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"Es ist Zeit, aufzustehen"

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Asylbewerber, gut integriert, dann aber doch abgelehnt? Die neuen Eckpunkte der Großen Koalition für ein Einwanderungsgesetz deuten ein Einsehen an. Aber Rechtssicherheit für Unternehmen gibt es immer noch nicht. Wie nötig ein Umdenken ist, wird im Gespräch mit Vaude-Chefin Antje von Dewitz deutlich. Sie bildet Asylbewerber aus, die von Abschiebung bedroht sind.


Frau von Dewitz, Sie haben die Aktion "Bleiberecht für Flüchtlinge" mitinitiiert. Wieviele Firmen sind denn bis jetzt beteiligt?

Ungefähr 110 Unternehmen aus Baden-Württemberg, inzwischen auch schon welche aus Bayern.

Wieviel Asylbewerber oder Flüchtlinge gibt es derzeit bei Vaude?

Zwölf. Und sieben davon sind von Abschiebung bedroht. Auch wenn sie sich hervorragend integriert haben und einen Mehrwert leisten, ist es nach dem deutschen Asylrecht rechtens und auch verständlich, wenn sie abgelehnt werden. Dann müssen die eigentlich ausreisen.

Dass es rechtens ist, das glaube ich, aber verständlich?

Vor etwa zweieinhalb Jahren wurden wir von Frau Merkel aufgefordert, uns einzubringen, und da hatten wir das Bedürfnis, Verantwortung zu übernehmen. Eigentlich auch ohne Frau Merkel. Es war sichtbar, dass in Deutschland nicht nur Menschen integriert werden müssen, sondern auch, dass soziale Spannungen auf uns zu kommen werden. Und je schneller wir Geflüchtete integrieren, umso besser. Aber wir haben festgestellt, wie mühsam, anstrengend und aufwendig das ist. Wieviel Herzblut da reingelegt werden muss. Kann ich etwas ausholen?

Ja bitte.

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Bei den meisten Flüchtlingen fängt es an mit Deutschkursen. Man geht mit ihnen auf Wohnungssuche. Sie verstehen kein Behördendeutsch, also muss man sich in den ersten Monaten durch den Behördendschungel wühlen. Wir haben viele engagierte Mitarbeiter, die von Anfang an gesagt haben: Wir möchten helfen, wir möchten Patenschaften übernehmen. Aber es gab auch andere im Unternehmen, die überfordert waren, die gesagt haben: Uuh, jetzt kommt noch einer, was wissen wir, wen wir uns da ins Haus holen? Es gab Mitarbeiter, die tatsächlich Angst gehabt haben. Ein Unternehmen ist wie ein Mikrokosmos der Gesellschaft, wir mussten viele Gespräche führen, erklären wofür wir stehen. Wir haben dann angefangen, Fluchtgeschichten öffentlich zu machen, ganz sensibel und mit denjenigen, die ihre Geschichte erzählen wollten. Einfach um Verständnis zu schaffen.

Was ich wichtig finde: Auch der Staat investiert in Integration, man kriegt das erste halbe Jahr Zuschüsse, um die Mitarbeiter einzuarbeiten. Und wenn es klappt, ist es wunderbar. Unsere Mitarbeiter sind mittlerweile ein Team, ein Herz und eine Seele, sie leisten tolle Arbeit.

Auch körpersprachlich war es interessant: Als die Flüchtlinge zu uns kamen, waren sie gebückt und verängstigt, teilweise einfach hoffnungslos und leer. Jetzt haben sie Arbeit, sie haben einen Sinn im Leben, sie haben eine eigene Wohnung, sie blühen auf. Und dann kommt die Abschiebung, und die betrifft diese Menschen nicht nur wirtschaftlich und psychisch. Es betrifft auch unsere Mitarbeiter, alle sorgen sich. Und dann kommt noch dazu: Wenn tatsächlich diese sieben abgeschoben werden, haben wir einen riesen wirtschaftlichen Schaden. Wir haben es hochgerechnet, weil die Geflüchteten vornehmlich in der Produktion beschäftigt sind: Wir können mit 250 000 Euro Umsatzausfall durch Produktionsausfälle rechnen. Davon haben wir die Zuschüsse schon abgezogen.

Sie sagten, 110 Firmen sind jetzt bei der Initiative "Bleiberecht für Flüchtlinge" dabei. Läuft es in anderen Betrieben ähnlich wie bei Vaude, auch mit so viel Einsatz und mit Unterricht für die Sprache und Integrationsmaßnahmen?

Es läuft auf ganz verschiedenen Ebenen, teilweise sind riesen Unternehmen dabei wie die EnBW, teilweise ganz kleine, wie der Metzgermeister um die Ecke. Was alle verbindet, ist zum einen, dass Integration nicht einfach ist, das ist kein Spaziergang, man muss sich wirklich reinhängen. Und zum anderen ist es schwierig, Arbeitskräfte zu finden. Oft hat man ja im Kopf, dass Fachkräfte fehlen. Aber es fehlen auch Arbeitskräfte im Handwerk, in der Produktion, in der Hotellerie, in der Gastronomie. Ich höre zum Teil dramatische Geschichten von Unternehmern, was Existenzgefährdendes passieren wird, wenn die Flüchtlinge jetzt abgeschoben werden.

