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Per Volksbegehren aus dem Tal der Tränen

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Die Idee hat was: Andreas Stoch, der neue Mann an der Spitze der Südwest-SPD, will seine zerstrittene Partei aus dem Dauertief holen. Mit einem Volksbegehren für gebührenfreie Kitas. Ermunterung von der CDU kriegt er auch schon.

Eine halbe Milliarde Euro müsste Baden-Württemberg Jahr für Jahr aufbringen, um Kindern den kostenlosen Besuch von Kitas bis zum Eintritt in die Grundschule zu finanzieren. Und mindestens 760 000 Unterschriften wären nötig, um ein Volksbegehren, das Stoch will, zum Erfolg zu führen. "Ist das der Fall, dann muss der Landtag den Gesetzentwurf des Volkes behandeln", heißt es in den einschlägigen Informationen schlank und rank.

Als Stoch am vergangenen Samstag beim SPD-Parteitag in Sindelfingen die Idee vorstellte, geriet das Publikum so sehr in Wallung, dass keine Phantasie dazu gehört, sich vorzustellen, wie er seine hauchdünne Mehrheit von 50,64 Prozent bei der Wahl zum Landesvorsitzenden ohne diesen Vorstoß verpasst hätte. Oder anders herum: Dann hätte der Nachfolger von Leni Breymaier wohl Lars Castellucci (48,09 Prozent) geheißen. Hätte, hätte, Fahrradkette.

Jetzt ist alles anders und zum ersten Mal seit Langem kein Tandem mehr auf der sozialdemokratischen Brücke. Sowohl Partei- als auch Fraktionschef war zuletzt Ulrich Maurer nach der Wahlniederlage von 1996 (die SPD kam auf 25 Prozent bei einem Minus von vier Prozentpunkten), erklärtermaßen aber nur für den Übergang zu Ute Vogt. Die griff 1999 nach dem Landes- und sieben Jahre später nach dem Fraktionsvorsitz. Beide Ämter in einer Hand, das trauten ihr viele da schon nicht mehr zu, darunter ein Kreisvorsitzender namens Andreas Stoch aus Heidenheim. Er und all die anderen KritikerInnen von so viel Machtfülle sollten recht behalten. Frustriert rotierte die damals 44-jährige Vogt zurück in den Bundestag.

Zwölf Jahre danach hat Stoch beide Jobs, und damit gibt es keine Ausreden mehr wegen mangelnder Abstimmung zwischen beiden Funktionen. Mit Sascha Binder, dem neuen Generalsekretär, kommt noch einer aus der Landtagsfraktion, das heißt, jeder An- und Auftritt muss sitzen, wenn Maßstäbe, die an Breymaier und ihre ungeliebte, links tickende Generalsekretärin Luisa Boos angelegt wurden, weiter gelten sollen. Zumal die Anforderungen zunehmen. Stoch, nicht eben ein glänzender Redner, selten charismatisch und dickhäutig schon gar nicht, möchte bei der Landtagswahl in zweieinhalb Jahren Spitzenkandidat sein.

"Aufrecht und mit Stolz"

Auf der Habenseite wiegen seine Bildungsreform, deren Früchte nicht die Grünen und die CDU schon gar nicht ernten möchte. Allen voran die Communities, die um die mehr als 300 Gemeinschaftsschulen im Land entstanden sind. "Normalerweise", sagt die aus der Führungsspitze ausgeschiedene Parteilinke Hilde Mattheis, "heißt es: mit Bildungspolitik kannst du Wahlen verlieren." Ein Ex-Kultusminister wie Stoch hingegen könne das Thema für sich drehen, weil er vor Ort für "gute Entscheidungen steht". Versöhnliche Töne vom linken Flügel, die Breymaier von der Mitte oder von den Netzwerkern nie zu hören bekam. Inzwischen wird sogar für eine "Obergrenze für selbst gemachte Dramen" plädiert.

Davor stehen noch jede Menge Hürden. Erst einmal muss Stoch dafür sorgen, dass der Bundesvorstand unter Andrea Nahles einen personalpolitischen Übergriff korrigiert und die baden-württembergischen SPD-Europaabgeordneten Evelyne Gebhardt (Künzelsau) und Peter Simon (Mannheim) wieder auf aussichtsreiche Plätze bei der Europawahl im Mai hievt. Sollte ihm das nicht gelingen, wird die ungleich schwierigere Aufgabe noch schwieriger: den Laden wieder aufzurichten. Und zwar gegen Widerstände allerorten.

Zu klären ist, wie denn nun der Kurs aussehen solle und wie ein Wahlkampf anzulegen ist, der aus einem tiefen Tal der Tränen starten muss. "Ich gratuliere Andreas Stoch, ich schätze ihn als Kollegen und traue ihm zu, die SPD wieder zu stabilisieren", hat CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart schon mit einer bemerkenswerten Reaktion aufhorchen lassen, ebenfalls nach dem Motto: die nächste Landtagswahl kommt bestimmt – samt neuer Machtoptionen. Und Stoch verspricht in seinem ersten Brief an die 35 500 Mitglieder – mehr hat im Südwesten nur die CDU –, er wolle der SPD ihre alte Schlagkraft zurückgeben, und dazu gehöre als erstes, "aufrecht und mit Stolz unsere Ideen für ein besseres Baden-Württemberg nach draußen zu vertreten".

Die kostenlose Kita ist eine solche. Für ein kleines erstes Comeback der gebeutelten Sozialdemokratie wäre es nötig, dass die gesetzliche Schwelle von zehntausend Unterschriften locker und zügig genommen wird. Mit ihnen würde das Volksbegehren eingeleitet, wofür sich die SPD übrigens noch eine kleine rote Feder an den Hut stecken dürfte: Die Hürden dafür hatte Grün-Rot noch in der vergangenen Legislaturperiode gesenkt. "Das ist unsere Form der Politik des Gehörtwerdens", kapert Stoch die bekannte Kretschmann-Devise. Und noch ein Spruch des Grünen würde passen. Der von den Mühen der Ebene, wobei es bei den anstehenden Kommunal- und Europawahlen erst einmal darum gehen wird, die bisherigen Ergebnisse zu halten. Das wollten alle Landesvorsitzenden seit Erhard Eppler 1980. Und es ist keinem anhaltend gelungen.


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7 Kommentare verfügbar

  • Charlotte Rath
    am 04.12.2018
    Antworten
    Das Aus für die Finanztransaktionssteuer ist ein weiterer Beweis dafür, dass die politische Macht des Finanzsektors ungebrochen ist. … Anders als sein Vorgänger hat Bundefinanzminister Olaf Scholz (SPD) von vornherein jegliches Engagement für eine Finanztransaktionssteuer missen lassen. Dabei ist in…
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