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Bürgerdialog der Grünen BW

"Pfiffe gab es früher nicht"

Bürgerdialog der Grünen BW: "Pfiffe gab es früher nicht"
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Wenn die grüne Landtagsfraktion in Klausur geht, lädt sie an einem Abend zum Bürgerdialog. So auch kürzlich in Weilheim: Abgeordnete stellten sich den Fragen der Bürger:innen und hörten ihnen zu. Nicht immer einfach. Vor allem wenn auch Rechte kommen, die von Dialog eher wenig halten.

Es war groß beworben worden mit einem Foto von Ministerpräsident Winfried Kretschmann und dem Fraktionsvorsitzenden Andreas Schwarz. Plakate hingen bis nach Plochingen und Göppingen, Vereine und Verbände waren per Brief eingeladen worden. Die grünen Landtagsabgeordneten wollten mit den Bürger:innen ins Gespräch kommen, wissen, welche Themen Menschen beschäftigen. Im Grunde reicht da ein Blick in soziale Medien oder lokale Zeitungen, so es sie noch gibt. Aber von Mensch zu Mensch ist ja immer besser. Außerdem hat Kretschmann nach seinem Amtsantritt vor zwölf Jahren ja eine "Politik des Gehörtwerdens" versprochen.

Testen wollten das in der Limburghalle in Weilheim/Teck etwa 300 Frauen und Männer. Ihre Auswahl war groß, denn wegen der Klausurtagung der Fraktion in Bad Boll waren viele der 58 Abgeordneten da und fast alle grünen Minister:innen. Wer eine Erinnerung mitnehmen wollte, konnte Vesperbrettle, Kugelschreiber und Brotbeutel einpacken.

Bereits eine knappe Stunde bevor Schwarz und Kretschmann den Abend eröffnen, stehen vor den Türen der Halle etwa zwölf Leute, die offensichtlich keine Grünen-Anhänger:innen sind, wie das T-Shirt eines Mannes mit der Aufschrift "Keine Heizung ist illegal" vermuten lässt. Sie wollen eine Kundgebung abhalten, sagt einer. Ein kräftiger, älterer Polizist erklärt, das gehe ohne Anmeldung leider nicht. Sie mögen sich doch in Zweiergruppen locker aufstellen und Ruhe bewahren. Es folgt Gegrummel über "Demokratie" und "Versammlungsfreiheit". Der Polizist bleibt freundlich: "Find' ich ja gut, was ihr wollt, aber so geht es eben nicht." "Und jetzt? Gehen wir was trinken?" Ratlosigkeit macht sich breit. Was wollten sie denn hier sagen? "Über Windkraft mit denen reden", erklärt ein breiter Mittfünfziger. "Das ist doch ein Thema. Also ich habe Solar auf dem Dach, da muss was passieren. Aber Windräder, wenn gar nicht genügend Windlast da ist ..." Er stellt sich als Uwe von Wangenheim vor, war bei der Landtagswahl 2021 (erfolgloser) Kandidat der AfD. Rein zum Bürgerdialog mag er nicht, glaubt, "die lassen uns gar nicht rein", will die Probe aufs Exempel aber nicht wagen und zieht mit einem Teil der aus Göppingen angereisten Truppe davon.

Bei Kretschmann wird es laut

So verpasst er die Reden von Andreas Schwarz und Winfried Kretschmann. Schwarz verspricht: "Es geht um Ihre Themen" und erzählt, dass der Ausbau der regenerativen Energien voranschreite, was ein paar Zuhörer:innen zu höhnischem Gelächter provoziert. Der Abgeordnete aus dem Wahlkreis Kirchheim reagiert: Es gebe Leute, die kein Interesse an stabilen Verhältnissen hätten – Zwischenruf: "Was ist mit Krieg?" Schwarz: "Hass und Hetze dürfen keinen Platz haben in einer liberalen Stadt, in einem innovativen Baden-Württemberg."

Es sind nicht alle, die vor der Tür gegrummelt haben, in die Kneipe gezogen. Noch halten sie sich im Saal zurück, warten auf Kretschmann. Der lobt die Region rund um Weilheim wegen ihrer Natur (blühende Apfelbäume im Frühjahr) und der Industrie, lobt die Weilheimer, weil sie sich deutlich für die Ansiedlung der Brennstoffzellenfabrik Cellcentric ausgesprochen haben. Denn so etwas sei wichtig für Klimaschutz und Wohlstand. Dass es bei der Planung für die Fabrik holpert, erwähnt Kretschmann genauso wenig wie vorher Schwarz oder anschließend Weilheims Bürgermeister Johannes Züfle (Freie Wähler). Die Stadt hat das vorgesehene Gelände Rosenloh noch immer nicht zusammen, denn ein Grundstücksbesitzer will nicht verkaufen. Fragen am Rande der Veranstaltung, was nun geplant sei, beantworten weder Schwarz noch Züfle.

