Am Anfang war das Wort? "Inflation entsteht, wenn Menschen anfangen, über Inflation zu reden." So erklärte sich Otmar Issing im vergangenen Dezember die dramatischen Preissteigerungen in einem Gastbeitrag für die "Wirtschaftswoche". Und Issing ist nicht irgendwer – er war Wirtschaftsweiser, Chefökonom der Bundesbank und der Europäischen Zentralbank (EZB), dann International Advisor von Goldman Sachs und zeitgleich Präsident des angesehenen Center for Financial Studies in Frankfurt, das er bis heute leitet. Kurz gesagt: Der Mann weiß, wie viel sich in der Ökonomie zur Kopfsache und Glaubensfrage erklären lässt. Und worauf es jetzt ankommt. Issing: "Es kommt darauf an, dass die Bürger und die Finanzmärkte nicht das Vertrauen in die Entschlossenheit der Zentralbanken verlieren, die Inflation (in der Regel bei etwa zwei Prozent) mittelfristig zu stabilisieren."
In eine ähnliche Kerbe schlägt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) : Die "Gefahr droht von psychologischer Seite", erklärt das DIW im Oktober 2021, nämlich "von den Erwartungen, zu der auch gerade die alarmistische Berichterstattung beiträgt". Wenn alle davon ausgehen, dass die Preise weiter steigen, "werden die Menschen Käufe vorziehen und höhere Löhne fordern", so die Sorge, und "Unternehmen wiederum werden auf ihre Preise aufschlagen, wenn sie damit rechnen, höhere Löhne und höhere Erzeugerpreise zahlen zu müssen." Inflation, so lernen wir, ist also Kopfsache.
Eine Strategie zur Krisenbewältigung lässt sich mit diesen Handreichungen leicht auf die Beine stellen: Wenn am Monatsende keine Kohle mehr auf dem Konto ist und der durchschnittliche Warenkorb immer leerer wird, kommt bitte bloß nicht auf die Idee, höhere Löhne zu fordern. Redet am besten nicht über die Geldentwertung – das macht es nur schlimmer – und wenn es doch unbedingt sein muss, dann flüstert wenigstens, damit es niemand mitbekommt. Aber immerhin, das Risiko, eine Katastrophe heraufbeschwören, scheint hierzulande relativ überschaubar: Denn wenn die Skandale um Cum-Ex und Wirecard eines verdeutlicht haben, dann ja wohl, dass sich die deutsche Öffentlichkeit mit grauen Finanzthemen nicht hinter dem Ofen hervorlocken lässt. Oder doch?
"Inflation und Sex haben eines gemeinsam", schreibt der Wirtschaftswissenschaftler Thomas Straubhaar in der Tageszeitung "Die Welt". Denn: "Auf Titelseiten garantieren sie immer Aufmerksamkeit." Oh Schreck! Die Inflation wird sich WIE EIN LAUFFEUER VERBREITEN!!! Aber Moment mal. Was schreibt Professor Straubhaar da noch? "Die Inflation ist tot." Veröffentlicht wurde sein Abgesang auf die Inflationspanik im Dezember 2020 – womit auch ein kleiner Schönheitsfehler an Issings Theorie der herbeigeredeten Inflation deutlich wird: Sie lässt offen, warum frühere Nennungen des Begriffs in den vergangenen Jahrzehnten keine Preisexplosionen provozierten und warum es diesmal anders kam. Gibt es vielleicht Zeitfenster, die weniger gefährlich sind? Womöglich eine günstige Mondphase? Oder eine besondere planetare Konstellation, die die Inflation in Schach hält?
Medien lieben diese Geisterbahn
Die Medien jedenfalls reden andauernd über Inflation – sogar dann, wenn sie sich nirgends bemerkbar macht. Experte Straubhaar, VWL-Professor an der Universität Hamburg, zieht daher über einen Artikel im britischen "Economist" her, der die Inflationsfrage im Dezember 2020 aufwirft – und letztendlich selbst verneint, dass ein Preisanstieg wahrscheinlich sei. Laut Straubhaar bleibe also "am Ende nichts anderes übrig, als einzugestehen, dass erneut aufgekochte Inflationsaufregungen eher künstlich aufgebauscht als durch reale Tatsachen belegbar sind".
3 Kommentare verfügbar
R.Gunst
am 13.01.2022Der EZB…