KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Parteitag der CDU Baden-Württemberg

"Bauch rein, Brust raus, Kopf hoch"

Parteitag der CDU Baden-Württemberg: "Bauch rein, Brust raus, Kopf hoch"
|

Datum:

Auf der Suche nach alter Größe ist die Südwest-CDU ordentlich in Schwung geraten: In Reutlingen wird Manuel Hagel zum neuen Landeschef gewählt, und führende Schwarze servieren dem Parteivolk PR-Parolen jenseits von Fakten und Logik.

Es ist später Nachmittag am vergangenen Samstag, die Reihen der CDU-Delegierten in der Reutlinger Stadthalle sind deutlich gelichtet, als Thorsten Frei seinen Initiativantrag zur Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten irgendwo in der Welt begründet. Der Ex-OB von Donaueschingen, heute rechte Hand von Parteichef Friedrich Merz im Bundestag und stellvertretender Landeschef in Baden-Württemberg, will die Themen ansprechen, "die die Menschen wirklich interessieren". Und deshalb mithelfen zu verhindern, "dass jede staatliche Kontrolle verloren geht". Würde sein Plan umgesetzt, wäre das individuelle Grundrecht auf Asyl Geschichte. Trotzdem wird ratzfatz abgestimmt und der Antrag ohne jede inhaltliche Debatte angenommen.

So geht die neue Leichtigkeit des Seins in der Südwest-CDU. Der Auf- und Ausbruch aus der mühsam erduldeten Juniorpartnerschaft in der Landesregierung mit den Grünen soll munter und locker vonstattengehen. Auch deshalb sind die innerparteilichen Gräben von ehedem für Manuel Hagel, die mit 91,5 Prozent zum neuen Landesvorsitzenden gewählte Lichtgestalt, bloß noch "alter Kruscht" und die dazugehörigen Kämpfe werden für beendet erklärt. Niemand will von Hagel wissen, wie eine Abschaffung des Artikels 16 GG, die jetzt von der Südwest-CDU ausgehen soll, zu seinem Versprechen einer "glasklaren Haltung" in Sachen Wertefundament passt. Mit dem Schicksal des von den Nazis ermordeten ehemaligen württembergischen Staatspräsidenten Eugen Bolz hat sich der Träger größter Hoffnungen, wie er berichtet, in Vorbereitung auf seinen Parteitagsauftritt befasst und mit Andreas Hermes, einem Mitbegründer der Union nach dem Zweiten Weltkrieg: "Für das, wofür wir stehen, stehen wir mit Haut und Haaren." Keine:r der 341 Delegierten fühlt sich aufgerufen nachzufragen, wie die seit Monaten in Aussicht gestellte 180-Grad-Wende in der Migrationspolitik dazu eigentlich passen soll.

Nur nicht kratzen am neuen Image der Gemeinsamkeit, das jederzeit jubelwillige Auditorium geht über unerfüllbare Versprechungen und Widersprüche konsequent hinweg. Selbst Friedrich Merz ist mit viel Lob im Gepäck angereist, zum Beispiel für Hagels zweifellos pfiffigen Satz: "Das politische Erbe von Winfried Kretschmann wird bei uns in guten Händen sein." Der Sauerländer vergisst aber auch nicht, die Bedeutung des baden-württembergischen Landesverbands hervorzuheben. Wenn der demoskopische Niedergang der Berliner Ampel tatsächlich 2025 in einen Wahlerfolg der Union münden soll, braucht es eine wieder deutlich stärkere Südwest-CDU.

Stammtischrüpelei von Merz

Zwei Zahlen unterstreichen die Megaaufgabe, die die neue Landesspitze vor der Brust hat. Noch 2013 trugen die baden-württembergischen Schwarzen mit fast 48 Prozent im Land zu Angela Merkels Wahlsieg bei, 2021 waren daraus gerade noch 25 geworden. "Darf ich das so sagen als Ihr Bundesvorsitzender? Ein Erfolg in Deutschland kann nur gelingen mit einem überproportionalen Beitrag des Südwestens, und das sind Sie", erlaubt sich Merz den strengen Appell an den schwächelnden Primus von ehedem, sich jetzt aber endlich wieder richtig am Riemen zu reißen.

