"Die Auflösung der Vereinbarung ist daher die einzige Möglichkeit, um diese Haftung zu vermeiden und damit einen möglichen Schaden vom Land Baden-Württemberg und den neun OEW-Landkreisen abzuwenden", begründet Finanzminister Schmid den Schritt, die Aktionärsvereinbarung zu lösen.
Für Hans-Jochen Luhmann eine bemerkenswerte Entscheidung. Allerdings aus einer etwas anderen Sicht. "Die Landesregierung in Stuttgart und die OEW-Landkreise entziehen sich der Haftungszusage, die sie vor 40 Jahren mit dem Bau der Atommeiler eingegangen sind", kritisiert der Ökonom vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Er erwähnt, dass sich die ebenfalls staatlich kontrollierten Vorgängerunternehmen der EnBW ohne das Versprechen, bei der Insolvenz des Betreibers für alle Kosten aufzukommen, auch nicht das notwendige Kapital für den Bau der Meiler hätten beschaffen können.
Mit der jetzigen Haftungsverweigerung werde nicht nur ein Credo des Wirtschaftsliberalismus ignoriert, wonach Produzenten die von ihnen verursachten Kosten angelastet werden. Auch rechtsstaatliche Prinzipien seien angetastet. "Wirtschaftsminister Gabriel will die Haftungsfrage gegenüber den Energiekonzernen durchsetzen. Staatliche Institutionen als Eigentümer aber dürfen sich dieser, im Unterschied zu den privaten Unternehmen, entziehen", kritisiert Luhmann.
Tatsächlich forcierte der Staat unter konservativer CDU-Regierung die Atomenergie im Musterländle von Anfang an. "Erste Überlegungen zur Nutzung der Kernenergie und die Einrichtung einer Reaktorstation in Karlsruhe, an der das Land zu einem Viertel beteiligt war", so steht es im Handbuch der baden-württembergischen Geschichte, "stammen bereits aus den 1950er-Jahren, nachdem die Bundesregierung 1955 den Einstieg in die friedliche Nutzung der Kernenergie beschlossen hatte."
So wurde am 3. Oktober 1955 in Stuttgart ein "Interministerieller Ausschuss für Angelegenheiten der Kernenergie" geschaffen. Auf Anregung des damaligen Wirtschaftsministers Hermann Veit wurde 1957 die "Arbeitsgemeinschaft Baden-Württemberg zum Studium der Errichtung eines Kraftwerks (AKS)" gegründet. Den ersten Atomstrom im Südwesten erzeugte der Mehrzweckforschungsreaktor Leopolshafen bei Karlsruhe mit einer Leistung von 50 Megawatt. Als drittes "Demonstrationskraftwerk" bundesweit und erstes Atomkraftwerk in Baden-Württemberg entstand in der 1960er-Jahren das AKW Obrigheim. Der 240-Megawatt-Druckwasserreaktor ging am 29. Oktober 1968 ans Netz. Anteile an der "Kernkraftwerk Obrigheim GmbH" besaßen staatliche und kommunale Unternehmen: die Energieversorgung Schwaben (35 Prozent), das Badenwerk (28 Prozent), die Technischen Werke Stuttgart (14 Prozent), die Neckarwerke (10 Prozent), die Stadtwerke Karlsruhe (5 Prozent) die Kraftübertragungswerke Rheinfelden KWR (3 Prozent) und die örtlichen Energieversorger (5 Prozent).
Mit den fünf Landesatommeilern wurde gut Kasse gemacht
In den folgenden Jahrzehnten kamen vier weitere Meiler hinzu, unter Regie der staatlichen Energieversorger Badenwerk und Energieversorgung Schwaben (EVS): Neckarwestheim 1 (1976, 840 MW), Philippsburg 1 (1979, 900 MW), Philippsburg 2 (1984, 1390 MW) und Neckarwestheim 2 (1989, 1365 MW). Nach der Fusion von Badenwerk und EVS im August 1997 zur Energie Baden-Württemberg AG sowie der nachfolgenden Fusion mit den Neckarwerken (NWS) gehören die fünf Atomblöcke heute mehrheitlich der EnBW. Ihr Betrieb liegt in den Händen eines EnBW-Tochterunternehmens, der EnBW Kernkraft GmbH (EnKK). Strom produziert wird allerdings nur noch in je einem AKW-Block in Neckarwestheim und Philippsburg. Der AKW-Oldie Obrigheim wird seit 2008 abgebaut. Die älteren Blöcke an den beiden anderen Standorten wurden 2011 nach Fukushima heruntergefahren und befinden sich im sogenannten Nachbetrieb.
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Käpsele
am 17.01.2016