Wie kam es dazu, dass zwölf Asylbewerber bei Ihnen arbeiten?

Die Firma Vaude sitzt in Tettnang im Südwesten von Baden-Württemberg und stellt Bergsport- und Outdoor-Artikel her. Gegründet wurde sie 1974 von Albrecht von Dewitz. Vaude – der Name leitet sich von den Initialen des Familiennamens ab – ist nach eigenen Angaben zu hundert Prozent in Familienbesitz. Das Unternehmen versteht sich als Vorreiter für umweltfreundliche Produktion und faire Arbeitsbedingungen und beschäftigt in Deutschland knapp 500 MitarbeiterInnen. Antje von Dewitz, 46, hat die Geschäftsführung der Firma 2009 von ihrem Vater übernommen. (sw)

Der ursprüngliche Plan war gar nicht, dass wir Geflüchtete einstellen. Aber wir wollten etwas beitragen zur Integration. Also haben wir zu Sportkursen und Gesundheitsprogrammen eingeladen und Workshops veranstaltet. Wir haben mit lokalen Flüchtlingsnetzwerken Kontakt aufgenommen und Nähworkshops angeboten, weil bei uns gerade die Idee entstand, eine Upcycling-Werkstätte zu gründen, um unsere Restmaterialien wieder in neue Produkte zu verwandeln. Wir dachten: Das passt super. Die Flüchtlinge können zusammen Nähen lernen, wir kriegen die Produkte gefertigt, die verkaufen wir und spenden das Geld wieder an das Flüchtlingsnetzwerk. So hat es angefangen.

Der Höhepunkt in der ersten Phase war ein Tag der Offenen Tür. Wir dachten: Flüchtlinge kennen keine deutschen Wirtschaftsunternehmen, wissen nicht, wie da gearbeitet wird, lass uns das mal öffnen und Bewerbungsworkshops machen.

Dann sind wir überrannt worden, mehr als hundert Geflüchtete aus der ganzen Region waren da und gefühlt hat jeder seinen Lebenslauf dabei gehabt, um sich bei uns zu bewerben. Parallel dazu war unsere Manufaktur gerade im Aufbau, die vom Blitz getroffen worden war. Sie ist jetzt etwa 20 Prozent größer als bisher und wir konnten tatsächlich gut Leute gebrauchen. Gerade diesen Bereich, die industrielle Näherei, haben wir immer mit Leiharbeitern besetzt, weil wir auf dem ersten Arbeitsmarkt so gut wie niemanden mehr gefunden haben.

Ich nehme an, dass Sie auch nicht jeden Flüchtling, der gerne bei Ihnen arbeiten möchte, nehmen können.

Nein, das ist genauso wie mit allen anderen Mitarbeitern die wir einstellen, es muss passen und die Stelle vorhanden sein. Inzwischen achten wir auf ein Grundlevel an Deutschkenntnissen, und wir kucken auch auf den Aufenthaltsstatus, das haben wir anfangs nicht gemacht. Aber wie sicher es ist, dass ein Geflüchteter dableiben darf, wusste auch damals keiner. Syrien ist ein Land, das als nicht sicher gilt. Aber wir haben es mit Afghanistan auch erlebt: Plötzlich kommt die Nachricht, jetzt ist Afghanistan sicher.

Sie haben Gespräche geführt mit dem Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg. Ich glaube, Sie haben auch einen Brief an Frau Merkel geschrieben?

Erst Frau Merkel, von ihr gab es keine Antwort. Aber Herr Kretschmann hatte sich zum Unternehmensbesuch angekündigt. Kollegen aus der Manufaktur haben dann gleich die Gelegenheit genutzt und ihn sehr intensiv befragt. Hinterher konnte ich mit ihm sprechen und die Situation schildern. Er war sehr verständnisvoll und hat auf die bundespolitische Rechtslage verwiesen und auch an Innenminister Thomas Strobl. Er sagte, wenn einer in Baden-Württemberg was machen kann, dann sein Kollege. Und daraufhin haben wir uns an den gewandt mit einer Initiative, die wir gemeinsam mit Gottfried Härle von der Brauerei Härle gegründet haben.

Aber solange die Rechtslage so ist, wie sie ist, kann Herr Strobl auch nichts machen?

Herr Strobl kann sich auf Bundesebene für ein Einwanderungsgesetz einsetzen und er kann sich auf Bundesebene dafür einsetzen, dass es einen Spurwechsel gibt. Oder wie das Baby auch genannt werden soll. Momentan sind es ja die Menschen, die über das Asylrecht reinkamen, die abgelehnt werden, sie müssen über das Asylrecht wieder raus. Das ist völlig verständlich und man darf es auch nicht vermischen. Aber Baden-Württemberg hat eben nun mal kein Einwanderungsgesetz. Die Ironie ist, dass viele ja gar nicht zurückgeschickt werden können, weil sie keinen Identitätsnachweis haben. Sie dürfen nicht mehr arbeiten, sie werden zu Sozialhilfempfängern und das Unternehmen verliert seinen Mitarbeiter. Das ist sehr zynisch. Unser Vorschlag wäre, dass es die Stichtagsregelung gibt: Alle, die momentan in fester Arbeit sind, sollen eine Perspektive bekommen. Die muss auch nicht lebenslang sein, aber zumindest ein paar Jahre, damit der Mensch, der Mitarbeiter und das Unternehmen Planungsperspektive haben. So wie es jetzt ist, ist es unerträglich.

