Ertragen Sie es jetzt besser?
Ich kann das Thema besser von mir weghalten. Es ruft nicht mehr die Verzweiflung hervor, die es früher hervorgerufen hat. Vielleicht werde ich lässiger, weil nicht mehr so viel Zeit über ist. Das kann schon sein.
Bei Stuttgart 21 kann es auch daran liegen, dass man sagt, ich kann es jetzt eh nicht mehr verhindern.
Natürlich kann man es verhindern. Es müsste nur einer aufstehen. Es müsste nur in der grün-schwarzen Koalition beschlossen werden, wir geben das Geld woanders aus und bauen das Ding für drei Milliarden so, wie es war, und dann funktioniert es. Das wird nicht passieren, aber es ginge. Man kann alles abbrechen. Niemand würde das Gesicht verlieren, wenn man vernünftig sagen würde: Leute, wir zahlen den Architekten Ingenhoven aus, der kriegt sein Geld, und wir bauen etwas, das zukunftsfähig ist. Denn das ist dieser Bahnhof nicht.
Sie meinen ernsthaft, die Befürworter ziehen das durch, obwohl Sie wissen, dass es nicht funktioniert?
Ja, sie wissen, dass der Bahnhof zu klein ist. Das weiß jeder. Es heißt immer wieder, wenn's mal fertig ist, dann kucken wir mal. Es kann physisch nicht funktionieren, das weiß man. Und dann haben wir bahnmäßig einen Verkehrsinfarkt und werden die Autos nie los. Aber für die Techniker ist es ein irrsinnig spannendes Projekt, weil man nicht genau weiß, wie es geht.
Walter Sittler hat neben der deutschen auch die amerikanische Staatsbürgerschaft. Zur Präsidentschaftswahl hat er Hillary Clinton gewählt, weil Bernie Sanders nicht zur Option stand. "Nach jedem europäischen Wahlrecht wäre Trump nie Präsident geworden", sagt er. Im normalen Leben sei es ok, wenn Menschen jemanden brauchen, der auf den Tisch haut und ihnen sagt, wie sie leben sollen. Aber in der Politik sei so jemand "ungeeignet".
Herr Sittler, erschreckt es Sie, dass so viele Menschen Trump gewählt haben?
Das Eigentliche, was mich stört, ist, dass so viele um Donald Trump herum sein Spiel mitspielen. Anstatt zu sagen, das machen wir nicht mit. Die Präsidentschaft Trump ist die größte Verschiebung von Vermögen zu denen, die es sowieso schon haben, in der Geschichte der USA. Ok, außer vielleicht zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts.
Momentan laufen ungefähr 40 alte Filme von Walter Sittler auf diversen Fernsehsendern. Im Dezember kommt sein neuester Film auf die Mattscheibe, Anfang des nächsten Jahres ein weiterer. Seine Frau, die Dokumentarinfilmerin Sigrid Klausmann, ist gerade im Ausland für ihren Film "Nicht ohne uns", ein fortlaufendes Projekt, das Schulwege von Kindern dokumentiert (<link https: www.kontextwochenzeitung.de kultur auf-leisen-sohlen-4137.html _blank internal-link-new-window>Kontext berichtete). In Palästina hat Klausmann gerade einen Film über fußballbegeisterte Mädchen gedreht. "Meine Frau sagt, die Mädchen dort spielen wie Beckenbauer", sagt Sittler lachend.
Herr Sittler, gemeinsam mit Ihrer Frau Sigrid Klausmann haben Sie sich da ein ambitioniertes Projekt vorgenommen. Schulwege in allen Ländern – wie soll das gehen?
Wir haben bis jetzt Schulwege von mehr als 30 Kindern auf der ganzen Welt. Und wir wollen am besten jedes Land haben.
Wissen Sie denn, wie viele es gibt?
Das kann Ihnen überhaupt niemand sagen! Wenn sie das Auswärtige Amt anrufen, sagen die, es gibt 194. Für die Uno sind es 198. Die FIFA hat 207. Und wir sagen, uns ist die Zahl egal. Es ist den Kindern nämlich auch egal.
Diese verschriftlichte Version ist eine stark gekürzte Fassung, das ganze Gespräch gibt's im Video oben. Aufgezeichnet haben wir es drei Tage vor dem Platzen der Jamaika-Koalition.
3 Kommentare verfügbar
Schwa be
am 01.12.2017