Ja.
Dann fangen wir vielleicht mit Wohnen an.
Gern.
Was ist das Wichtigste? Mehr bauen?
Ich finde, man muss noch einen Schritt vorher anfangen. Wenn man das Thema des bezahlbaren Wohnens wirklich ernst nimmt, brauchen wir eine andere, eine gemeinwohlorientierte Grundstückspolitik. Das heißt, dass die Stadt keine Schlüsselflächen mehr verkauft und dass sie städtische Vorkaufsrechte ausübt. Und ich habe den Vorschlag gemacht, dass wir eine Stiftung Wohnen gründen, die Grundstücke und Gebäude aufkauft und danach sehr günstig vermietet oder verpachtet. Dadurch würde ein Teil des Wohnungsmarktes der Spekulation entzogen. Das ist die Grundvoraussetzung, dass die Mieten wieder sinken können beziehungsweise dass sie eingehegt werden. Danach brauchen wir im zweiten Schritt natürlich auch ambitioniertere Neubauziele. Da ist zu wenig passiert in den letzten Jahren.
Im Zuge von S 21 werden auch einige Flächen frei. Welche davon kann man bedenkenlos zubauen und bei welchen muss man sich ums Klima kümmern?
Die Entwicklung des Rosensteinquartiers ist mit Blick auf den Städtebau und Wohnungsbau eine große Chance. Das ist die aktuell größte zusammenhängende Fläche, die wir im Stadtgebiet bebauen können, und deswegen sollte man das auch zügig tun. Natürlich müssen die Planungen insgesamt auch unter Berücksichtigung ökologischer und stadtklimatischer Aspekte stattfinden. Es sind ja schon sehr viele Frischluftschneisen zugebaut worden in Stuttgart und man muss künftig kucken, dass man das nicht weiter macht.
Stichwort zügig: S 21 hat sich bekanntermaßen schon extrem verzögert und die anschließende Bebauung der frei werdenden Flächen erst recht. Sie sind von außen und haben vielleicht einen neutraleren Blick darauf als Gegner und Befürworter, die sich schon fast über Jahrzehnte den Kopf einschlagen. Wie stehen sie zu S 21 generell?
Um das ganz offen zu sagen, ich hielt S 21 immer aus einem Grund ein für sinnvolles Projekt: Eben weil es eine städtbauliche Entwicklungschance bietet. Allerdings muss man festhalten, dass viele von den Punkten, die Kritikerinnen und Kritiker angeführt haben, eingetroffen sind. Das Projekt ist deutlich teurer geworden, es hat sich deutlich verzögert und es stellen sich auch noch einige inhaltliche Fragen, etwa was die Leistungsfähigkeit des Bahnhofes betrifft. Da macht es keinen Sinn, da drumherum zu reden. Zweitens finde ich, die Art und Weise, wie das Projekt entwickelt wurde, darf sich nie wieder wiederholen. Das hat Gräben und Wunden in die Stadt gerissen, die wir heute noch erleben. Ich glaube, dass es hilfreich ist, dass ich nicht in die Entscheidungsprozeße der letzten 10 oder 15 Jahre eingebunden war.
Haben sie soweit Einblick, dass Sie sich ein Urteil darüber erlauben können, ob das Ding dann überhaupt wirklich funktioniert? Sie sagen ja selbst, es gibt ja immer noch einige Punkte, die ungeklärt sind.
Ich habe keinen Einblick in die nichtöffentlichen Unterlagen und Gutachten, deswegen kann ich das nicht abschließend beurteilen. Was aber aus meiner Sicht auf jeden Fall diskussionwürdig ist – da hat die Stadt ja inzwischen auch ihre Zusage erteilt, das zumindestens mal zu prüfen zu wollen –, ist ein ergänzender unterirdischer Bahnhof. Wenn wir in dieser Größenordnung bauen, muss hinterher die Leistungsfähigkeit der Verkehrsbereiche auch sichergestellt sein. Mit Blick auf den Klimawandel müssen wir die Verkehrswende hinbekommen und dafür brauchen wir zwangsläufig die Schiene. Deswegen muss das nochmal untersucht werden. Das nicht zu machen, wäre aus meiner Sicht fahrlässig.