Aber wenn man ein paar Jahre gearbeitet hat, eine Wohnung hat, Steuern und Sozialabgaben gezahlt hat – welchen Sinn hat es dann, nach fünf Jahren zu sagen, der Stichtag ist gekommen?

Ja, aber viele, die über das Asylrecht reinkommen, sind ja tatsächlich Wirtschaftsflüchtlinge. Das sehe ich so. Die möchten hier gerne Geld verdienen und legen es gar nicht darauf an, ihr Leben lang hier zu bleiben. Aber wenn sie zumindest ein paar Jahre bleiben und dann in Würde zurückkehren können, nämlich mit Geld in der Tasche, und zuhause etwas aufbauen können, ist, glaube ich, vielen gedient.

Man muss schon ein bisschen optimistisch bleiben. Jeder Mensch ist doch am besten zu überzeugen, wenn man mit guten Beispiel vorangeht und zeigen kann: kuckt mal, wir haben alle was davon. Die Flüchtlinge, das Unternehmen und letztendlich auch der Staat, weil er Einkünfte kriegt.

Irgendwie klingt das, als wäre es einfach.

Eigentlich wäre es ganz einfach.

Gibt es nochmal ein Date mit Herrn Kretschmann oder Herrn Strobl?

Im November treffen wir uns mit Herrn Strobl wieder. Wir haben aus der Initiative "Bleiberecht" eine GbR gemacht, organisieren das jetzt auch mit einer Mitarbeiterin und haben klare Forderungen und klare Erwartungen. Darüber sprechen wir mit ihm.

Es gibt noch andere Firmenchefinnen, die sich engagieren. Kennen Sie Judith Borowski? Sie ist Chefin von Monas Glashütte, die Uhren herstellen. Und die positioniert sich gegen Rechts.

Wir machen ja sehr klar, dass wir gegen Rassismus und für eine offene Gesellschaft sind und uns für geflüchtete Mitarbeiter einsetzen. Und wir kriegen auch mit, was passiert, wenn man sich engagiert: einerseits Zuspruch und Unterstützung und auf der anderen Seite sehr viele Hassmails und Trollaktivitäten in allen sozialen Medien. Ich finde es wahnsinnig erschreckend, welches Klima da herrscht und welcher Ton.

Ich bin derselben Überzeugung wie Frau Borowski, ich finde, Unternehmen müssen sich mehr hinstellen, es ist die Zeit, aufzustehen und Haltung zu zeigen, Werte zu zeigen, für Demokratie einzustehen und sich zu äußern.

Ja, das müssten eigentlich alle machen, auch die Unternehmen.

Ich finde sogar, Unternehmen kommt eine besondere Rolle zu. Das Misstrauen in Institutionen ist greifbar, Menschen misstrauen der Politik, misstrauen den Medien. Aber sehr viele Menschen arbeiten in einem Wirtschaftsbetrieb und das Misstrauen gegenüber dem eigenen Arbeitgeber ist noch nicht so ausgeprägt wie gegenüber Medien oder Politik. Das hoffe ich zumindest. Und daher denke ich, dass es für ein Unternehmen als rahmengebende Institution, als Netzwerk sozusagen, wahnsinnig wichtig ist, eine Stimme zu haben und nicht einfach zu sagen: Ich halte mich da raus. Ich finde, das darf nicht mehr sein. Extremistische Äußerungen werden sehr laut hinausposaunt, und aus der Mitte der Gesellschaft kommt vor allem Schweigen. Integration kann so wertvoll sein, für alle Beteiligten. Das finde ich eine wichtige Information, die es verdient, kommuniziert zu werden.


Kurz nachdem uns Antje von Dewitz Rede und Antwort stand, hat der Bundestag Eckpunkte für ein Einwanderungsgesetz beschlossen. Nachgefragt, was sie davon hält, antwortete sie uns:

Es ist ein positiver Schritt, dass sich mit der Thematik konstruktiv auseinandergesetzt wird! Vor allem, dass nicht nur ein Einwanderungsgesetz in Arbeit ist, sondern auch die Situation der Geflüchteten in Arbeit berücksichtigt wird. Die inhaltliche Ausgestaltung ist allerdings noch unklar, hier kommt es auf die Details an und auf die Geschwindigkeit, mit der das Gesetz umgesetzt wird. Als Initiative haben wir konkrete Vorschläge, wie die Details ausgestaltet werden könnten, und werden diese in den nächsten Wochen an die Politik geben. Wir sprechen uns dafür aus, dass kein Geflüchteter in Arbeit mehr abgeschoben wird, bis das Gesetz umgesetzt ist.


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