Jetzt sitzen sie erste Reihe fußfrei und komfortabel in der Opposition, zeigen bei unpopulären Entscheidungen auf Grüne und Rote, schrappen in der Wortwahl immer wieder haarscharf an der Zündelei vorbei. CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf verlässt den Flüchtlingsgipfel vorzeitig, was ihn an markigen Worten vor laufenden Kameras nicht hindert. Thomas Strobl, CDU-Landeschef und Merkels Vize, will schon seit Längerem Hand an die kümmerlichen Reste dessen legen, was einmal das von der Verfassung geschützte Grundrecht auf Asyl war: Es mache keinen Sinn, "Asylbewerber nach Deutschland zu lassen, um ihnen dann nach einem aufwändigen Verfahren zu sagen: Jetzt müsst ihr wieder gehen". Peter Scholl-Latours reaktionäre Uralt-Leier, Deutschland könne die Probleme der Welt nicht lösen, "indem man Kalkutta herholt", darf im Standardrepertoire nicht fehlen. Aktuell verlangt Strobl von Winfried Kretschmann, Kosovo, Albanien und Montenegro zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Theaterdonner gibt's gratis dazu: "Handeln Sie, Herr Ministerpräsident - bevor es zu spät ist!"
Aber nicht nur die Parteispitze, christlich-demokratische Bürgermeister, Spitzenbeamte, Kreisvorsitzende oder einfache Mitglieder kühlen - erst recht vor Multiplikatoren hinter verschlossenen Türen - ihr Mütchen an Grün-Rot, speziell am Regierungschef persönlich, immer die Landtagswahl im nächsten März und das Stimmenpotenzial rechts der Mitte fest im Blick. Agieren wie CSU-Chef Horst Seehofer: Zuerst die Ängste der Bevölkerung mit immer neuen Warnungen vor massenhaftem Asylmissbrauch zu schüren - wie seit eh und je gerne unter tätiger Mithilfe der Springer-Presse -, um dann Andersdenkenden vorzuwerfen, sie würden diese Ängste nicht ernstnehmen. Oder erheben Forderungen, die eine große Mehrheit in ihrer Union jahrzehntelang vehement abgelehnt hat, die zurzeit angesichts der Zuwanderungszahlen aber schwer erfüllbar sind: Auf einmal will sogar die Landtagsfraktion - geführt von Guido Wolf - eine Integrationsoffensive starten, auf einmal sollen Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt geschaffen und zusätzliche Mittel in die Sprachförderung gesteckt werden.
Einziges Ziel der Asylpolitik: Abschreckung
Grün-Rot regiert mehr als vier Jahre und muss sich an eigenen Konzepten, an Versprechungen, vor allem an deren Umsetzung messen lassen. Dem Gros der Unionspolitiker fehlt zur Beckmesserei allerdings jede Legitimation, weil noch immer viel zu viele von ihnen das eigene Versagen nur in seltenen hellen Momenten eingestehen. Dabei war das einzige Ziel der Ausländerpolitik seit Ende der Siebziger Jahre Abschreckung. Kein Geringerer als Lothar Späth, gerühmt als Menschenfänger, Kunstliebhaber und Modernisierer mit wirtschaftlichem Weitblick, ist Urheber dieser Strategie. Und er war stolz darauf.
Baden-Württembergs fünfter Ministerpräsident entschied als erster bundesweit, Einwanderer in Kasernen unterzubringen, trotz erheblicher Mehrkosten. Seine Erkenntnis: "Die Zahl der Asylbewerber ist erst gesunken, als die Buschtrommeln signalisiert haben: 'Geht nicht nach Baden-Württemberg, dort müsst ihr ins Lager'." 35 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs blieb der Aufschrei aus, in der eigenen Partei, aber auch in weiten Teilen der Gesellschaft. Bei den Landtagswahlen 1980 fuhr Späth 53,4 Prozent der Stimmen ein, vier Jahre später waren es immer noch knapp 52.
6 Kommentare verfügbar
Schwabe
am 07.08.2015Ich teile Ihre Meinung.
Wenn sich Deutschland darüber hinaus, im Rahmen seiner Möglichkeiten, in den Herkunfstländern dann noch um weitere, echte Aufbauhilfe bemüht (Aufbauhilfe die den Menschen dient und nicht ausschließlich dem Kapital/der Ausbeutung), hätten wir andere/friedlichere…