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AfD und CDU

Toxische Gemengelage

AfD und CDU: Toxische Gemengelage
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Sage mir, mit wem Du umgehst, und ich sage Dir, wer Du bist: Verfassungsrechtliche Überlegungen zur CDU und ihrem Flirt mit der "gesichert rechtsextremistischen AfD" in Thüringen.

Die Mehrheitsbildung von CDU, FDP und AfD im Thüringer Parlament, um einen Antrag zur Senkung der Grunderwerbsteuer gegen die rot-rot-grüne Minderheitsregierung durchzusetzen, hat über Tage hinweg hohe Wellen geschlagen. Grün und rot, flankiert von liberalen Medien, haben sich in harscher Kritik an der CDU überboten. Tenor: Damit habe die CDU die von ihr selbst definierte Brandmauer zwischen ihr und der AfD eingerissen.

Die CDU hat versucht, das Ganze als normalen parlamentarischen Vorgang hinzustellen, sekundiert von der konservativen FAZ, die davon sprach, dass es der Union auf Dauer nicht zuzumuten sei, sich in "Selbstkastration" zu ergehen. Die FDP als aktiver Partner des rechtsextremistisch-konservativen Abstimmungs-Blocks blieb mehr oder weniger ungeschoren.

Jetzt, mit einer gewissen zeitlichen Distanz und nachdem sich der politische Pulverdampf verzogen hat, möchte ich den Blick auf einen Aspekt in der Diskussion lenken, der bislang eine allenfalls nebensächliche Rolle gespielt hat: Ja, Pragmatismus im politischen Alltag ist eine wichtige Handlungsoption aller Parteien, die aber dann, wenn sie mit der Verfassung in Konflikt gerät, auf eine rote Linie trifft. Und das ist hier mindestens mittelbar der Fall: Meist wurde in der medialen Diskussion noch erwähnt, dass die AfD in Thüringen vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Warum beobachtet werden kann, nämlich weil die Bewertung und Einordnung der Thüringer AfD als "gesichert rechtsextremistische Partei" erfolgt ist, fiel allerdings oft unter den Tisch. Dabei ist das für Beurteilung des Vorganges ein zentraler Punkt.

Eine solche Einordnung und die daraus resultierende Befugnis des Verfassungsschutzes nachrichtendienstliche Mittel wie Telefonüberwachung oder das Einschleusen von V-Leuten einzusetzen, hat zur Voraussetzung, dass handfeste Belege für die verfassungsfeindlichen Ziele der AfD vorliegen. Der Verfassungsschutz Thüringen stellt fest, dass die Ideologie, die die Politik der AfD bestimmt, von Positionen gegen die Menschenwürde, gegen das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip beherrscht wird.

Fachleute halten AfD für verbotsfähig

Einen gewichtigen Verstoß gegen die Menschenwürde sieht die Behörde zum Schutz der Verfassung unter anderem darin, dass die AfD die deutsche Staatsbürgerschaft mit der ethnisch-kulturellen Volkszugehörigkeit gleichsetzt und die persönliche Freiheit der Menschen einem Konzept der Volksgemeinschaft unterordnet. Erschreckend deutlich konkretisiert sich das in dem vom Landesvorsitzenden Björn Höcke propagierten Projekt der "Remigration", was soviel wie die Rückabwicklung der Migration bedeutet: Auch Menschen mit gesichertem Aufenthaltsstatus sollen verschwinden. Wobei er noch einen drauf setzt mit der Anmerkung, dass bei der Durchführung der Remigration "wohltemperierte Grausamkeiten" nicht zu vermeiden wären. Das ist Rassismus pur und Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip gleichermaßen.

Verbote mit Hürden

Zwei Verbotsverfahren gegen die NPD scheiterten bislang. Beim ersten Anlauf stellte das Bundesverfassungsgericht im März 2003 das Verfahren ein – wegen Gefahr der "fehlenden Staatsferne": Zu viele V-Leute des Verfassungsschutzes waren in der Partei aktiv. Die Verfassungswidrigkeit der Partei wurde damals gar nicht überprüft. Beim zweiten Versuch, 2017, stellte das Gericht hingegen fest: Die NPD strebe die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an und ziele auf eine Ersetzung der bestehenden Verfassungsordnung durch einen an der ethnischen Volksgemeinschaft ausgerichteten autoritären Nationalstaat: "Dieses politische Konzept missachtet die Menschenwürde aller, die der ethnischen Volksgemeinschaft nicht angehören, und ist mit dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip unvereinbar", hieß es im Urteil. Für ein Verbot war das den Richtern aber nicht genug, da sie das Kriterium der "Potenzialität" mit einfließen lassen hatten. Demnach sei die NPD schlicht zu klein und unbedeutend, um ihre Ziele zu verwirklichen. Die AfD hingegen hat deutlich mehr Abgeordnete im Land und einen umfänglichen Apparat hinter der Partei. Rechtlich denkbar wäre es zudem, einzelne Landesverbände einer Partei zu verbieten.  (min)

In der Gesamtbewertung der AfD Thüringen kommen viele Fachleute, etwa der Jurist und Autor Heribert Prantl oder das Deutsche Institut für Menschenrechte, zu dem Ergebnis, dass die Intensität der Verfassungsfeindlichkeit der AfD zu einem Verbot der Partei ausreichen würde. Das heißt, es besteht weitgehend Übereinstimmung darüber, dass die AfD Thüringen im Kern eine verfassungsfeindliche Partei ist, die die Abschaffung der demokratischen Grundordnung zum Ziel hat, auch wenn die entsprechend zuständigen politischen Gremien es zum jetzigen Zeitpunkt (noch) nicht für politisch opportun halten, formalrechtlich einen Verbotsantrag zu stellen.

Die hier aufgezeigte verfassungsrechtliche Dimension der Mehrheitsbeschaffung durch eine verfassungsfeindliche Partei schlägt die politisch-pragmatische Rechtfertigung der CDU und ihres konservativen medialen Begleitchores aus dem Feld. Dies wird noch deutlicher werden, wenn die CDU einen Gesetzentwurf zum Verbot einer geschlechtergerechten Sprache (Gendersprache) in allen Landesbehörden und Schulen einbringt und, wie angekündigt, erneut mit den Stimmen der AfD eine parlamentarische Mehrheit gegen die Minderheitsregierung hergestellt wird.

Eine CDU, die zweifellos ihren angestammten Platz innerhalb des Verfassungsbogens hat, und die sich von einer AfD, die genauso zweifellos außerhalb des Verfassungsbogens agiert, eine parlamentarische Mehrheit beschaffen lässt, infiziert sich mit dem Virus der Verfassungswidrigkeit und wird damit Teil einer verfassungsrechtlich toxischen Gemengelage. Bleibt mit Spannung abzuwarten, ob sich neben CDU-Funktionären und Mandatsträgerinnen der wertkonservative Teil der CDU-Wählerschaft ebenfalls infizieren lässt.


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1 Kommentar verfügbar

  • Dietmar Rauter
    am 27.09.2023
    Antworten
    Es geht eigentlich um 'Werte' im Idealbild der Demokratie, wie sie sich im Grundgesetz darstellen sollte. Ja, es gab sie bei vielen CDU-Politikern mit Anstand und Überzeugung: Christliche Lehre und Konservatisvismus, der positive Erfahrungen der Gesellschaft weiter trägt, aber auch überprüft.…
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