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CDU Baden-Württemberg

Booster für die AfD

CDU Baden-Württemberg: Booster für die AfD
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Grenzkontrollen, Sachleistungen statt Bargeld, die neue Vokabel "Integrationsgrenze" als weichgespülte Variante des absurden Slogans "Das Boot ist voll": Mal wieder blinkt die CDU in der Migrationspolitik rechts. Zur Freude der AfD.

"Diese Leute kommen nicht an die Macht", verspricht der bayerische Ministerpräsident Markus Söder beim CSU-Hochamt vergangenen Samstag in München. Zwei Wochen vor der bayerischen Landtagswahl und meint den thüringischen AfD-Landes- und -Fraktionschef Björn Höcke. "Diesen Leuten legen wir das Handwerk, so wahr mir Gott helfe." Wie es darum steht, ist unbekannt. Der höchste Stellvertreter Christi hienieden hätte aber zumindest schon mal einen guten ökumenischen Rat: Papst Franziskus spricht fast zeitgleich in Marseille vom Recht auf Auswanderung angesichts der "Geißel der Ausbeutung". Er empfiehlt, sich der Migration als "Gegebenheit unserer Zeit in europäischer Verantwortung" zu stellen, warnt vor "Panikmache" und verlangt eine ausreichende Zahl legaler und regulärer Zugangsmöglichkeiten.

Konjunktur hatte diese entschiedene Haltung noch nie, auch nicht hierzulande. Gegenwärtig, vor dem Urnengang in Bayern und Hessen und in Baden-Württemberg schon mit Blick auf Kommunal- und Europawahlen im kommenden Juni, werden alte Abwehrparolen bemüht, Pseudolösungen aufgetischt oder einfach Unumsetzbares versprochen. Zwölf Punkte hat das Eckpunkte-Papier, das die CDU-Landtagsfraktion zur Profilschärfung überraschend vorlegte. Manches kommt schwammig formuliert unscheinbar daher und würde doch massiv in den bisherigen Rechtsweg eingreifen: "Weitere Instanzen, die Abschiebungen hinauszögern oder verhindern, lehnt die CDU-Landtagsfraktion ab." Im Klartext: Der Rechtsweg von Flüchtlingen soll drastisch verkürzt werden.

Anderes ist darauf angelegt, speziell den grünen Koalitionspartner zu reizen: Monatelang wurde in der vergangenen Legislaturperiode über die Altersfeststellung unbegleiteter Minderjähriger gerungen. Gibt es Zweifel, können alle Jugendämter im Land sich seit 2019 an die Uniklinik in Heidelberg wenden, die dann mit modernsten Methoden, wie es heißt, die Altersangaben überprüft. Punkt zwölf im CDU-Papier verlangt trotzdem "erweiterte Möglichkeiten" bei der Altersklärung.

Hätte das Papstwort bei den Christdemokrat:innen Gewicht, könnten CDU-Abgeordnete sich begnügen etwa mit der Darstellung, dass Baden-Württemberg derzeit Probleme hat mit der Unterbringung unbegleiteter Jugendlicher, weil viele über die Schweizer Grenze kommen. 550 waren es im Juli, 837 im August. Sie könnten verweisen auf Fachleute, die davon ausgehen, dass jeder zweite der jungen Männer falsche Angaben macht, aber eben auch darauf, dass die Altersfeststellung seit 2018 bereits erleichtert ist, dass aktuell die Verteilung Ankommender auf andere Bundesländer nicht einfach ist, aber funktioniert in Zusammenarbeit mit Bayern, Rheinland-Pfalz und Thüringen. Oder dass mit Städte- und Landkreistag ein Fünf-Punkte-Plan erarbeitet wurde, um adäquat vor Ort zu reagieren. Die Botschaft wäre also: Die Lage ist nicht einfach, aber wir sind willens und in der Lage zu handeln.

Menschenwürdige Existenz interessiert nicht

Weil es zu vielen in der baden-württembergischen CDU-Fraktion aber gar nicht um Fakten und Deeskalation geht, sondern um Stimmungsmache, ist davon keine Rede. Der im November nach dem Landesvorsitz greifende neue starke Mann, Fraktionschef Manuel Hagel, insinuiert sogar mit seiner Forderung danach, "vorhandene staatliche Handlungsspielräume endlich voll auszuschöpfen", dass genau das nicht geschieht. Und er setzt noch einen obendrauf: "Wir meinen, dass die Asylpolitik künftig nicht ideologischen Wunschvorstellungen, sondern den klaren Interessen unseres Landes dienen muss."

Auch Punkt sieben, "Abkehr von reinen Geldleistungen", entlarvt die wahren Absichten. Erstens gibt es überhaupt keine reinen Geldleistungen und zweitens ist dieser Sachverhalt seit Jahren den Praktiker:innen vor Ort bekannt. Die kommunalen Spitzenverbände warnen vor dem Aufwand, wenn Flüchtlinge nichts mehr selbst kaufen können, zugleich aber religiöse Vorschriften befolgen wollen. Vor allem aber gibt es ohnehin bereits Sachleistungen, von der Essens- bis zur Kleiderausgabe. Dennoch schreibt die CDU-Fraktion: "Um Fehlanreize für eine Migration nach Deutschland ohne Asylgrund abzubauen, ist es sinnvoll, allen ausreisepflichtigen Personen und Folgeantragstellern vorrangig Sachleistungen in Höhe des absoluten Mindestbedarfs zu gewähren."

