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Hubert Aiwanger

Noch ein Schriftstück

Hubert Aiwanger: Noch ein Schriftstück
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Ein Brief an den langjährigen NPD-Landesvorsitzenden Jürgen Schützinger trägt auch die Unterschrift von Hubert Aiwanger. Die Freien Wähler in Baden-Württemberg baten darin um Unterstützung für die Landtagswahl 2021.

Er übernehme die volle Verantwortung, beteuert Klaus Wirthwein im Kontext-Gespräch. Der frühere baden-württembergische Landesvorsitzende der Freien Wähler, der sich als "zielstrebig, offen, direkt und ehrlich" beschreibt, will im Februar 2020 rund 650 Schreiben verschickt haben mit der Bitte um Unterstützung vor der Landtagswahl 2021. Auch an Jürgen Schützinger, den langjährigen NPD-Landesvorsitzenden (nachzulesen hier). Wer Schützinger ist, "das ist mir rausgegangen" beteuert Wirthwein. Und Hubert Aiwanger, Bundes- und bayerischer Landeschef der Freien Wähler, habe mit dieser Aktion – abgesehen von der Unterstützung per Unterschrift – "eigentlich gar nichts zu tun".

Die Freien Wähler im Südwesten sahen sich damals im Aufschwung. Sie wollten es nur zu gern den bayerischen Parteifreund:innen gleich tun, die 2018 mit gut elf Prozent zuerst ins Maximilianeum und wenig später in die Koalitionsregierung unter Markus Söder (CSU) eingezogen waren, mit Aiwanger als Wirtschaftsminister und Vize-Ministerpräsident. Ihr Bestreben sei, schrieben Wirthwein und Aiwanger im Februar 2020 an Schützinger, im Jahr darauf auch in Baden-Württemberg die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen. "Der traditionelle bürgerliche Wähler" im Land sehe sich "durch die derzeitige Ausrichtung der bürgerlichen Parteien nicht mehr vertreten". Man wolle mit dem Angeschriebenen "über Ihre Ansichten über das Verhältnis Partei/kommunale Wählergruppen ein Gespräch führen."

Gereicht hat es letztlich trotzdem nicht, nur drei Prozent konnten im März 2021 eingefahren werden. Dafür gibt es wichtige und hausgemachten Gründe, primär die Spaltung in die Partei Freie Wähler und den vor allem auf der kommunalen Ebene stark vertretenen Verein Freie Wähler in Baden-Württemberg. Hinzu kommt innerparteilicher Streit im Landesverband der von Aiwanger als Bundeschef geführten Partei. Wirthwein selbst ist heute nicht mehr im Amt und auch kein Mitglied mehr. Allein die Wortwahl seiner Nachfolgerin Sylvia Rolke ("Wir wollen keinen Krieg") steht dafür, wie belastend und mühsam die Aufräumarbeiten und der vermutlich chancenlose Versuch einer Vereinigung mit dem Verein noch sein werden.

Vier Buchstaben und ein für politisch Interessierte mit gutem Gedächtnis bekannter Name lässt die Geschichte um den Brief pikant werden. Denn Jürgen Schützinger, Ex-Polizist, inzwischen siebzig Jahre alt, und zwei Mal Landeschef der Nationaldemokratischen Partei Deutschland (NPD – im Juni 2023 umbenannt in "Die Heimat"), die 1968 mit immerhin zehn Prozent für vier Jahre in den baden-württembergischen Landtag gewählt wurde, sitzt seit über vier Jahrzehnten ganz rechts außen im Stadtrat von Villingen-Schwenningen. Adressat des Schreibens der Freien Wähler ist er allerdings als Vorsitzender der DLVH, der "Deutschen Liga für Volk und Heimat", die im Herbst 1991 als Sammlungsbecken für diejenigen gegründet wurde, denen die damaligen Republikaner nicht radikal genug waren. Dass das Vorhandensein der DLVH ganz und gar an den beiden Freie-Wähler-Absendern vorbeigegangen sein soll, oder an den Mitarbeitenden, deren Aufgabe es ist zu checken, was die Chefs eigentlich unterschreiben, ist nicht wirklich plausibel.

"Der Hubert", Volkes Stimme

Aiwanger allerdings hat mittlerweile ganz anderes auf dem Kerbholz, und zu erwarten ist, dass Wirthweins freundliche Aufforderung zum konstruktiven Dialog zwischen Freien Wählern und einem gestandenen Rechtsextremisten wie dem unermüdlichen Schützinger eher als Petitesse in seine Vita und die Affäre um ein antisemitisches Flugblatt aus seiner Schulzeit eingehen wird. In letzterer wird inzwischen als feststehende Tatsache kolportiert, dass der Hubert von damals mit dem Hubert von heute rein gar nichts mehr zu tun hat.

Immerhin hat Sylvia Rolke, die neue Landesvorsitzende der Freien Wähler, Nachforschungen angestellt. Die Mannheimerin geht davon aus, dass nicht 650, sondern sogar 1.300 dieser Briefe verschickt worden sind. Hinter Aiwanger steht sie ohnehin, erst recht nach einer internen Schalte zum Thema antisemitisches Flugblatt. Es gebe keine Gründe, ihm seine Distanzierung nicht zu glauben. Aktuelle Ausreißer schreibt die politische Quereinsteigerin der Bierzeltatmosphäre zu. Selbst solche wie die vor einer guten Woche in Lenggries, als der Wahlkämpfer im sich überschlagenden Angriffsmodus die Bundesregierung lauter "Versager" nannte und die "da oben" in Berlin als "Schul-, Berufs- und Studienabbrecher in Rudelstärke" verunglimpfte. (Dabei gibt es drei Professor:innen in der Ampel, zahlreiche Regierungsmitglieder sind promoviert, und alle anderen haben einen Abschluss.) "Von mir würden Sie solche Töne nicht hören", bekennt Rolke im Kontext-Gespräch. Aber "der Hubert" schaue eben einfach dem Volk aufs Maul und treffe Volkes Stimme.

Wahrscheinlich liegt die 43-Jährige, die in Kenia geboren ist und in Burundi und Peru gelebt hat, damit sogar ziemlich richtig. Wahrscheinlich hätte ein erklecklicher Teil der eigenen Anhänger:innen nicht einmal die Zusammenarbeit mit Schützinger für ganz falsch gehalten, was das Thema Verantwortung in ein ganz neues Licht rückt. Aiwanger hat es ganz allein in der Hand gehabt, statt in die Opferrolle zu schlüpfen und seine Fans aufzupeitschen, demütig und mit Anstand den Stecker zu ziehen. Er wollte aber nicht. Und andere, noch Radikalere, werden sich fürderhin auf ihn berufen können. Auch ganz ohne die – unterstellt tatsächlich nie gewollte – Kooperation mit der NPD hat der Bundesvorsitzende seine Freien Wähler auf diese Weise deutlich weiter nach rechts gerückt. Ohne jeden Widerstand in den eigenen Reihen, stattdessen unter anhaltendem Applaus.


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7 Kommentare verfügbar

  • Heiko Wolf
    am 19.09.2023
    Antworten
    Unprofessionell (eher Esoterik)

    Wo ist nun die Unterschrift? Sonst nur Esoterik.
    Also oben und unten abreißen hat ja einen Grund. Unterschrift ist ja kein Datenschutz die ist ja öffentlich (ID).
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