Er erlaubt sich aber noch ganz andere Sachen und demonstriert ungeniert, wie der Zweck der Machteroberung die Mittel heiligt, leicht fassbare Stammtischrüpelei inklusive. So mokiert sich der 68-Jährige über "diese 20-jährigen Studienabbrecher, die im Deutschen Bundestag sitzen und uns von morgens bis abends die Welt erklären". Sogleich schießt der Stimmungspegel im Auditorium nach oben: Eine Blitzumfrage würde vermutlich ergeben, dass da den meisten im Saal die Grünen vor Augen stehen und speziell deren Parteichefin Ricarda Lang. Die wird zwar in wenigen Wochen dreißig und hat tatsächlich keinen Abschluss, ist aber die ganz große Ausnahme in ihrer Altersgruppe im Bundestag: Nahezu alle anderen haben einen Bachelor, einen Master und manche sogar eine Promotion vorzuweisen. Außerdem ist es nicht gerade lebensnah, 20-Jährigen einen Studienabbruch anzuhängen. Aber weder Fakten noch Logik finden ihren Platz in dieser Inszenierung.

Ganz im Gegenteil: Die Geschichte gefällt so sehr, dass zwei Parteifreunde sie prompt aufgreifen. Der Ludwigsburger Klaus Herrmann, der sich bei seiner Vorstellung für die Vorstandswahlen von den erwähnten 20-Jährigen mit gleich drei Berufsausbildungen abzugrenzen weiß: Großhandelskaufmann, mittlerer Verwaltungsdienst und Fachhochschulstudium. Er wird gewählt. Den akademischen Nachwuchs besser kennen müsste eigentlich Andrea Wechsler (46), Professorin an der Hochschule Pforzheim und Spitzenkandidatin der Südwest-CDU für die Europawahl 2024. Doch auch sie scheut die wiedergekäute Polemik nicht: Sie verspricht, im nächsten Juni nicht an der Seite von 20-jährigen Studienabbrechern anzutreten.

Auch diese Stichelei gegen Grüne und Rote hat wieder nichts mit der Realität zu tun: Michael Bloss (Grüne) ist 37, sitzt bereits im Europaparlament und hat ein Masterstudium in Globalisation and Development in London, Daressalam und Wien absolviert; René Repasi (SPD) ist 44 und promovierter Europarechtler. Ob sich Wechsler entschuldigt, wenn sie den beiden auf den Parlamentsfluren in Brüssel oder Straßburg begegnet?

Hagel fordert "mehr Mut für die Normalen"

Attacken ad personam, Unterstellungen und Übertreibungen beim Kritisieren zählen bekanntlich seit eh und je zu den gewohnten Umgangsformen im Politikbetrieb. Zum Trost kursiert schon lange ein passender Spruch: Wem es in der Küche zu heiß ist, hat in der Küche nichts zu suchen. Erst neuerdings ist es aber Sitte geworden, öffentliche Personen und politisch-gesellschaftliche Zustände grundsätzlich und konsequent schlecht und immer schlechter zu reden, um selbst mit heilsbringenden Rettungsversprechen glänzen zu können. Und, siehe oben, zumindest in einem ersten großen Schritt rhetorisch anzuknüpfen an frühere Höhenflüge.

So beklagt Manuel Hagel in Reutlingen, "dass wir bereit sind, Leistung abzuschaffen, und das schon seit Jahren". Natürlich hat seine Zuhörerschaft nicht sich selbst im Blick, sondern ganz diffus andere gesellschaftliche Gruppen, zum Beispiel die 512-Euro-pro-Monat-Bürgergeld-Bezieher. Und für die tatsächlich oder selbsternannt Tüchtigen hört sich das an wie Schalmeienklang: "Wir nehmen die Fleißigen und Leistungsträger in den Blick." Das sei politisch "vielleicht nicht besonders sexy", aber mehr "Mut für die Normalen" zu entwickeln dennoch richtig, "weil das die Mehrheit in diesem Land ist".