Weiter geht's mit Kretschmann, der über nachhaltiges Wachstum redet, über Schlüsselindustrien, neue Produktionslinien, um die gekämpft werden müsse, weil es "einen dramatischen Wettbewerb mit den USA und China" gebe. Auch um den zu bestehen, müsse Bürokratie abgebaut werden, was aber nicht ohne die Bürger gehe. Wenn immer maximale Sicherheit und maximale Gerechtigkeit erwartet werde, dann werde das nämlich nichts mit dem Bürokratieabbau. Auf alle Fälle: Baden-Württemberg ist super und vom Absteigerland Deutschland könne keine Rede sein. Zwischenrufe werden lauter: "Hahaha", "Lügner", "Heuchler", "Kriegstreiber" ist zu hören. Als der Ministerpräsident die Worte "ukrainische Flüchtlinge" in den Mund nimmt, die das Land aufgenommen hat, werden die paar Kritiker:innen richtig laut. Gellende Pfiffe, Buh-Rufe, "Die sollen in ihren Ländern bleiben!" Wer da pfeife, befindet Kretschmann, "solle sich nicht wundern, wenn die besten Köpfe der Welt woanders hingehen".

Nachdem Bürgermeister Züfle sich mit Blick auf den anwesenden Verkehrsminister Winfried Hermann noch den Ausbau des Albaufstiegs der A8 und eine Verlängerung der S-Bahn bis Weilheim gewünscht hat, tritt eine Pause ein, in der die Besucher:innen sich ihre Thementische suchen. Über zehn Stehtischen hängen Schilder mit Aufschriften wie "Asyl & Integration", "Soziales, Gesundheit & Pflege", "Finanzen" und so weiter, an den Tischen stehen die Fachpolitiker:innen in Erwartung ihrer eventuellen Wähler:innen.

Draußen Genörgel, drinnen Diskussion

Von denen haben einige den Saal verlassen, stehen nun vor der Tür. Es ist ein guter Teil derer, die drinnen gepfiffen haben. Sie schimpfen vor sich hin. Abgeordnete sind nicht rausgekommen, aber eine Frau um die 40 fordert die Mauler:innen auf: "Gehen Sie doch rein, jetzt können Sie mit den Abgeordneten reden." Aber dazu ist hier niemand bereit. "Nein! Ich will das öffentlich sagen. Nicht an so einem Tisch", antwortet ein etwa 50-Jähriger und verschränkt die Arme. Die Frau bemüht sich noch ein paar Mal, gibt dann auf. "Ich sehe, das ist sinnlos, Sie wollen gar nicht reden."

Und so müssen die Fachpolitiker zum Beispiel für Integration und Asyl wenig Sorge haben, mit allzu aggressiven Bürger:innen zusammenzustoßen. Ein älterer Herr bespricht mit MdL Andrea Evers die vielen Probleme, die mit Flucht zusammenhängen: Elend der Menschen, die Kosten, die Unzufriedenheit mancher Bürger:innen, die Probleme der Kommunen bei der Unterbringung, die Verteilung in Europa. "Wie viele Flüchtlinge verträgt ein Land?", fragt der Herr mehr sich selbst. "Ganz schwierige Frage." Die parlamentarische Beraterin Germaine Knoll-Merritt hört sich von einer Frau an, dass alles völlig okay sei, "wenn die Männer aus Syrien brave Jungs wären", aber wenn sie Frauenrechte nicht respektierten, "dann muss man die rausschmeißen. Da hab ich keine Lust drauf. Lieber Platz für Mütter mit Kindern machen".

