Frau Lochbihler, ertrinkende Flüchtlinge im Mittelmeer, kriminelle Schlepper, überforderte Länder in Südeuropa – die Liste der offenen Baustellen in der EU-Flüchtlingspolitik ist lang. Haben Sie nicht manchmal das Gefühl, Sie wüssten nicht, wo Ihnen der Kopf steht?
Als Menschenrechtspolitikerin habe ich zu 90 Prozent mit solchen Themen zu tun. Die Abgründe, was Menschen anderen Menschen antun können, oder Kriege, Krisen und nicht zur Ruhe kommende Bürgerkriege sind eigentlich mein täglich Brot. Was mich in dieser Debatte der EU-Flüchtlingspolitik aber wirklich erzürnt, ist diese Verlogenheit. Dass die politische Ebene keinen wirklichen Willen zeigt, hier zu einer Lösung zu kommen. Und das dann im zweiten Schritt wieder als Lösung verkauft.
Wie müsste denn Ihrer Meinung nach die Flüchtlingspolitik aussehen?
Es ist ja ganz klar, dass wir eine Politik brauchen, die Europäische Union nicht weiter abzuschotten. Die Wege, legal in die Union zu kommen, müssen größer werden und gangbarer für die Flüchtenden.
Halten Sie das aktuell für das drängendste Problem?
Wenn ich mir anschaue, was Flüchtlinge brauchen, dann ist das der Kern. Wenn die einen Zugang hätten zu uns, dann müssten Flüchtlinge nicht viel Geld an Schlepper zahlen und auf einer gefährlichen Reise ihr Leben und das ihrer Kinder riskieren.
Wie könnten diese legalen Zugangswege aussehen?
Wir haben bereits Angebote für Saisonarbeiter oder für Hochqualifizierte. Aber wir müssten viel aktiver schauen, wo wir Arbeitsmarktfelder haben, in die wir Arbeitnehmer einladen können. Auch konservative wirtschaftliche Thinktanks sagen, selbst wenn wir alle Arbeitslosen in Lohn und Brot brächten, könnten wir als europäischer Kontinent mit dieser demografischen Entwicklung nicht einfach weitermachen wie bisher.
Aber es gibt ja heute schon die Blue-Card-Regelung, über die qualifizierte Arbeitskräfte nach Europa kommen können. Sie wird bisher nur kaum genutzt.
Früher gab es einmal ein Konzept mit dem Arbeitstitel "zirkuläre Migration". Der Grundgedanke war richtig: dass man nämlich in der EU Arbeitsmigration bräuchte, die nicht so restriktiv ist – dass Menschen hin und her können, wieder zurück in ihre Heimat, dass sie nur für eine bestimmte Zeit kommen. Man müsste auf europäischer Ebene noch exakter schauen im nicht akademischen Bereich, im Pflegebereich und in den Sozialberufen: Wo fehlen uns noch viele Arbeitskräfte. Das schreibe ich dann in einem Land aus, das zum Beispiel schon so ausbildet, dass der heimische Markt gar nicht alle Arbeitskräfte aufnehmen kann. In Tunesien bilden schon jetzt die Kranken- und Pflegedienste für die Arbeit im Ausland aus, etwa für die Golfstaaten.
2 Kommentare verfügbar
H.Ewerth
am 17.09.2015Man will doch damit, nur…