Bei vielen strittigen Punkten gibt es immer das Totschlagargument der Arbeitsplätze. Auch beim Klimawandel heißt es, wir müssen Rücksicht nehmen auf die Autoindustrie, die besonders bei uns im Lande einer der größten Arbeitgeber ist. Da Sie ja nun für die arbeitende Bevölkerung auch da sein wollen, wie schaffen Sie den Spagat?
Wir haben ein gutes Konzept, das auch deutlich mehr Arbeitsplätze schaffen würde. Wir haben einen offensichtlichen Mangel im Bereich des Öffentlichen. Es fehlen zigtausende Pflegekräfte, Erzieherinnen, Altenpflegerinnen, Lehrer. Sprich, wenn wir in diese Bereiche investieren, würde das Hunderttausende, wenn nicht gar Millionen neuer Arbeitsplätze schaffen. Wir haben mit der notwendigen Mobilitätswende eine Mammutaufgabe für den Klimaschutz. Das heißt, wir müssen deutlich mehr investieren in den öffentlichen Personennahverkehr. Wir hätten also einen enormen Bedarf an Arbeit. Das Problem ist: Diese Arbeitsplätze sind gesellschaftlich eminent wichtig und zukunftsfähig, aber leider Gottes schlecht bezahlt. Ein Automobilwerker, der zur Straßenbahn geht, der verliert halt sofort 1.000 Euro. Und deswegen müssen wir diese Arbeit aufwerten und besser bezahlen.
Sie wollen also mehr Menschen in der Pflege und die sollen auch besser bezahlt werden. Haben Sie eine große Druckerei im Hintergrund oder wo kommt das Geld her?
Wir haben ein gutes Finanzierungskonzept. Für das Gesundheitswesen schlagen wir eine solidarische Bürgerversicherung vor, in die eben alle einzahlen. Also eine Kasse und alle Einkommensarten, auch Vermögen oder Mieteinnahmen, werden verbeitragt. Damit könnten wir sehr viel mehr finanzieren und sogar die Beiträge senken. Und wir brauchen ein anderes Steuersystem. Wir leisten uns den Luxus, dass Millionäre und Milliardäre sehr wenig Steuern bei uns bezahlen müssen, während die lohnabhängige Bevölkerung sehr viel Steuern bezahlen muss. Das könnte man ändern. Ich sag´s mal ganz einfach: Der Millionär und der Milliardär sollen mehr Steuern bezahlen, damit die Altenpflegerin besser bezahlt werden kann. Eigentlich eine simple Logik.
Erlauben Sie mir einen kleinen Schlenker. Sie sind VfB-Fan oder?
Bin ich, ja.
Das heißt, Ihnen ist auch Herr Hitzlsperger geläufig und der hat mal gesagt, der Videobeweis ist wie der Kommunismus: beides eine nette Idee, aber schlecht umgesetzt. Glauben Sie, dass man den Kommunismus besser umsetzen kann?
Ich rede eher von Sozialismus, weil der Begriff des Kommunismus etwas diskreditiert ist. Die Idee des Sozialismus muss natürlich neu definiert werden, heute nach der ganzen Geschichte. Aber sie ist auch weiterhin sehr lebendig. Immer mehr junge Leute halten es für eine gute Idee, dass man die Produktion und die gesellschaftliche Organisation nach dem Bedürfnis von vielen organisiert und nicht nach den Profitinteressen von wenigen. Und bei der Pandemie haben wir jetzt gesehen, wie wichtig die Gemeinwohlgüter sind. Wie wichtig gute Pflege ist, wie wichtig die sind, die die Pakete zu den Leuten bringen, die ganze Logistik, die die Menschen mit Wasser und Strom versorgt. Und viele andere mehr, die die Gesellschaft aufrecht erhalten. Oft sind es die, die am wenigsten verdienen. Ich glaube, es gibt inzwischen ein Umdenken. Die Mehrheit der Menschen begreift: Solche Dinge wie Pflege, Gesundheit, Bildung, Verkehr, Mobilität, Wasser, Strom darf man nicht Gewinninteressen unterordnen, sie müssen in öffentlicher Hand nach Gemeinwohlinteressen organisiert werden. Und das ist ja schon mal der erste Einstieg in den Grundgedanken des Sozialismus.
Wollen Sie denn den Kapitalismus erhalten und reformieren? Oder muss der weg?
Nö, ich glaube, der muss weg.
Aber Sie wollen das Privateigentum an Produktionsmitteln nicht generell abschaffen?
Ich glaube, wir brauchen auch Privateigentum. Die zentralistische Planwirtschaft ist gescheitert und der Kapitalismus ist auch gescheitert. Also man muss einen anderen Weg....
Entschuldigung, wenn ich da unterbreche. Es gibt sicher immer etwas zu verbessern, aber insgesamt geht es der Gesellschaft besser als früher.
Wir haben einen hohen Standard an Produktivität und an gesellschaftlicher Organisation, trotzdem haben 800 Millionen Menschen Hunger. Das ist natürlicher Bestandteil des Kapitalismus, wir plündern ja die Ressourcen anderer Länder aus. Man muss den Kapitalismus als Weltsystem begreifen. Dass es einigen Ländern gut geht, aber dort auch nur einem Teil der Bevölkerung, sagt nicht, dass er praktisch noch eine Existenzberechtigung hat. Er zerstört die natürlichen Lebensgrundlagen, was viel mit Profitinteressen von großen Konzernen zu tun hat. Dass die Fridays-for-future-Bewegung sagt, "systemchange statt climatechange" ist, glaube ich, eine richtige Erkenntnis. Wir brauchen so etwas wie einen neuen Gesellschaftsvertrag.
Das erläutern Sie auch in Ihrem neuen Buch. Dort plädieren Sie für einen linken Green New Deal. Das hätte es früher bei den Sozialisten nicht gegeben.
5 Kommentare verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
am 21.09.2020Würde das Riexinger können? NEIN, nicht das, was der Humorist zum Gegenstand erwählt hat – etwas anderes, hypothetisches in Betrachtung genommen.
Dazu die Betrachtung auf jenen gelenkt, der «als erster der 1980 in…