"Weltfremd!", brüllte CDU-Fraktionsvize Winfried Mack dazwischen, als Winfried Kretschmann 2012 im Landtag erstmals das Prinzip der "weißen Landkarte" erklärte. Danach wurde das Auswahlverfahren für eine geeignete Region, um hochradioaktive Hinterlassenschaften zu verbuddeln, komplett neu gestartet. Der umweltpolitische Sprecher Ulrich Lusche unterstellte dem damals neuen grünen Regierungschef, zu "schlingern" beim Vertreten der Landesinteressen, und Fraktionschef Peter Hauk meinte sogar, ihn an seinen Amtseid erinnern zu müssen – den habe er "nicht auf die Bundesrepublik Deutschland, sondern auf das Wohl der Menschen dieses Landes geleistet". FDP-Kollege Hans-Ulrich Rülke, in Sachen Polemik schon immer ganz vorne dabei, hatte eine Baden-Württemberg-Karte ans Rednerpult mitgebracht, um zu illustrieren, wie der Grüne heimische Standorte anbietet. Früher hätten sie sich angekettet, "wenn der Castor kam, heute singen sie das Lied 'Ihr Castorlein, kommet'."
Die vielbeschriebene Geschichte der Landebahn, ohne die das Flugzeug in eine über Hunderttausende Jahre lang nicht zu beherrschende Zukunft gestartet ist, hat im Südwesten besonders viele Wendungen. Eindruck jedenfalls machte der Vergleich bei den Atomkraft-BefürworterInnen erstmal nicht – zu verlockend war die Aussicht, in Obrigheim, Neckarwestheim und Philippsburg vermeintlich billigen Atomstrom herstellen und verscherbeln zu können. Baden-Württemberg steht andererseits aber auch für den erfolgreichen Kampf gegen Wyhl, der nicht – wie in Gorleben, Brokdorf oder Wackersdorf – durch martialische Bilder und Wasserwerfer geprägt wurde, sondern von strickenden Bäuerinnen. Für Zeithistoriker ist das einer der Gründe, warum die Grünen im Land für bürgerliche Kreise schneller wählbar wurden als anderswo in der Republik.
Deutschland müsste schon viel weiter sein
Baden-Württemberg steht dafür, dass selbst der die Atomkraft befürwortende Saulus Erhard Eppler (SPD) zum Paulus werden musste und über dem Eindruck von Tschernobyl Mitte der 1980er-Jahre sogar CDU-Fraktionschef Erwin Teufel begann, laut über einen Atomausstieg nachzudenken – was allerdings nicht lange dauerte. Der smarte damalige Hoffnungsträger der SPD, Dieter Spöri, forderte zur selben Zeit Ministerpräsident Lothar Späth (1978 bis 1991) auf, "endlich der Wahrheit ins Auge zu sehen": Wer für Atomkraft sei, dürfe sich bei der Lagerung des Mülls "nicht immer wegducken". Jeder weitere Ausbau von Kraftwerken komme "entsorgungspolitisch einem Flugzeugstart ohne Landebahn gleich". Und deshalb dürfe sich niemand "einem überparteilichen Konsens in der Frage einer seriösen Entsorgung atomarer Abfälle weiter verschließen".
2 Kommentare verfügbar
Olaf B.
am 30.09.2020Ich habe 1986 meine Diplomarbeit als Chemiker in der damaligen GSF in Neuherberg München abgeschlossen. Damals haben wir die Geologie für Atommüll Endlager in Gorleben, Eisenmine Konrad, Wüste Sahara, usw analysiert und sind zu einem eindeutigen Ergebnis…