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Brand bei Reifen-Göggel

Bruno, lass es

Brand bei Reifen-Göggel: Bruno, lass es
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Der Gammertinger Bauernsohn Bruno Göggel gilt als größter Reifenhändler Deutschlands. Und niemand kennt ihn. Seine Hochzeit mit Flugshow und finalem Feuerwerk schärft nun den Blick auf seine Heimat: den schwarzen Filz. Angela Merkel inklusive.

Womöglich hat Bruno Göggel geglaubt, er heirate im Himmel, als ihm vier Kunstflieger von Red Bull ein Herz in die Luft zeichneten. Hin und her waren sie am Nachmittag des 23. Juli diesen Jahres über das Laucherttal gedonnert, mit eineinhalb Meter Abstand, knapp über den roten Ziegeldächern der kleinen Stadt, hatten Loopings vollführt und mit dem Zeichen der Liebe geendet, ehe sie am Horizont verschwanden.

Das war ganz nach dem Geschmack des Reifen-Königs, der es einmal richtig krachen lassen wollte. Sonst macht er wenig Aufsehen um seine Person, er meidet die Öffentlichkeit eher, hockt lieber auf dem Bock seiner Trucks. Und so sagt sein Name kaum jemand etwas, obwohl er 1,5 Millionen Pneus auf Lager und viele Millionen Euro auf dem Konto hat.

Am Vormittag noch hat sich der geschiedene 61-Jährige im katholischen Münster zu Zwiefalten, in der schönsten Kirche Baden-Württembergs, mit seiner geschiedenen 38-jährigen Corinna vermählt, wovon die "Bild" als aufmerksamste Berichterstatterin die aufregendsten Bilder druckte. Danach sind beide, begleitet von einem hupenden Konvoi von schwarzen Göggel-Lkws, nach Hause gefahren, wo der Höhepunkt des Abends mit Stargast DJ Ötzi wartete: ein Feuerwerk. Es sollte ein Fiasko werden.

Glück für Göggel, dass der Wind stillsteht

Um 23:30 Uhr brennen Reifen, Gasflaschen explodieren, Fahrzeuge gehen in Flammen auf, in den Himmel aufsteigende Rauchsäulen sind kilometerweit zu sehen. Glück für Göggel und seine 300 Gäste, dass nur eine von acht Hallen brennt, der Wind stillsteht, die Feuerwehren aus fünf Landkreisen schnell vor Ort sind, mit 70 Löschfahrzeugen und 380 Einsatzkräften die Brandherde eindämmen können, und dass sie tatkräftige Unterstützung in Bauern finden, die Löschwasser mit ihren Güllewagen herbeischaffen. Schon am nächsten Morgen kann der Firmenchef verkünden, dass die "gewohnten Geschäftsprozesse unvermindert weiter laufen". Die Staatsanwaltschaft sieht die Ursache kurz danach in der Pyrotechnik, den Schaden beziffert das Unternehmen auf 20 bis 25 Millionen Euro.

Wenige Tage nach dem Brand sitzen wir mit Lothar Wasel auf seinem Balkon mit Panoramablick. Unten im Tal liegt das 6.500-Einwohner-Städtchen Gammertingen, das ist wie viele auf der Schwäbischen Alb: immer der Straße entlang, lustig in der Narrenzeit, konservativ. Auf dem Hügel gegenüber thront die größte Firma am Ort, Reifen Göggel, gelandet wie ein Ufo, ausgestreckt auf zehn Hektar Fläche. Der Balkon bietet also einen Logenplatz für Flugshow, Feuerwerk, Großbrand – und Bilder für den großen Zorn.

Dem Kindergarten wird ein Grillfest untersagt

Der 74-jährige Anwalt nennt Göggel einen ungebildeten Oligarchen. Er fragt, wie es kommen kann, dass einer genehmigt kriegt, was niemand anderem erlaubt würde? Ein Feuerwerk mitten in der Sommerhitze, in der die Gemeinde Rauchen und Feuermachen in der Natur "strengstens" verbietet, dem Kindergarten ein Grillfest untersagt wird. Eine Flugshow inmitten galoppierender Krisen, in denen das Sparen von Energie ein Muss ist. Tausende von Reifen, im Freien gelagert, in unmittelbarer Nähe von Wohnhäusern und Wald? Alles genehmigt und wenn ja von wem?

Die Fragen sind eher rhetorischer Natur. Wasel holt die Antworten aus seinem politischen Leben. Er ist 25 Jahre im Gammertinger Gemeinderat gesessen, als einzige Opposition, Grünen-nah, aber unabhängig. Es seien harte Kämpfe für eine demokratische Kultur gewesen, erzählt er, "gegen Hinterzimmerpolitik und Mauschelei", und gegen den Vorwurf, er sei ein "geistiger Terrorist". Das Gremium sei "bis in die Haarwurzeln schwarz", sagt er, acht von der CDU, sechs von der Liste "Gleiches Recht für alle", drei Rotgrüne, die sich nicht sehr unterschieden, und dann noch Bürgermeister Holger Jerg, CDU-Mitglied und Duzfreund Göggels. Das verbindet.

