Lokalaugenschein in Haidach, dem 120 Einwohner:innen zählenden kleinen Flecken nordöstlich von Salzburg, Österreich, mit seinem großen unterirdischen Gasspeicher. Hier ist der Himmel ebenfalls weiß und blau und das Gras viel grüner als in weiten Teilen Europas im Hochsommer 2022. Viele Kühe sind vom Typ Simmentaler, so wie jenseits der Grenze im Freistaat. Die Regierungschefs der beiden Länder sind verbunden in der Europäischen Volkspartei, und überhaupt gehörte Salzburg über sechs Jahrhunderte zu Bayern. Aber das ist lange her und in der Krise die Gefahr groß, dass jede:r sich selber der oder die Allernächste ist. Sehr richtig sei das, wenn Österreich jetzt auf das Haidacher Gas zugreift, sagt ein diskussionsfreudiger Einheimischer mit erst einmal strengem Blick auf das Stuttgarter Autokennzeichen. Und: "Jahrelang hat sich niemand für uns interessiert, jetzt kommen jeden Tag Schaulustige."
Und Prominente. Bundespräsident Alexander van der Bellen aus dem fernen Wien hat seine Eröffnungsrede bei den renommierten Salzburger Festspielen mit einem Abstecher zu dem Gasspeicher auf dem platten Land verbunden, und Hubert Aiwanger aus Bayern war auch schon da. Das ist der Freie-Wähler-Chef des Freistaats und für die Energieversorgung zuständige Wirtschaftsminister mit dem verwechselbaren niederbayrischen Dialekt. In dem sagt er, Bedenken tragend, dass es um nichts weniger geht als um die Versorgungssicherheit. Und dass die Bedeutung von Haidach nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
Die Dimensionen sind gewaltig. Bis weit auf die andere Seite der Senke reicht die unterirdische Anlage, sagt der gesprächige Haidacher, und aus der Zeitung weiß er, dass es sich um den zweitgrößten unterirdischen Speicher in Europa handelt, mitbetrieben bis vor Kurzem von einer Gazprom-Tochter, inzwischen per Gesetz enteignet. Zur Zeit ist er fast leer, und das ist erst recht keine gute Nachricht für Bayern. Ebenso wenig die Meldung, dass Österreichs Regierung sich eben erst, ebenfalls per Gesetz, Zugriff auf Lieferungen aus Haidach gesichert hat. Bisher hatte Wien das Gas von dort Süddeutschland überlassen, zur Versorgung von Tirol und Vorarlberg allerdings ebenso.
Das Gas ist verkauft, bevor es da ist
Gegenwärtig läuft das frühere natürliche Erdgasreservoir aus Sandstein langsam wieder voll, auch über Deutschland übrigens, weil es ja noch gar keine österreichische Leitung gibt. Dass die Regierung in Wien dennoch einen Teil für sich beansprucht und einheimische Unternehmen schon Kaufverträge abgeschlossen haben für Mengen, die noch gar nicht da sind, macht künftige Verteilungsprozesse erst recht kompliziert. Wird weiter Gas geliefert, könnte der Haidacher Gasspeicher Ende September bis zu 80 Prozent gefüllt sein. Er werde jetzt wieder etwas ruhiger schlafen, hofft der bayerische Energieminister Aiwanger, bevor er sich vom Acker macht.
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