Ja, das hätte man vor 20 Jahren etwas gründlicher machen müssen. Schon damals war klar, die Bahn muss ausgebaut werden, wir müssen mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene tragen. Und dann halbiert man die möglichen Gleise von 16 auf 8 und das mit dem Anspruch, künftig mehr Züge reinzukriegen. Das kann doch kaum funktonieren?
Ich glaube, was jetzt wichtig ist, ist, dass wir nicht nochmal die Diskussion wie vor 15 oder 20 Jahren führen. Das Projekt ist entschieden und es ist im Bau, und ich halte das auch nicht für eine realistische Position, wenn man jetzt dafür wirbt, das noch zu stoppen. Das wäre auch nicht mein Weg. Man muss jetzt kucken, wo es Hebel und Steuerungsmöglichkeiten gibt, um das Projekt so aufzustellen, dass wir die Verkehrswende hinbekommen.
Zur Verkehrswende gehört auch der Verkehr auf der Straße. Wollen Sie weniger Autos in der Stadt?
Ich will weniger gefahrene Kfz-Kilometer, absolut. Vor allem im Innenstadtbereich ist es aus meiner Sicht dringend notwendig, es gibt ja auch entsprechende Zielbeschlüsse des Gemeinderates. Das ist ein richtiger Weg, der da aus meiner Sicht eingeschlagen ist. Jetzt muss es darum gehen, den jetzt zügig umzusetzen. Es geht ja nicht nur darum, dass wir weniger Kfz-Kilometer haben, sondern auch darum, dass die Stadt dadurch lebenswerter wird. Etwa wenn ich mehr Grün in der Stadt habe oder mehr Plätze, wo ich mich aufhalten kann.
Die Verkehrswende gehört mit der Klimawende zusammen. Wenn ich durch Stuttgart laufe, fallen mir ein paar Dächer auf, die noch Solarzellen vertragen könnten. Muss man da vielleicht auch Mieter und vor allen Dingen Besitzer ein bisschen – ich hätte fast gesagt, dazu nötigen – ausdrücklicher darauf hinweisen, dass man das nutzen kann?
Ich finde, da muss zuallererst einmal die Stadt ihre Hausaufgaben machen und alle belegbaren Flächen nutzen. Und das muss aus meiner Sicht wirklich zügig geschehen. Und ja, dann muss man auch darüber nachdenken, wie man Private dazu ermuntern kann. Es gibt andere Städte, die Community-Solarprogramme machen, wo dann die Stadtwerke Dächer belegen und man als Bewohner einen Teil des Stroms günstiger beziehen kann. Grundsätzlich halte ich den Klimawandel für die große Menschheitsaufgabe für die kommenden Jahrzehnte. Deswegen habe ich in Tengen viel in diese Richtung angestoßen. Wir haben den ersten Windpark im Landkreis Konstanz gebaut und das haben wir in einem sehr breiten Dialogprozeß mit der Bürgerschaft gemacht. Das lief über mehrere Runden und am Ende des Tages gab es auch einen Bürgerentscheid, bei dem zwei Drittel dafür gestimmt haben.
Zum Schluss der Ausblick auf die OB-Wahl in Stuttgart. Sie möchten natürlich gewinnen, klar. Aber es ist ja nicht ausgeschlossen, dass es im ersten Wahlgang keine absolute Mehrheit gibt. Sagen wir mal, nur um das theoretisch in den Griff zu kriegen, Sie sind Dritter. Treten Sie dann nochmal an?
Ich warte das Ergebnis am 8. November ab und werde das in Ruhe bewerten. Es kommt schon konkret darauf an, wie naheliegend zum Beispiel die ersten Drei beieinander sind. Ich glaube, dass es nicht sinnvoll ist, vor einem ersten Wahlgang solche Überlegungen anzustellen. Sondern jeder wirbt für seine Position und dann sieht man, wo man landet und muss danach im Lichte des Ergebnisses bewerten, ob es weitergeht oder ob man gegebenenfalls jemand anderen unterstützt. Bis dahin, ganz klar, werbe ich um Stimmen und Unterstützung für mein Programm.
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Stefan Urbat
am 01.10.2020