Selbst den Youngstern imponiert sein Engagement – "irgendwie", sagt einer schulterzuckend. Gut zehn Minuten nimmt sich der Gründungsgrüne Zeit, ihre Vorwürfe zu parieren. "Menschenrechte sind nicht verhandelbar", steht auf einem Pappkarton, das "nicht" ist Rot unterstreichen. "Stimmt", erwidert er, "aber darum ging's doch gar nicht." Als eine junge Frau nachfragt, erhöht Kretschmann, was er so oft tut in solchen Situationen, die Phonzahl: "Es geht um den fragilen gesellschaftlichen Konsens."
Die Materie ist diffizil und für Schnellschüsse schlecht geeignet. Mehr als 100 000 Menschen haben laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bis Ende August ihren Asylerstantrag in Deutschland gestellt. Die meisten aus Syrien, noch mehr aber kommen aus jenen Staaten, die neuerdings unter dem Begriff Westbalkan zusammengefasst sind: Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina. Viele von ihnen sind Roma, sie leben in Slums, in Baracken an der Müllhalde, die Familien sind geächtet, die Kinder vom Schulbesuch ausgeschlossen, die zuständigen Behörden und Regierungen kümmern sich nicht um sie.
Die drei Länder wollen zwar in die EU, rufen aber nicht einmal von Brüssel zweckgebunden bereitgestellte Projektmittel ab. Seit die Visapflicht gefallen ist, suchen immer mehr Menschen ihr Heil in der Flucht. Eigentlich könnte die Bundesrepublik sie alle schon an der Grenze zurückschicken, weil sie durch einen sicheren Drittstaat einreisen – aber es gibt bekanntlich keine Kontrollen und Schlagbäume mehr. Slowenien, Italien und Österreich sind deutlich weniger attraktiv, in Ungarn werden Sinti und Roma noch schlechter behandelt als in jenen Regionen, die sie verlassen. Also Deutschland, ohne jede Chance auf Anerkennung.
Mit der Gesetzesänderung einher geht eine Umkehr der Beweislast: Der Staat geht davon aus, dass die Herkunftsstaaten sicher sind, die Asylbewerber müssen diese Annahme plausibel widerlegen und belegen, dass sie politisch verfolgt werden. Kretschmann selber räumte im Bundesrat Diskriminierung, Verfolgung und Drangsalierung ein. Aber am schweren Schicksal der Roma könne das Asylrecht nichts ändern: "Das ist das falsche Instrument." Und er gab einen Einblick in sein Verständnis von Regierungsverantwortung: "Ich halte die Sichere-Herkunftsstaaten-Regelung für falsch, aber sie hat Verfassungsrang." Die Parallelen zu Stuttgart 21 liegen auf der Hand. Einer Volksabstimmung, selbst wenn sie unzulänglich war, ist die eigene Haltung unterzuordnen. "Ich bin kein Ideologe", hat er den jungen Parteifreunden auf der Straße gesagt, "sondern Ministerpräsident."
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Aber Jupp, wir haben doch die Nazis
am 27.09.2014