reaktoren wegen Sicherheitsproblemen, technischer Störungen oder unaufschiebbarer Wartung zeitgleich stillstanden. Der "Stromausfall" von rund einem Drittel der Erzeugungskapazität ließ die Spotmarktpreise an der Pariser Strombörse vor Weihnachten auf über 450 Euro pro Megawattstunde durch die Decke gehen. Die EDF musste teuer Strom aus Deutschland und Österreich importieren. Kritisch könnte die Versorgung in den Kältemonaten Januar und Februar werden, da rund 22 Millionen französische Haushalte mit Strom heizen.
Weltweit fließt immer mehr Geld in Wind und Sonne
Um neue Gelbwesten-Proteste vor der anstehenden Präsidentschaftswahl zu vermeiden, deckelte Staatschef Macron bereits mögliche Strompreiserhöhungen in diesem Jahr auf vier Prozent. Dadurch verzichtet der Staat allein auf etwa vier Milliarden Euro Einnahmen an Steuern auf den Endverbrauch von Strom. Die Lücke soll ausgerechnet zum Teil über Einsparungen in Höhe von zwei Milliarden Euro bei der Förderung von erneuerbaren Energiequellen geschlossen werden.
7 Kommentare verfügbar
Stefan Auchter / BUND Freiburg
am 26.01.2022Und diese müssen alle weitestgehend baugleich sein, damit sich die Serienproduktion lohnt. Wer soll die alle brauchen? Atomstromland Frankreich hat…