Haltung ist Mangelware in der Union in diesen Tagen, aber nicht gänzlich ausgestorben. "In der Thüringer Konstellation ist es nun mal so, dass die CDU nicht nur gegen die Regierung opponieren, sondern auch die AfD politisch bekämpfen muss", analysiert der frühere Generalsekretär Ruprecht Polenz, "im Zweifel hat Letzteres Vorrang." Noch deutlicher wird Daniel Günther, Ministerpräsident in Schleswig-Holstein, der klarstellt, dass "man als Konservativer schlicht und einfach den Satz sagen muss: Ich bilde keine Mehrheit mit Extremisten und wenn ich darauf angewiesen bin, dann weiß ich in dem Augenblick, ich kann meine Hand nicht dafür heben". Also müsse auch bei eigenen Initiativen der CDU in Parlamenten ein "wie auch immer geartetes Zusammenwirken" ausgeschlossen sein. Parteichef Friedrich Merz verteilte für die Aussage eine tüchtige Watschen. Denn Günther vertrete ja bloß eine Einzelmeinung: "Es gibt sonst niemand in der CDU, der das teilt." Wer es gut meint mit der Union, muss hoffen, dass ihr Vorsitzender falsch liegt.
Von einer großen Mehrheit derer, die sich zu Wort melden, wird ausgetestet, wie groß ihre Spielräume sein könnten, wie die Bevölkerung auf die in Thüringen gesuchten und gefundenen Schnittmengen mit der AfD reagiert, wie sich die Aufregung im Netz, in der realen Welt und den klassischen Medien bändigen lässt. Vor allem ist das Erfurter Zusammenspiel zwischen CDU, FDP und dem besonders nationalistischen Landesverband der "Alternative für Deutschland" die Probe aufs Exempel, ob die Parteispitze durchkommt mit einer Neudefinition von dem, was in der deutschen Sprache "Zusammenarbeit" heißt. Zu diesem Zweck wird erstens ein großflächiges Verwirrspiel ins Werk gesetzt und zweitens versucht, sämtliche bisherigen Abgrenzungsbeschlüsse vergessen zu machen – denn die waren völlig unzweideutig.
Zum Beispiel Thorsten Frei (CDU), früher mal Oberbürgermeister in Donaueschingen, mittlerweile Merz' rechte Hand bei der Führung der Bundestagsfraktion, will Leute vorsätzlich hinter die Fichte führen mit seiner Klage, dass "wir unsere parlamentarischen Initiativen nicht davon abhängig machen können, ob sie die Zustimmung oder Ablehnung der AfD finden". Der Profi weiß nach fast einem halben Jahrhundert in der Politik natürlich genau, dass es in Erfurt darum nicht ging und geht. Denn die von Björn Höcke geführte AfD-Fraktion hat nicht einfach zufällig mit den beiden anderen Oppositionsfraktionen votiert. Sondern nach den vorangegangenen Ausschussberatungen wussten und wollten CDU und FDP, dass die sogenannte Brandmauer eingerissen würde mit dem gemeinsamen Ja zur Steuersenkung – aus Kalkül und mit voller Absicht.
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NKs
am 25.09.2023"Wenn nun die momentan Verlierenden ihre Abtrünnigen nicht nach den Gründen fragen, sondern sie als Nazis beschimpfen, werden die dann umkehren?" - nein. Das verstehen aber die Parteien, insb. die Grünen und die sog. Leitmedien nicht. Sie werden deswegen…