So mächtig bin ich nicht. Im Übrigen ist das der Versuch, eine Debatte dadurch zu zerstören, indem man sie komplett von der Wirklichkeit abtrennt und irgendwelche ideologische Vorschläge darüberstülpt. Mein Vorschlag hat damit gar nichts zu tun. Ich weise darauf hin, dass uns wegen des Gasmangels eine industrielle Kernschmelze droht, und schlage vor, die Stromerzeugung aus Erdgas deutlich zurückzufahren. Dadurch entsteht ein Stromausfall, der sinnvoll durch Atomkraftwerke kompensiert werden könnte. Nur in diesem einen Winter würde ich deshalb eine Laufzeitverlängerung gerade noch für vertretbar halten. Alles andere ist natürlich vollkommen abwegig.
Wegen der aufgeregten Diskussion, woher wir jetzt Öl und Gas bekommen, gerät eine viel größere Krise fast in Vergessenheit: die Klimaerwärmung, die gerade durch fossile Energieträger angeheizt wird. Sind Flüssiggasterminals und reaktivierte Kohlekraftwerke nicht die exakt falsche Strategie, um die Klimakatastrophe noch zu verhindern?
Wir müssen unterscheiden zwischen kurz- und langfristigem Zeitraum. In den nächsten zehn Monaten sind wir leider noch abhängig von russischem Gas, und wir können in dieser Zeit auch keine zusätzlichen Windräder und Solaranlagen bauen, weil in Deutschland Genehmigungen bis zu zehn Jahre dauern. Mein Vorschlag: Gasverstromung deutlich zurückfahren, Blockheizkraftwerke auf Öl umstellen und den daraus entstehenden Strommangel wie gesagt durch etwas verlängerte AKW-Laufzeit im "Streckbetrieb" kompensieren. Parallel arbeitet Tübingen daran, bis 2030 klimaneutral zu werden. Der Beschluss ist schon zwei Jahre alt. Wir haben gerade die größte PV-Freiflächenanlage in der Stadtgeschichte auf den Weg gebracht. Sie hat 10 Megawatt Leistung und damit zehnmal so viel wie die bisher größte Anlage. So müssen wir vorgehen. Es muss also gelingen, Erdgas, Atomstrom und mittelfristig auch Kohlestrom vollständig durch erneuerbare Energien zu ersetzen. Das ist unsere Aufgabe.
Der Ausbau der erneuerbaren Energien geht gerade im grün regierten Baden-Württemberg nur schleppend voran. Warum hört man dazu nichts von Ihnen?
Vielleicht, weil man nicht zuhört. Ich hab eigens Ministerpräsident Kretschmann im April nach Tübingen eingeladen, um die derzeit größte Solaranlage in der Stadt anzuschauen, die in einer Bundesstraßenauffahrt steht. Ich habe ihm persönlich vorgetragen, dass der Planungsvorlauf acht Jahre und die Bauzeit acht Wochen war – und aus welchen Gründen es zu solchen Verzögerungen kommt. Ich habe auch Vorschläge gemacht, wie sich durch Standardisierung und Gesetzesvorhaben diese Planungszeit reduzieren lässt. Ganz konkret bin ich der Meinung, dass alle Autobahnauffahrten per Landesgesetz zur Solarfläche umgewidmet werden sollten. Denn da steht sicher nichts, was einer PV-Nutzung entgegensteht.
Auch bei der Energieeffizienz passiert außer Appellen, kürzer zu duschen und Gasthermen zu warten, gefühlt nicht viel. Während Spanier per Gesetz im Winter frieren sollen, gibt es hierzulande einen Aufschrei, wenn Wohnungsunternehmen die Heizung nachts absenken wollen, um Gas zu sparen. Braucht es da striktere Vorgaben von Bund und Land?
Im kommenden Winter müssen wir uns warm anziehen, wenn wir die Temperatur aller beheizten Gebäude um drei Grad runter kriegen, dann könnte das ausreichen, um Gasabschaltungen für die Industrie zu vermeiden. Für die Stadt Tübingen haben wir schon Beschlüsse für die Hallenbäder getroffen, wir nehmen die Temperaturen runter. Und wir haben auch schon mit den Schulen gesprochen, dass sie wie andere öffentliche Gebäude in diesem Winter weniger beheizt werden. Das muss jetzt einfach so sein.
Laut aktuellem Deutschlandtrend finden 61 Prozent der Befragten ein befristetes Tempolimit auf Autobahnen richtig. Sie auch?
Ein Tempolimit hilft uns in der Gaskrise nur wenig, da wir bekanntlich Benzin oder Diesel in den Tank füllen. Aber für den Schutz des Klimas ist es natürlich von Vorteil.
Bald steht wieder Weihnachten vor der Tür – mit jeder Menge stromfressender Lichterketten als Weihnachtsdeko. Gibt's heuer ein dunkles Tübingen zur Bescherung, um kostbare Energie zu sparen?
Kann sein. Das ist zwar nur eine Symboldebatte, aber Symbole sind durchaus auch relevant, um allgemein auf die Notwendigkeit des Sparens aufmerksam zu machen. Aber entschieden ist darüber noch nicht. Das Problem ist gerade, dass wir zu oft über Symbolisches reden und nicht über die wirksamen Sachen. Diese müssen zuerst angegangen werden.
Auslöser der Energiekrise ist der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Deutschland liefert nach langem Hin und Her schwere Waffen in das überfallene Land. Der grüne Landesverkehrsminister Winfried Hermann lehnt dies ab und plädiert wie manche Intellektuelle für Verhandlungen. Welche Haltung haben Sie?
Ich fühle mich da nicht wirklich kompetent. Weder kann ich Putins Absichten verstehen noch weiß ich, welche westliche Reaktionen das Ziel, wieder Frieden herzustellen, am besten erreichen könnten. Ich verstehe Winfried Hermanns Position, verstehe aber auch die von Winfried Kretschmann – und halte mich da raus. Ich fühle mich viel kompetenter, als Aufsichtsratsvorsitzender der Stadtwerke Tübingen darauf aufmerksam zu machen, dass wir das große Potenzial nicht nutzen, kein Gas mehr in der Stromerzeugung und in den Fernwärmenetzen einzusetzen. Darum geht's mir.
5 Kommentare verfügbar
Claudia Heruday
am 12.08.2022Nur Intellektuelle sind für Verhandlungen? So ein Quatsch. Diesen "manchen" wird halt zugehört von den Intellektuellen in den Medien, den vielen…