Es ist später Nachmittag am vergangenen Samstag, die Reihen der CDU-Delegierten in der Reutlinger Stadthalle sind deutlich gelichtet, als Thorsten Frei seinen Initiativantrag zur Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten irgendwo in der Welt begründet. Der Ex-OB von Donaueschingen, heute rechte Hand von Parteichef Friedrich Merz im Bundestag und stellvertretender Landeschef in Baden-Württemberg, will die Themen ansprechen, "die die Menschen wirklich interessieren". Und deshalb mithelfen zu verhindern, "dass jede staatliche Kontrolle verloren geht". Würde sein Plan umgesetzt, wäre das individuelle Grundrecht auf Asyl Geschichte. Trotzdem wird ratzfatz abgestimmt und der Antrag ohne jede inhaltliche Debatte angenommen.
So geht die neue Leichtigkeit des Seins in der Südwest-CDU. Der Auf- und Ausbruch aus der mühsam erduldeten Juniorpartnerschaft in der Landesregierung mit den Grünen soll munter und locker vonstattengehen. Auch deshalb sind die innerparteilichen Gräben von ehedem für Manuel Hagel, die mit 91,5 Prozent zum neuen Landesvorsitzenden gewählte Lichtgestalt, bloß noch "alter Kruscht" und die dazugehörigen Kämpfe werden für beendet erklärt. Niemand will von Hagel wissen, wie eine Abschaffung des Artikels 16 GG, die jetzt von der Südwest-CDU ausgehen soll, zu seinem Versprechen einer "glasklaren Haltung" in Sachen Wertefundament passt. Mit dem Schicksal des von den Nazis ermordeten ehemaligen württembergischen Staatspräsidenten Eugen Bolz hat sich der Träger größter Hoffnungen, wie er berichtet, in Vorbereitung auf seinen Parteitagsauftritt befasst und mit Andreas Hermes, einem Mitbegründer der Union nach dem Zweiten Weltkrieg: "Für das, wofür wir stehen, stehen wir mit Haut und Haaren." Keine:r der 341 Delegierten fühlt sich aufgerufen nachzufragen, wie die seit Monaten in Aussicht gestellte 180-Grad-Wende in der Migrationspolitik dazu eigentlich passen soll.
Nur nicht kratzen am neuen Image der Gemeinsamkeit, das jederzeit jubelwillige Auditorium geht über unerfüllbare Versprechungen und Widersprüche konsequent hinweg. Selbst Friedrich Merz ist mit viel Lob im Gepäck angereist, zum Beispiel für Hagels zweifellos pfiffigen Satz: "Das politische Erbe von Winfried Kretschmann wird bei uns in guten Händen sein." Der Sauerländer vergisst aber auch nicht, die Bedeutung des baden-württembergischen Landesverbands hervorzuheben. Wenn der demoskopische Niedergang der Berliner Ampel tatsächlich 2025 in einen Wahlerfolg der Union münden soll, braucht es eine wieder deutlich stärkere Südwest-CDU.
Stammtischrüpelei von Merz
Zwei Zahlen unterstreichen die Megaaufgabe, die die neue Landesspitze vor der Brust hat. Noch 2013 trugen die baden-württembergischen Schwarzen mit fast 48 Prozent im Land zu Angela Merkels Wahlsieg bei, 2021 waren daraus gerade noch 25 geworden. "Darf ich das so sagen als Ihr Bundesvorsitzender? Ein Erfolg in Deutschland kann nur gelingen mit einem überproportionalen Beitrag des Südwestens, und das sind Sie", erlaubt sich Merz den strengen Appell an den schwächelnden Primus von ehedem, sich jetzt aber endlich wieder richtig am Riemen zu reißen.
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S. Holem
am 22.11.2023