Die Vergangenheit versteckt sich zwischen Hügeln und Wäldern. Rita Goller zeigt aus dem Fenster: Panzerspuren im Gras erinnern an früher. Sie steuert den Wagen durch das Biosphärengebiet, ihre wachen Augen scannen die Umgebung. Nur wer genau hinschaut, erkennt die Narben der Natur, die der Mensch hier eingekerbt hat. "Die Menschen ächzen nach Ruhe, und hier können sie aus dem Hamsterrad ausbrechen", sagt die 62-Jährige. Für sie gibt es keinen Ort wie diesen, so voll von Geschichte, Wandel und Gelassenheit. Endloses Grün in allen Intensitäten, eine hörbare Ruhe, kein Plastikmüll, kein Lärm. Münsingen auf der Schwäbischen Alb ist eine Einladung zur Flucht vor der beschleunigten Gesellschaft.
Ganz so paradiesisch ging es auf diesem Fleckchen Erde nicht immer zu. Heute bieten Alb-Natur- und Fremdenführerin Rita Goller und 29 weitere "TrÜP-Guides" Touren an, um Interessierten dieses Fleckchen näherzubringen, auf dem Menschen einst lernten, ihresgleichen möglichst effizient zu töten. 1895 wurde das Gelände zum Truppenübungsplatz erklärt, 1937 während des NS-Regimes für Aufrüstungszwecke erweitert. Vor 16 Jahren fuhr der letzte Stahlkoloss, fiel der letzte Schuss. Zwei Jahre später wurde das Areal für die Öffentlichkeit freigegeben. Dennoch erholt sich die Natur nur langsam. Die kleinen, betongrauen Beobachtungsbunker taxieren vorbeifahrende TouristInnen.
Kasernen zu Event-Räumen
Goller erzählt, dass sich wohl eine halbe Million Blindgänger auf dem Gelände verstecken – nach wie vor. 100 Jahre lang übte man hier Bombenwerfen, Häuserkampf und Zielschießen. Die Belastung ist so hoch, dass die Fläche wohl nie wieder genutzt werden kann. Landwirtschaft? Undenkbar. Regelmäßig erinnern Hinweisschilder ("Lebensgefahr!") die BesucherInnen, dass man sich hier nicht frei bewegen kann. Sie erinnern auch an die Sinnlosigkeit und die Zerstörungswut, die Krieg und Militär mit sich bringen. In Münsingen zeigt sich, wie langsam und mühevoll die Überwindung der Vergangenheit sein kann. Seit zehn Jahren ist das Terrain als Biosphärengebiet anerkannt. "Früher hieß es über Münsingen: lieber schnell durchfahren", erzählt Goller. Doch innerhalb eines Jahrzehnts hat das Gebiet eine Metamorphose zu einer touristischen Attraktion hingelegt.
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