KONTEXT:Wochenzeitung
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Die Köpfe rollen schneller

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Wie viele Totenglöckchen wurden der SPD schon geläutet? Aus den Reihen der politischen GegnerInnen oder einfach, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Jetzt allerdings wird's wirklich eng.

Natürlich stimmt, was immer stimmt und was Außenminister Heiko Maas öffentlich problematisiert hat: Mit einem Mann an der Spitze wären die Genossen anders umgegangen als mit der glücklosen Andrea Nahles, dem "feinen Charakter", wie Angela Merkel ihr hinterherrief. Die Probleme der deutschen und zu großem Teil der europäischen Sozialdemokratie gehen aber viel tiefer – was gerade deren Beschreibung mit den immer gleichen Formeln zeigt. Die "Erneuerung" wird beschworen und ein irgendwie modern wirkendes Outfit anstelle des hausbackenen alten. Da wird auf eine "Teamlösung" gesetzt, "Solidarität" oder "Wertschätzung" oder "Respekt" angemahnt, weil sonst die eigenen Werte – wie wahr – in der realen Politik von der Wählerschaft nicht mehr ernst genommen werden könnten.

Im Grunde beteuern wechselnde SPD-Führungen seit 1991, aus Fehlern lernen zu wollen, seit dem Abgang von Hans-Jochen Vogel als Bundesvorsitzendem im Streit mit dem damaligen Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine. "Floskeln des Grauens" nennt der Politikprofessor Karl-Rudolf Korte die längst peinlich gewordenen Versatzstücke, mit denen wieder und wieder ein grundlegender Wandel beschworen werden soll. Und so hat sich bei einem wesentlichen Teil früherer ParteigängerInnen eingebrannt, dass die Rosaroten eben gerade nicht füreinander da sind in schweren Zeiten, dass sie nicht zusammenstehen, wenn es ernst wird – schon so lange, dass aus dem Nichtwollen ein Nichtkönnen geworden ist.

Ein Beispiel der besonderen Art lieferte dieser Tage der baden-württembergische Landesverband. Der im "Forum DL 21" organisierte linke Flügel hatte ein Papier vorgelegt, das eine "mutige Neuausrichtung nach Wahlverlusten" verlangt, weil die Partei mit "einer reinen Pro-Europa-Mobilisierung und dem Thema Kita-Gebührenfreiheit im Land noch im Wahlkampf den Anschluss verloren hat an die durch Fridays-for-Future und den drohenden Rechtsruck in Europa aufkommende gesellschaftliche Debatte". In der Dynamik der Europa- und Klimaschutzdebatte habe sie "personell und inhaltlich offensichtlich nicht mithalten" und bei Themen wie Umwelt- und Klimaschutz sowie im Kampf für ein solidarisches Europa "nicht überzeugen" können.

Andreas Stoch, der Landes- und Fraktionsvorsitzende und schon aus dieser Doppelfunktion heraus der starke Mann der Südwest-SPD, wurde gefragt, wie er dazu steht und hätte jetzt jede Gelegenheit, sich mit Klartext zu äußern. Stattdessen flüchtet er sich in einen schrägen Vergleich zwischen der großen Not der SPD mit der "Endphase der französischen Revolution". Denn: "Da ging es mit dem Köpferollen immer schneller, und das hat im Chaos geendet." Dann folgt eine der Floskeln, diesmal die, dass die Partei sich "konstruktiv zusammensetzen" muss. Und er gibt zu Protokoll, mit der "Links-Rechts-Systematik" wenig anfangen zu können. Da darf natürlich nicht fehlen, dass er "für einfache Antworten nicht zu haben" sei. Für komplexe aber offenbar genauso wenig. Die Baden-Württemberg-SPD war mal wer in der Gesamtpartei – zwar ohne triumphale Wahlsiege, dafür aber mit Ideen und Köpfen, die etwas zu sagen hatten in den Debatten der vergangenen Jahrzehnte, von Erhard Eppler bis Hermann Scheer.