Patrizio Montesi ist aus Göppingen gekommen, weil er den Grünen mitteilen will, wie enttäuscht er von ihnen ist. Wegen der Waffenexporte, den Geflüchteten und vor allem der Zustimmung zum Infektionsschutzgesetz. Er räumt ein: "Ich weiß nur noch eine Partei, die ich wählen würde". Welche? "AfD." Vor allem Corona und alle Begleiterscheinungen haben den 54-Jährigen, der sehr ruhig erzählt, aus dem bürgerlichen Parteienlager entfernt. "Ich bin kein grundsätzlicher Impfgegner. Aber dem Impfstoff habe ich nicht getraut." Da habe er viele Anfeindungen ertragen müssen. Was müssten denn die anderen Parteien tun, damit er wieder zurückkommt? "Ehrlich sein, die christlichen Werte hochhalten und den Bürgern zuhören." Den Bürgerdialog findet er gut. "Das kann ruhig öfter gemacht werden." Damit ist Montesi einer von wenigen, die sich im rechten Lager verorten, der tatsächlich die Möglichkeit des Bürgerdialogs nutzt. Viele aus diesem Lager wollen sich ganz offensichtlich nicht auseinandersetzen, sondern maulen lieber rum wie die Gruppen vor der Tür.

Einseitiger Dialog, enttäuschte Sozialdemokratin

Das ist auch die Erfahrung von Stefanie Seemann, Abgeordnete aus dem Enzkreis. Als frauenpolitische Sprecherin war sie an diesem Abend weniger gefragt. "Das scheint kein Thema zu sein." Immerhin mit Hebammen habe sie geredet. Seit 2016 sitzt sie im Landtag, dass bei einem Bürgerdialog so gepfiffen wird, sei neu. "Das gab es früher nicht." Allerdings stellt sie auch in ihrem Bürgerbüro in Pforzheim fest: "Die Leute werden unwirsch." Sie bekomme viele Briefe, in denen sie selbst, beziehungsweise die Politik für fast alles verantwortlich gemacht werde.

"Beschimpfungen beantworte ich natürlich nicht. Aber ich versuche zu erklären, wo ich als Landespolitikerin überhaupt eingreifen kann. Und dass man in Koalitionen eben Kompromisse machen muss." Die 64-Jährige schaut ein wenig gequält. Sie muss Kompromisse erklären, doch sie hat den Eindruck, dass viele Bürger:innen immer weniger zu Kompromissen bereit sind.

Das eine ist mangelnde Kompromissbereitschaft, die politische Arbeit schwierig macht, das andere – nun ja – Halbwissen. Finanzminister Danyal Bayaz wird von einem Rentner zugetextet. "Das geht doch nicht, dass welche mit 45 anfangen zu arbeiten und mit 62 in Rente gehen." Sein Nebensteher interveniert: "Aber das kann man doch gar nicht." "Trotzdem." Er wendet sich wieder an Bayaz und beklagt, dass "alle" jetzt studieren, das Handwerk aber keinen Wert mehr habe. "Und jetzt wollen die noch den Numerus Clausus abschaffen. Das ist doch Wahnsinn." "Wer will den NC abschaffen?", fragt Bayaz. Der Rentner stockt. "Na, ihr jetzt nicht. Aber … so allgemein." Abgeordnete haben es auch nicht immer leicht.

Da ist eine Gesprächspartnerin wie Martina Heer schon angenehmer. Sie arbeitet als Verwaltungsfachfrau bei der Polizei, ehrenamtlich ist sie Kreisvorsitzende des Sozialverbandes VdK Göppingen. Sie will den grünen Sozialpolitiker:innen mitteilen, dass ihr Verein in den vergangenen zehn Jahren von 2.600 auf 4.000 Mitglieder gewachsen ist. "Kein gutes Zeichen", sagt die 56-Jährige, weil es bedeutet, dass immer mehr Menschen in sozialer Not Hilfe brauchen. Große Themen für ihre Leute seien steigende Nebenkosten und Mieten, Angst um die Wohnung und es gebe viel Unmut, wenn Asylbewerber zügig eine Wohnung bekommen, andere aber schon lange auf eine Sozialwohnung warten. Heer: "Mit den Politikern will ich darüber reden, was ich meinen Leuten sagen kann, um ihnen Hoffnung zu machen, dass etwas passiert." Und? Was kann sie am Ende mitnehmen? "Ehrlich gesagt, nicht viel. Mein Eindruck war, dass denen die sozialen Probleme nicht wirklich klar sind. Ich weiß nicht, was ich meinen Leuten sagen kann." Das ärgert die Sozialdemokratin: "Auch weil das Wasser auf die Mühlen von den Rechten ist."


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3 Kommentare verfügbar

  • Karl Heinz Siber
    am 24.09.2023
    Antworten
    Das Format "Bürgerdialog" ist vielleicht gut gemeint, aber eigentlich doch eine Feigenblatt-Veranstaltung. Hier treffen einfache, in der Regel nicht besonders gut informierte Bürger auf versierte Politprofis, die auf jede vom Bürger vorgebrachte Kritik eine schablonenhafte Antwort aus dem Ärmel…
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