Damit wird nicht nur ein neuer Begriff – absoluter Mindestbedarf – in die ohnehin aufgeheizte Debatte geworfen, sondern ein vergleichsweise neues Urteil des Bundesverfassungsgerichts schlicht ignoriert. Im Herbst 2022 hatte der Erste Senat entschieden, dass Sozialleistungen für Asylbewerber:innen "fortlaufend realitätsgerecht bemessen werden" müssen, um so sicherzustellen, "dass tatsächlich für eine menschenwürdige Existenz Sorge getragen wird". Für Asylbewerber:innen, die seit mindestens 18 Monaten auf einen Entscheid warten und ihren Aufenthalt nicht missbräuchlich verlängert haben, sind das auf Anordnung des Höchstgerichts 502 Euro pro Monat. In der CDU-Landtagsfraktion sitzen mehr als eine Handvoll Jurist:innen, die solche Zusammenhänge sofort durchblicken, wenn sie nur wollten. Stattdessen wurden einstimmig (!) Formulierungen wie diese angenommen: Eines müsse klar sein, "es geht zunächst darum, dass Geflüchtete im Land ihren Lebensunterhalt bestreiten können, dazu braucht es nicht zwangsläufig reine Geldleistungen".

Fehlanzeige beim Lernen aus Erfahrung

Schwarze Strateg:innen warten seit Anfang der 1990er-Jahre mit der immer gleichen Erklärung für ihr Herausdriften aus der Mitte auf: Den Rechten solle das Wasser abgegraben werden. Dabei müssten sie längst wissen, dass Vorschläge und Forderungen gerade in sensiblen flüchtlingspolitischen Fragen, die mangels Zuständigkeit oder Praktikabilität gar nicht umgesetzt werden können, nur falsche Erwartungen wecken. Und dass vor allem das Wasser so umgeleitet wird auf die Mühlen der Rechten. Als Kronzeuge könnte Günther Oettinger aufgerufen werden, der im Landtagswahlkampf 1992 seine Partei vergeblich davor gewarnt hatte, auf den Slogan der Republikaner "Das Boot ist voll. Schluss mit Asylbetrug" mit "Asylproblem lösen. CDU wählen" zu antworten. Die Rechtspopulisten zogen mit fast elf Prozent oder 15 Abgeordneten in den Landtag sein. Der spätere Innenminister Heribert Rech kritisierte seine Partei erst im Rückblick: "Wir hätten das damals nicht tun dürfen, wir hätten die Reaktion zu vieler Leute vorhersehen müssen." Seither ist die absolute Mehrheit im Landtag dahin.

Und dennoch wird 2016 abermals in die vergiftete Trickkiste gegriffen. Eine der vielen Forderungen des damaligen schwarzen Spitzenkandidaten Guido Wolf im Bemühen, immer weiter an der Eskalationsspirale zu drehen, war "die konsequente Umstellung von Geld- auf Sachleistungen". Und Landeschef Thomas Strobl kündigte "volle Attacke auf die Grünen" im Wahlkampfendspurt an. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte war die CDU wenige Tage später nicht mehr die stärkste Kraft im Land und nicht nur Winfried Kretschmann der große Sieger, sondern auch die "Alternative für Deutschland" als mit 15 Prozent plötzlich stärkste Oppositionspartei.

Merz zündelt mit Fake News

Inzwischen darf die von Höcke längst dominierte Truppe im Osten auf 30 Prozent und damit auf den begehrten Platz eins hoffen. Statt die anderen 70 zusammenzuhalten, spielt ausgerechnet der CDU-Bundesvorsitzende mit der Büchse der Pandora. Friedrich Merz bietet der SPD an: "Lassen Sie uns das zusammen machen, und wenn Sie das mit den Grünen nicht hinbekommen, dann werfen Sie sie raus, dann machen wir es mit Ihnen, aber wir müssen dieses Problem lösen." Natürlich weiß er genau, dass die Bundesregierung dann platzen würde und die Union Juniorpartner in einer unversehens wieder auferstandenen Großen Koalition. Ernst kann der Sauerländer einen solchen Vorschlag nicht meinen. Aber er will zündeln, erst recht mit der falschen Behauptung, Deutschland nehme die meisten Asylbewerber:innen in Europa auf.

Das hat noch nie gestimmt, nicht in den 1990ern, nicht 2016, weil ernsthaft aussagekräftig nur pro Kopf der Einwohner:innen gestellte Zahlen sind. Mit denen argumentiert auch der Pontifex: Gegenwärtig auf Platz eins liegt Zypern, gefolgt von Österreich, Estland, dann kommt Deutschland. Und Italien kommt in der Statistik nur deshalb nicht auf einen der Spitzenränge, weil auf Lampedusa der Andrang so mächtig ist, dass geordnete Verfahren überhaupt nicht eingeleitet werden können. In den vier Wochen vor Franziskus' jüngstem Besuch auf der kleinen Mittelmeerinsel waren es mehr als 10.000 Menschen. Es hätten Tausende mehr sein können, wären sie nicht ertrunken.


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10 Kommentare verfügbar

  • Karl P. Schlor
    am 18.11.2023
    Antworten
    Heute lese ich zum erstenmal einen Stuttgarter Journalisten, Freyder v. d. Nachrichten, in einer
    Kolumne eingestehen, daß wir zu häufig immer nach "rechts" sahen und dabei den islamistischen Antisemitismus übersehen haben, jetzt fehlt noch das weitere Eingeständnis, daß wir zuviele Einwanderer…
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