Friedrich Merz bleibt dabei: Die Politik seiner CDU habe mit dazu beigetragen, dass die "Alternative für Deutschland" (AfD) sich ausbreitet in den Parlamenten. Stimmt - nur anders herum, als er denkt. Denn wären die, deren Partei das C im Namen trägt, in der Flüchtlings- und Migrationspolitik standhaft geblieben, hätten sie konsequent gearbeitet an der "Wir-schaffen-das"-Stimmung, wäre der Aufstieg der Rechtspopulisten gebremst. Die Länder Hamburg, Niedersachsen, Bremen und Schleswig-Holstein mit ihren einstelligen AfD-Ergebnissen belegen diese These.
Doch statt die richtigen Lehren zu ziehen, wird weiter gezündelt mit Zahlen und mit Falschdarstellungen. Sogar im Stuttgarter Osten. Dort kämpft die CDU für den Erhalt des Spielplatzes an der Uhlandshöhe, für die Wiederbepflanzung der Blumenrabatte an der Petruskirche, gegen "unbedachte Fahrverbote", gegen Abfall und Unrat in Grünanlagen - und gegen ein Mindestmaß an Mitgefühl mit den Ärmsten der Armen. Das zeigt ihr Umgang mit dem UN-Migrationspakt. "Durch den Globalen Pakt soll ein Einwanderungsrecht für all jene geschaffen werden, die beim besten Willen weder als Verfolgte noch als Flüchtlinge anerkannt werden können (...) Zudem beinhaltet der Vertrag inakzeptable Eingriffe in die deutsche Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sowie in die Presse- und Meinungsfreiheit", heißt es in einem Antrag an die CDU-Kreiskonferenz, der dort prompt angenommen wurde. Zügig zogen diese und eine Handvoll ähnlicher Initiativen Kreise in der Christlich-Demokratischen Union. Jetzt wird sogar der CDU-Bundesparteitag im Dezember in Hamburg über das Abkommen diskutieren, dem neuerdings die Deutsche Presse-Agentur (dpa) das Attribut "umstritten" mitgibt.
Dabei liegen die 23 Punkte des UN-Abkommens für "sichere, geordnete und reguläre Migration" (GCM), kurz "Migrationspakt", seit Juli endausverhandelt von 192 Staaten, auf dem Tisch. Der 193. machte sich vom Acker: Es war mal wieder Donald Trump, der das Populisten-Wettrennen startet. Vor einem Jahr musste UN-Botschafterin Nikki Haley, die inzwischen ihr Ausscheiden zum Jahresende erklärt hat, den Rückzug der USA erklären, weil die angestrebten Vereinbarungen nicht mit staatlicher Souveränität in Deckung gebracht und einschlägige Entscheidungen "immer nur von Amerikanern getroffen werden können". Im Juli folgte Viktor Orbán mit einer ebenso egoistischen Begründung: Der Vertrag widerspreche den Interessen Ungarns.
Die Stuttgarter CDU beruft sich auf Sebastian Kurz
Ein wichtiger nächster Akt spielt im Oktober in Wien. Da zog sich auch Österreich aus dem Migrationspakt zurück. Bundeskanzler Sebastian Kurz, der Chef einer rechtskonservativen ÖVP-FPÖ-Koalition ist und zurzeit den EU-Ratsvorsitz innehat, befürchtet unter anderem den Verlust nationaler Souveränität. Auf Kurz ("Die christlichen Grundwerte sind mir wichtig") beruft sich sogar die Stuttgarter CDU: "Die 17 Punkte, die Österreich zur Begründung der Ablehnung des Abkommens auflistet, sind für Deutschland von Bedeutung." Bis zum Ausstieg unserer östlichen Nachbarn blieb in Europa diese Haltung den Nationalisten vorbehalten. Inzwischen liefen weitere Regierungen über oder spielen zumindest mit dem Gedanken ans Ausscheren, darunter die von Polen, Bulgarien, Tschechien, Kroatien, der Slowakei, der Schweiz, Israel, Japan oder Australien. Und auch in hiesigen Parteien grassiert das Virus. Eben noch hat die Innenausschuss-Vorsitzende im Bundestag, die CSU-Abgeordnete Andrea Lindholz, Wien kritisiert, "sich von Stimmungen treiben zu lassen", schon springen eigene ParteifreundInnen ab.
"Ignoranz und Unaufrichtigkeit" beklagt die UN-Migrationsbeauftragte Louise Arbour, und wie außerdem "mit falschen Begründungen" argumentiert werde nach zweijähriger Beratung und sechs Monaten intensiven Verhandlungen. Viele der Abtrünnigen seien aktiv dabei gewesen. Als Kurz noch nicht Kanzler, sondern Außenminister der SPÖ-geführten Vorgängerregierung war, begrüßte er in einer Rede vor der UN-Vollversammlung die Entstehung des GCM. Wird er heute daran erinnert, verfällt er in seinen Trump-ähnlichen Redestil und beklagt, wie KritikerInnen ihn "anpatzen" wollten, womit ÖsterreicherInnen ein unziemliches Tadeln meinen. Oder er schüttelt den jugendlichen Kopf über die "Aufregungskultur" im Land. Dabei werde die Welt schon nicht untergehen, sagt er kürzlich im Parlament, wenn Österreich nicht mitmacht.
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Charlotte Rath
am 29.11.2018„Wie Seehofer und Merkel mit ihrem…