Seine Fragen hat der Jurist auch in einen Leserbrief an die "Schwäbische Zeitung" gepackt, mit dem Hinweis, dass ihre Aufgabe doch wäre, als "vierte Gewalt" diesen Seilschaften nachzugehen und sie nicht "unter den Teppich zu kehren", zum "Gefallen der Mächtigen". Das Organ für christliche Kultur und Politik hat die Zuschrift nicht gedruckt. Sie sei "übersät von Vorverurteilungen", begründet der Redaktionsleiter in Sigmaringen, und kündigt vorsorglich an, dass er künftig von ihm keine Antwort mehr erhalten werde, "egal wie viele E-Mails Sie noch schreiben werden".

Der Bürgermeister sagt, er habe alles richtig gemacht

Bürgermeister Jerg, 60, Jeans, Polohemd, Gast bei der Hochzeit, ist weniger verschlossen. Auf seinem Besuchertisch hat er eine Karte des Göggelschen Areals liegen, auf der die acht Lagerhallen, das Privathaus, die Brandherde und das Partyzelt eingezeichnet sind. Will sagen: Ich kümmere mich. Bezogen auf das Feuerwerk soll das heißen, dass sie bei der Antragsstellung im Mai alles richtig gemacht und ein "reines Gewissen" hätten, der Pyrotechniker habe alle notwendigen Zertifikate vorgelegt. Hinsichtlich der Flugshow sei das Regierungspräsidium Stuttgart zuständig, das die Genehmigung erteilt habe, und die strittige Frage der Reifenlagerung habe Göggel mit dem Landratsamt zu klären.

Manchmal ist der Dschungel der Bürokratie doch hilfreich, wenn es darum geht, ein argumentatives Schlupfloch zu finden, das einem Verantwortung abnimmt. Andererseits wäre es falsch zu behaupten, der Schultes hätte sich keine Gedanken gemacht. Heute würde er Göggel raten, sagt er: Bruno lass es, lass die Flugshow, lass das Feuerwerk und DJ Ötzi. Das sei nicht mehr zeitgemäß. Auch Friedrich Merz hätte nicht mit seinem Flugzeug nach Sylt müssen.

Der nachrückende Sinneswandel ("Ich trage die Ängste mit") dürfte auch der Unruhe in seiner Bürgerschaft geschuldet sein. Nachdem viele Tage Stille war, fand sich ein Ehepaar, dessen Unternehmen direkt an die Göggelschen Mauern angrenzt, vergangene Woche in der Gemeinderatssitzung ein und beklagte eine "Ungleichbehandlung", der Jerg sofort widersprach: "Ich lasse mich nicht kaufen."

Ein amerikanischer Traum in Gammertingen

Nun hatten die beiden diesen Vorwurf nicht explizit erhoben, aber allein die Vehemenz der Erwiderung lässt erahnen, wie schwierig es für den Bürgermeister ist, die Balance zu halten, beziehungsweise den Eindruck zu erwecken, dass er sie hat. Einerseits wirbt er um Verständnis für den Bauernsohn mit Hauptschulabschluss, der es zum Multimillionär gebracht hat, mit 300 Oldtimern in der Garage, einem Wohnmobil für zwei Millionen Euro mit Bugatti im Bauch. Das ist eben der "amerikanische Traum". Göggel ist der Wohltäter der Gemeinde, der Kindergärten, Kirchengemeinden, Narrenzünfte, Motorradfreunde "von dr' Alb raa e.V." mit Spenden beglückt, bis hin zum VfB Stuttgart und dem TSV Gauselfingen. Das "heißeste Thema" von Göggel, verrät Jerg, sei allerdings die Feuerwehr, da zeige er sich besonders spendabel.

Gespart wird beim Personal

Wäre es nicht so abgeschmackt – die Erzählung von der Garage zum Millionär stimmt im Falle Bruno Göggels. Als Einzelkämpfer fährt er 1982 Reifen aus, Ende der 1990er-Jahre eröffnet er sein Zentrallager im Gammertinger Gewerbegebiet "Herdleäcker" mit 140.000 Reifen. Heute kümmern sich 160 Beschäftigte um 1,5 Millionen Stück. Laut dem Fachblatt "Neue Reifenzeitung" verzeichnet die GmbH, in der allein Göggel das Sagen hat, einen Umsatz von 410 Millionen Umsatz (2020). Während sich der Inhaber offenbar jeden erdenklichen Luxus leistet, spart er beim Personal. So soll ein Fahrer 1.900 Euro brutto im Monat verdienen. Viele Mitarbeiter, die sich dafür den "Hintern aufreißen" (siehe dazu seinen Werbefilm), kommen aus osteuropäischen Ländern und wohnen in seinen Häusern in Gammertingen zur Miete. Ihren Kindern würde Göggel Sprachkurse bezahlen, berichtet Bürgermeister Jerg.  (jof)

Andererseits sollte er Abstand halten, wenn die Kritik an dem Unantastbaren wächst. Die Nummer mit dem Oldtimer Mercedes 300, Modell Adenauer, den Jerg sich zu seiner Hochzeit ausgeliehen hat, ist nur mühsam auszugleichen mit seiner Weigerung, die Göggel-Loge beim FC Bayern im Münchner Olympiastadion heimzusuchen. Nein, das macht er nicht. Doch die Distanz wird erschwert dadurch, dass der neureiche Reifenhändler bereits bis zur Spitze seiner Partei herangerückt war. Das war am 14. Februar 2011, als Angela Merkel in seiner Halle sprach und Gammertingen es bis in die "heute-show" des ZDF schaffte.