Zerlegt in weniger als 50 Jahren

Inzwischen fehlt es hierzulande und generell auf Bundesebene an geeignetem Führungspersonal, an einem nachvollziehbaren inhaltlichen Profil, an zeitgemäßen Organisationsstrukturen. Seit einigen Jahren schon ist auf Parteitagen im Südwesten der Rechenschaftsbericht des Schatzmeisters, dem selten viele Delegierte folgen, besonders schmerzlich. Mit jeder Niederlage schmelzen die Gelder aus der staatlichen Parteienförderung und die traditionelle finanzielle Unterstützung durch die Abgeordneten dahin. Trotz der Neueintritte rund um den Martin-Schulz-Hype steigen die Einnahmen nicht. Personal ist längst knapp, ebenso das Kampagnen-Budget, was eben erst hilflos-banale Wahlplakate mit Slogans wie "klare Werte, starke Ziele" zeigen, auf denen Stoch mit einem Schulkind um die Wette in die Kamera lächelt für kostenlose Kitas.

Die baden-württembergische SPD-Malaise wird auf Bundesebene kopiert. Der Platz hinter den Grünen ist der SPD auf Landesebene schon seit 2011 sicher. Die ohne Zweifel schmerzlichen 0,9 Prozentpunkte, auf die sich der Unterschied damals belief, haben sich in fünf Jahren Mitregierung allerdings verzwanzigfacht. In vielen Kommunen liegen die Roten nicht erst seit dem 26. Mai auf Platz drei. In Stuttgart haben Martin Körner, Chef der Gemeinderatsfraktion, und seine VorgängerInnen nicht nur die Floskeln des Grauens überstrapaziert, sondern zugleich die Blaupause des Verfalls geliefert: immer schön druff auf die Grünen, die nicht mehr als ungeliebt, sondern eigentlich als gehasst in der SPD beschrieben werden müssen. Auf die 17 Prozent, die die SozialdemokratInnen bei den Stuttgarter Kommunalwahlen 2009 einfuhren, folgten fünf Jahre danach 14,3 Prozent. Und diesmal, nach der besonders unappetitlichen Kampagne gegen den gar nicht zur Wahl stehenden grünen OB Fritz Kuhn, sind es noch 11,6 Prozent. Zerlegt in weniger als 50 Jahren, nach einem Höchststand von mehr als 44 Prozent 1971.

Im Detail ist guter Rat an vielen Ecken und vor allem den Enden der Partei teuer. Zum Beispiel angesichts der Alterspyramide der SPD-affinen Wählerschaft oder des Umstands, dass sich in immer mehr der zahllosen Ortsvereine immer kleinere Grüppchen ohne Schlagkraft und ohne öffentliches Echo versammeln. Auch fehlt der Mut, endlich auf Distanz zu gehen zu den Fehlern der Vergangenheit. Gerhard Schröders fatale Formel, es gebe keine linke oder rechte Wirtschaftspolitik, sondern nur richtige oder falsche, und die Agenda 2010 müssten vernehmlich und beherzt als das benannt werden, was sie waren: der Anfang des Niedergangs.

Im Land finden vor allem Stoch und sein Generalsekretär Sascha Binder keinen Weg aus dem ideologischen Eunuchentum. "Wir schlagen die konsequente Erneuerung als sozial-ökologische Partei des 21. Jahrhunderts vor", schreiben die DL-21-Linken in ihrem Papier, "die Verteilungsgerechtigkeit und Nachhaltigkeit radikal angeht und die programmatische Führungsposition im Lager links der Mitte zurecht für sich reklamieren kann." Das müssen keineswegs alle oder auch nur eine Mehrheit der GenossInnen für richtig halten. Sie haben aber einen Anspruch darauf, zu erfahren, wie sich die Spitze des Landesverbands dazu verhält. 

