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Fusions-Feuer

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Könnte nicht die SPD mit der Linkspartei fusionieren? Wie ein Raunen ging diese Idee in der letzten Wochen durch die Presse. Nein, es fusioniert ganz sicher keiner, sagt Bernd Riexinger, Bundesvorsitzender der Linken. Und ärgert sich über die künstliche Aufregung.

Die Linke soll also, laut medialer Politikberatung, mit der SPD fusionieren. Daran sind zwei Aspekte interessant:  Erstens, wie eine solche Inszenierung läuft und sogenannte Leitmedien wie „Spiegel-online“ arbeiten. Ein echtes Lehrstück. Zweitens, wie dünn die Kenntnisse über den politischen Charakter der Linkspartei sind, die wechselweise als linke Abspaltung von der SPD oder als zweite sozialdemokratische Partei verkannt wird.

Zu Punkt eins: Zuerst veröffentlichte die taz ein Interview mit Daniel Cohn-Bendit, der vorschlug, die beiden Parteien sollen sich zu einer zusammenschließen. Die Linke wäre schon sozialdemokratisch und die SPD würde es dann wieder werden, so der schlichte Tenor. Zitierfähige Stimmen aus der SPD oder der Partei Die Linke dazu gab es nicht. Dann legte „Spiegel-online“ nach mit einer Kolumne von Stefan Kuzmany. „Zusammenlegung jetzt!“ lautete der schneidige Titel. Die Zeit sei reif, eine Fusion der SPD und der Linken würde die progressiven Kräfte des Landes bündeln und ihnen ein klares Profil geben, orakelte der Journalist mit der Glaskugel auf dem Tisch. „Eine neue, wiedervereinigte SPD hätte jedoch gegenüber der zunehmend amorphen Union einen großen Vorteil. Sie verfügte, nach vielen Jahren des Regierens und Mitregierens und Durchlavierens, endlich wieder über eine klare Botschaft: soziale Gerechtigkeit“, so Kuzmany. Na prima. Aber Stimmen aus SPD und der Linkspartei – Fehlanzeige.

Später zitierte das Redaktionsnetzwerk Deutschland den Vorsitzenden der Internationalen Kommission der Linken und langjährigen Lafontaine-Vertrauten, Heinz-Bierbaum. Der frühere SPD-Chef Lafontaine bedauere den Zustand der Partei, mutmaßte Bierbaum, deshalb lägen „solche Überlegungen bei ihm sehr nahe“. Lafontaine habe zunächst mit der parteiübergreifenden Bewegung „Aufstehen“ versucht, auf die SPD einzuwirken. Das habe jedoch nicht so geklappt wie gewünscht, der Saarländer würde an diesem Gedanken aber festhalten. O-Töne von Oskar Lafontaine – Fehlanzeige.

Daraus wurde bei „Spiegel-online“ die Schlagzeile: „Oskar Lafontaine will offenbar Fusion der Linken mit der SPD“. Garniert war das Ganze mit ein paar Statements aus der SPD und von einigen Linken-Politikern, die neue Schlagzeilen generierten, bis Lafontaine erklärte, er habe nicht über eine Fusion, sondern über andere Mehrheiten geredet. So schafften es einige Medien, an der Spitze „Spiegel-online“, eine Story zu stricken, die sich über Tage hinweg zog, ohne dass es irgendeine Diskussion in der Linken oder der SPD über eine Fusion gegeben hätte.

Zu Punkt zwei, den mangelnden Kenntnissen: Richtig ist, dass die SPD ihren sozialdemokratischen Kern unter Schröder verloren hat und trotz mehrerer Anläufe nicht wieder gefunden hat. Falsch ist, die Linkspartei als Abspaltung der SPD und als linke sozialdemokratische Partei zu charakterisieren. Die Linke ist der geglückte Versuch, aus der jahrzehntelangen Zersplitterung der (west-) deutschen Linken herauszufinden und erstmals eine linkspluralistische Partei zu bilden, die verschiedene Strömungen und Traditionslinien von linken Gruppen und Personen zusammenzuführt. Ihre Akteure waren und sind bei Weitem nicht nur enttäuschte Sozialdemokraten, nicht einmal in erster Linie. Über 70 Prozent der Mitglieder sind in den letzten zehn Jahren in Die Linke eingetreten, darunter viele Jüngere.

Wo könnten tatsächlich Gemeinsamkeiten gefunden werden? In unserem Zentrum steht die Frage der sozialen Gerechtigkeit. Hier kämpfen wir gegen  einen riesigen Niedriglohnsektor, gegen Prekarisierung, Tarifflucht, für Mindestlöhne, Arbeitszeitverkürzung und Umverteilung der Arbeit. Wir wollen die durch Privatisierung verwüsteten Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge wie Bildung, Erziehung, Gesundheit, öffentlicher Nahverkehr, Energieversorgung und Infrastruktur erheblich ausbauen. Hier scheint mir die SPD, auch wenn sie dafür mitverantwortlich war, inzwischen zustimmen zu können.

Schwierig wird es bei der Finanzierung. Die Linke will Reiche und Vermögende erheblich stärker heranziehen, Konzerne und Kapitalbesitzer stärker  besteuern. Weder Grüne noch die SPD sind bisher bereit dazu. Doch ohne signifikante Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums bleibt soziale Gerechtigkeit ein leeres Versprechen.

Der entscheidende Unterschied besteht jedoch darin, dass die Linke eine demokratisch sozialistische Partei ist. Sie will den Kapitalismus überwinden. Es ist offensichtlich, dass in einem kapitalistischen System die existenziellen Fragen der ökologischen Nachhaltigkeit, des Klimaschutzes, der weltweiten Fluchtbewegungen, der extremen Spaltung der Weltbevölkerung in arm und reich, der zunehmenden Kriegsgefahren nicht gelöst werden können. Notwendig ist ein politisches Projekt, das konkrete Reformschritte mit der Konzeption einer Systemalternative zum Kapitalismus verbindet.

Es ist ein großer Irrtum der Grünen, dass mit der Modernisierung des Kapitalismus, wie von ihnen vollmundig erklärt, die Klimaschutzfragen zu lösen seien. Das geht nicht, ohne sich mit den Konzernen anzulegen, mit deren Vorständen sie sich jetzt gerne zeigen. Das geht nicht, ohne eine grundlegende Demokratisierung der Wirtschaft. Nur zur Erinnerung: Es sind die 100 größten Konzerne, die für über 70 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich sind.   

Eine Linke, die diese Positionen aufnimmt, mit ihrer Politik über die Grenzen des Kapitalismus hinausweist und mit konkreten Schritten der Veränderung verbindet, wird dringend gebraucht. Sie kann und will nicht in einer neuen sozialdemokratischen Volkspartei aufgehen.

Viel wäre schon gewonnen, wenn die SPD wieder zu ihren sozialdemokratischen Grundsätzen zurückkehren würde. Selbst bei einer Linkswende der SPD bliebe genug Platz, links von der Sozialdemokratie. Aber das ist keine Schlagzeile für „Spiegel-online“.


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8 Kommentare verfügbar

  • Manfred Becker
    am 21.06.2019
    Antworten
    "Der entscheidende Unterschied besteht jedoch darin, dass die Linke eine demokratisch sozialistische Partei ist. Sie will den Kapitalismus überwinden.[... usw.]Eine Linke, die diese Positionen aufnimmt, mit ihrer Politik über die Grenzen des Kapitalismus hinausweist und mit konkreten Schritten der…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 14 Stunden
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