Seltsam, auch die AfD zieht mit ähnlichen PR-Parolen zum angeblich Normalen durch die Lande. Gemeint sei keine statistische Größe, sondern "eine bestimmte, kulturelle konservative Leitvorstellung, wie normale Bürger angeblich aussehen", sagt der Politikwissenschaftler Gideon Botsch, der an der Universität Potsdam zu Rechtsextremismus und Antisemitismus forscht. Menschen würden einerseits psychologisch aufgewertet, sagt er in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung", und andererseits schwinge das Versprechen mit, dass die Gruppe, zu der sich die Normalen zählten, ihr Verhalten nicht ändern müsse, sondern andere.

Falsche Argumente? Hauptsache, das Narrativ stimmt

Die Auswahl von Methoden, auf den kollektiven Solarplexus zu zielen, ist keine kleine. Merz beispielsweise spricht abfällig von der "sogenannten Zivilgesellschaft". Hagel behauptet: "Wir Christdemokraten, wir sind wieder wer (...) Bauch rein, Brust raus, Kopf hoch." Felix Schreiner, Bundestagsabgeordneter aus Waldshut, will und kommt in den Landesvorstand nach einem Frontalangriff auf den Landesverkehrsminister Winfried Hermann "und seine grüne Gurkentruppe". Florian Hummel, vor gut einer Woche wiedergewählter Vorsitzender der Jungen Union, unterstellt der Bundesregierung nichts Geringeres, als dass sie Islamisten, "die auf unseren Straßen das Kalifat fordern und gegen Juden hetzen", einbürgern statt abschieben will.

Solcher Populismus soll den neuen Elan entfachen und über die nächsten Monate tragen, selbst in der heiklen Migrationspolitik. Statt dem früheren Landeschef und Ministerpräsidenten Erwin Teufel und seinem keineswegs immer von ihm selbst beachteten Wahlspruch zu folgen, wonach Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit, suggeriert die CDU, nicht nur im Südwesten, der Bevölkerung eigentümliche Fiktionen als Fakten. Seit über einem Jahr hämmern gerade Unionspolitiker:innen dem Publikum ein, alle Belastungsgrenzen seien durch die Flüchtlinge erreicht oder gar überschritten und keine Kapazitäten mehr vorhanden. Das ist falsch, wie Positiv-Beispiele auch aus Baden-Württemberg zeigen. Die sind der Erwähnung aber nicht wert, weil eben die Geschichte – neudeutsch: das Narrativ – zu stimmen hat. Und Thorsten Frei legt die Latte am Wochenende in Reutlingen noch höher: Sein Vorstoß müsse Teil des neuen Grundsatzprogramms der Partei werden, "da wir nur mit echter Begrenzung illegaler Migration das notwendige Vertrauen der Menschen gewinnen werden".

Im Frühjahr will sich die Südwest-CDU auf einem weiteren Parteitag mit all jenen mehr als hundert inhaltlichen Anträgen befassen, die in Reutlingen aus Zeitgründen nicht aufgerufen werden konnten. Spätestens dann werden sich Parteispitze und -volk fragen müssen, was jetzt stimmt: das Bekenntnis des Landesvorsitzenden zum "Wertefundament" und zum "christlichen Bild vom Menschen" als Alleinstellungsmerkmal oder Freis Ruf nach einem "Paradigmenwechsel" in der Flüchtlingspolitik. Zur Vorbereitung könnte Hagel diesmal das Markus-Evangelium zurate ziehen: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst."


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


1 Kommentar verfügbar

  • S. Holem
    am 22.11.2023
    Antworten
    Das CDU liesse sich bei allen Statements ohne inhaltliche Änderung problemlos duch AFD ersetzen. Da die Menschen aber bekanntermassen lieber das Original wählen, wird es dem verzweifelt hetzenden Merz aber nie zur Macht, sonderns höchstens zum kleinen Fritzchen von Papen unter einer Kanzlerin Alice…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!