Rote Erfolge sind noch möglich

Der Blick über Grenzen zeigt, dass und wo rote Erfolge noch möglich sind. Mit klassischer linker Politik wie in Portugal, mit Fortune, die Nahles nie hatte, und Mut wie in Spanien, mit traditioneller Beharrlichkeit wie in Schweden. In Dänemark sind Sozialdemokraten mit einer speziellen Melange auf der Erfolgsspur: einer Kombination aus linker Wirtschaftspolitik und einem eher rechten Kurs in der Migration, der die Nationalisten im Land bei den Europawahlen von 22 auf elf Prozent schrumpfen ließ. Und sie haben mit der 41-jährigen Mette Frederiksen eine populäre Kandidatin für das Amt der Ministerpräsidentin, die bisher alle Anfeindungen wie die, dass sie ihre Tochter auf die Privatschule schickt, überstanden hat.  

Dass es in der Küche heiß sei, wüssten auch Frauen, sagt Leni Breymaier, Stochs Vorgängerin als SPD-Landesvorsitzende, zum unterschiedlichen öffentlichen Umgang mit Politikern und Politikerinnen. Dass es derart rutschig ist, sei ihr aber nicht klar gewesen. Nach nur zwei Jahren hat sie ihren Hut genommen. Die innerparteiliche Kampagne weist Parallelen zur immerwährenden Nahles-Anmache auf. So wurde der Gewerkschafterin, die es als einzige aus dem Land zu bundesweiter Bekanntheit gebracht hatte, im badischen Landesteil ihr schwäbischer Dialekt als – wortwörtlich – "unerträglich" vorgeworfen. Als hätte die Partei nicht andere Sorgen.

Jetzt ist an düsteren Analysen und pathetischen Appellen kein Mangel. Es gehe um den Fortbestand der Partei, weiß Stoch mit einem Mal. Bisher sind aber vor allem diejenigen bekannt, die nicht als RetterInnen zur Verfügung stehen wollen: Stefan Weil, der niedersächsische Ministerpräsident, Manuela Schwesig, seine Kollegin aus Mecklenburg-Vorpommern, oder Finanzminister Olaf Scholz. Viele GenossInnen twittern oder posten. "Alles beginnt mit einer einfachen Feststellung: Wer mit dem Versprechen nach Gerechtigkeit und Solidarität nun einen neuen Aufbruch wagen will, der darf nie, nie, nie wieder so miteinander umgehen, wie wir das in den letzten Wochen getan haben", schreibt Kevin Kühnert; "ich schäme mich dafür." Für Luisa Boos, Baden-Württembergs Kurzzeit-SPD-Generalsekretärin, die vielen in der Partei auch zu links war, "zeigt Andrea in ihrem Statement zum Rückzug, welch eine starke Frau sie ist, denn nicht Bitterkeit und Enttäuschung diktieren den Ton, sondern Verantwortungsgefühl und innere Freiheit."

Warum wundert es wenig, dass eine der schrägsten Einlassungen aus dem Lager der Netzwerker kommt? Langzeit-Südwest-Vize Lars Castellucci, der sich so sehr an Breymaiers linken Neigungen störte und sie nach 14 unauffälligen Jahren in ihrem Amt beerben wollte, woraus bekanntlich nichts wurde – Castellucci also erfreut seine Partei mit einer ganz besonderen Wortspende. "Während in Berlin mal wieder alles anders bleibt, feiere ich in Italien den 80sten Geburtstag meiner Tante im Restaurant mit Plastikgeschirr", twittert er, während in seiner Partei Unvorstellbares vorstellbar wird, "wir haben viel zu tun." Stimmt. Ideologisch ausmisten, zuallererst.


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3 Kommentare verfügbar

  • Jörg Tauss
    am 06.06.2019
    Antworten
    Wenn jemand für den Niedergang der Südwest- SPD steht, dann in der Tat der Wohnungsverkäufer und S21- Nils Schmid. Die Ruhestands - Drexlers & Co in der dilettierenden Landtagsfraktion lassen wir mal außen vor.

    Schmid wurde nicht nur mit einem Bundestagsmandat "belohnt" sondern in Berlin auch…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 5 Stunden
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