Das ging so: Baden-Württembergs damalige Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU), in Sigmaringen zuhause, braucht Hilfe für ihren Wahlkreis und findet sie in der Kanzlerin. Ministerpräsident Stefan Mappus schließt sich dankbar an. Schnell ist klar, dass nur der Reifen-König eine Halle hat, die groß genug ist. Fast so groß wie ein Fußballfeld. Sebastian Hummel, der CDU-Ortsvorsitzende, nimmt Kontakt zur Firma Göggel auf, was nicht weiter schwierig ist, weil deren Marketing-Beauftragter sein Sohn Mike ist. Dessen Chef sagt sofort zu, wegen des "Image-Gewinns", weil er sich vor Anfragen kaum retten kann, wie Jerg erzählt.

Die Kanzlerin fliegt mit dem Hubschrauber ein

Zusammen mit der CDU verschicken sie die Einladungen, 3.000 Menschen strömen in die frisch gestrichene Halle, die Kanzlerin fliegt mit dem Hubschrauber ein, betont, dass derjenige, der mehr arbeitet, mehr haben muss, "als derjenige, der nicht arbeitet". Dazu gibt es Blasmusik und frisches Bier, vor den Toren S-21-Transparente. Es ist auch die Hochzeit des Stuttgarter Bahnhofprotests. Göggel sitzt in der ersten Reihe neben Merkel und Mappus. Stocksteif. Es ist nicht seine Welt, er nutzt sie nur, und umgekehrt.

Elf Jahre sind seitdem vergangen, Merkel, Mappus und Gönner sind weg, geblieben sind die Machtstrukturen, die dem Geld folgen, nicht den Farben. Göggel will weiter wachsen, 50 Millionen in den Lagerausbau stecken, demnächst zwei Millionen Reifen bunkern.

Den Anwohnern ist jetzt schon angst und bange. Viele von ihnen haben hier in den Neunzigern gebaut, als von Reifen-Göggel weit und breit noch nichts zu sehen war. Heute schauen sie auf sechs Meter hohe Mauern, 8,80 Meter hohe schwarze, in Plastik verschweißte Reifentürme, noch höhere Lichtmasten, in deren Schein das Areal einem Hochsicherheitstrakt sehr nahe kommt.

Auch der Parkplatz steht voller Reifen

Immer wieder haben sie Einwendungen beim CDU-geführten Landratsamt vorgebracht und wenig erreicht. Ein kleiner Erfolg ist schon, wenn sie einen Mitarbeiterparkplatz als Puffer zum Wohngebiet erstreiten. Aber der steht dann eben voll mit Reifen. Und niemand kontrolliert. In der Brandnacht sind sie voller Angst in ihren Häusern gesessen, bereit zur Flucht, sollte das wenige Meter entfernte Feuer nicht zu löschen sein. "Wenn es auf das Zentrallager übergegriffen hätte", sagt eine Anwohnerin, "hätte Gammertingen gebrannt". Sie bitten um Anonymität, der Reifen-König habe einen langen Arm.

Es sind vor allem Frauen, die sich melden. Sie sehen mehr, den Ruß auf Obst und Gemüse, sie riechen mehr, den verbrannten Gummi, sie fragen mehr, nach den Rückständen im Boden. Und sie kennen alle die Tragödie im Haus Göggel, den Bürgermeister Jerg als "familiären Schlag" zu bedenken gibt: den Tod des sechsjährigen Sohnes. Er war im motorisierten Gokart gegen eine Wand im Werksgelände gefahren. Das habe ihnen sehr leid getan, sagen sie, aber daraus wäre doch zu lernen gewesen.

Die Kontext-Anfragen bei Göggel blieben unbeantwortet. Unter anderem wollten wir wissen, ob er die Angst der Nachbar:innen verstehen kann.

Der Gammertinger Besuch Angela Merkels in der "heute-show".


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22 Kommentare verfügbar

  • Monika Scull und Dr. Hans-Steffen Daehn
    am 19.09.2022
    Antworten
    Sehr geehrte Damen und Herren,

    wir bitten dringend um schnelle Veröffentlichung des nachstehenden Leserbriefes, da hier in Gammertingen eine gesellschaftspolitisch sehr kritische Situation entstanden ist:

    Nachdem wir uns in der vergangenen Woche ausführlich mit ca. 10 Familien ausgetauscht…
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