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Ein Dank an die Zivilgesellschaft

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Noch am Montag erlebte der Fotograf Luigi Toscano eine "wunderschöne Eröffnung" seiner Ausstellung. Am Tag darauf: der Schock. Toscano klingt nachdenklich am Telefon, kann nicht verstehen, was solche Leute antreibt: Seit 2015 zeigt er großformatige Porträtbilder von Holocaust-Überlebenden. Erst in Mannheim, später in New York und Kiew, zuletzt auf dem Schulhof der Jerg-Ratgeb-Realschule in Herrenberg. Dort haben Unbekannte in der Nacht zum vergangenen Dienstag die Aufnahmen mit Hakenkreuzen und Hitlerbärten beschmiert.

Toscanos Aufnahmen sind konfrontativ, die Protagonist:innen suchen den direkten Blickkontakt. Die Bilder sind immer im öffentlichen Raum ausgestellt, damit die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit nicht nur denen überlassen bleibt, die sich darauf einlassen wollen, wie der Fotograf erklärt. Die antisemitischen Schmierereien haben ihn getroffen – auch weil sich mit vielen der 400 Überlebenden, die er bislang porträtiert hat, Freundschaften entwickelt haben. Kurz hat er überlegt, die Ausstellung in Herrenberg abzubauen. Aber die Gespräche mit Schüler:innen hätten ihm wieder Mut gemacht.

Eine ähnliche Situation gab es 2018 in Wien – der einzige andere Fall, in dem Toscanos Bilder angegriffen wurden. Damals war er am Boden zerstört. Dann hat eine der Porträtierten, deren Bild mit Hakenkreuz beschmiert wurde, sich bei ihm gemeldet – und klargemacht: "Du lässt dich nicht kleinkriegen, Luigi. Haben wir uns kleinkriegen lassen?" Seitdem ist er überzeugt, dass Aufgeben keine Option ist. Insbesondere mit Blick auf das Wiedererstarken faschistischer Kräfte.

Um ein Haar wäre am vergangenen Wochenende ein AfD-Kandidat im Thüringer Nordhausen zum Bürgermeister gewählt worden. Er kam auf erschreckende 45,1 Prozent. Dass seine Wahl verhindert wurde, ist ein Erfolg der Zivilgesellschaft. Denn nicht der wiedergewählte Kai Buchmann (parteilos) hat sich in den Wahlkampf gehängt, auch nicht die anderen Parteien. Nein, es waren Vereine, Verbände, Kulturinstitutionen. Sie klärten auf, luden zu Debatten ein, suchten das direkte Gespräch mit den Wähler:innen.

Es ist also klug, sich im Kampf gegen Rechtsextremisten nicht zu sehr auf die mehr oder weniger bürgerlichen Parteien zu verlassen, sondern selbst aktiv zu werden. In Stuttgart will ein gerade entstehendes Netzwerk gegen rechts Strategien und Aktionen organisieren, langfristig und verbindlich. Eine erste Kundgebung gibt es am 14. Oktober ab 14 Uhr auf dem Stuttgarter Schlossplatz.

Auch in Göppingen vernetzt sich die Zivilgesellschaft. Ein breites Bündnis ruft für nächsten Dienstag, den Tag der Deutschen Einheit, zu einer Solidaritätsaktion auf. Aufgeschreckt hat sie, von Linken bis FDP über Kirchen und den Sozialverband VdK, das Vorgehen einiger AfDler gegen die grüne Landtagsabgeordnete Ayla Cataltepe (Kontext berichtete hier und hier). Treff ist am 3. Oktober um 11 Uhr auf dem Göppinger Schillerplatz. Damit nicht diejenigen das Sagen haben, die meinen, andere einschüchtern zu dürfen.

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Er hat uns abgemahnt und beim Hamburger Landgericht eine einstweilige Verfügung erwirkt: Der suspendierte Polizei-Inspekteur Andreas Renner hat damit erreicht, dass Kontext ihn nicht in einer bestimmten Weise benennen darf, wie es zig andere Medien getan haben. Wir müssen nun etwa 6.000 Euro zahlen. Höchste Zeit also, mal wieder zu erwähnen, dass sich unsere Zeitung und unsere Arbeit durch Spenden finanziert. Denn Kontext ist gemeinnützig. Wir freuen uns, wenn Sie uns unterstützen (dann geht es hier entlang).

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In der vorigen Woche waren angehende Abiturient:innen des Theodor-Heuss-Gymnasiums Esslingen bei Kontext zu Besuch. Die 15 Schüler:innen hatten sich im Unterricht intensiv mit "Kontrolle politischer Herrschaft durch Medien" beschäftigt und nutzten nun die Gelegenheit, die Redakteur:innen von Kontext nicht nur dazu zu löchern. Ein Gespräch, das uns viel Freude bereitete. Und das, wie aus gut unterrichteten Kreisen zu erfahren war, auch den jungen Leuten Spaß gemacht hat.


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1 Kommentar verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 27.09.2023
    Antworten
    SWR Aktuell B-W / Stuttgart veröffentlicht noch gestern Abend 22:14 Uhr Künstler Toscano will Ausstellung in Herrenberg fortsetzen | Hakenkreuze: 12-Jähriger beschmiert Bilder von
    Holocaust-Überlebenden [1]

    „Es ist also klug, sich im Kampf gegen Rechtsextremisten nicht zu sehr auf die mehr oder…
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