"Brain circulation" wird allen dringend angeraten, die ernsthaft an positiven Entwicklungen in den sogenannten Drittstaaten interessiert sind. Mitteleuropa hat während und nach den Kriegen in Jugoslawien einen riesigen Feldversuch hinter sich gebracht. Rund 15 000 Flüchtlinge vom Balkan lebten Mitte der Neunzigerjahre allein in Stuttgart, ein Jahrzehnt danach hatte sich ihre Zahl wegen des hohen Rückkehreranteils mehr als halbiert. Als der Innenausschuss des Landtags 2011 in die Republik Kosovo reist, haben viele der Gesprächspartner in Pristina, Mitrovica oder Pecs Erfahrungen in oder Verbindungen nach Baden-Württemberg vorzuweisen. Und viele Unternehmen wollten nicht bloß verkaufen, sondern unterhielten sinnvolle Projekte zur Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung vor Ort.
Gegenwärtig spielt die Republik Kosovo eine zentrale Rolle bei der "fairen Arbeitsmigration" in den Südwesten, von der Oberkirchenrat Dieter Kaufmann spricht. Das Diakonische Werk Württemberg ermöglicht legale Einwanderung: Junge Menschen können eine dreijährige Ausbildung zur Altenpflegefachkraft absolvieren und so den Fachkräftemangel lindern. Der erste Jahrgang hat seinen Abschluss in der Tasche, 145 junge Leute sind in Ausbildung, weiter hundert starten 2019.
"Es ist unser biblisch begründeter Auftrag, auch für das Wohl der Pflegekräfte zu sorgen", sagt Kaufmann und kann zugleich von der harten Realität für Arbeitgeber und Interessenten berichten. Eine Zeugnisbeglaubigung dauere aktuell in Stuttgart 14 Monate, die Visumsanerkennung in der deutschen Botschaft in Pristina sogar 16. "Um Deutschland für internationale Fachkräfte attraktiver zu machen, wollen wir die Voraussetzungen schaffen, dass die Gleichwertigkeitsprüfung der beruflichen oder akademischen Qualifikationen möglichst schnell und unkompliziert durchgeführt wird", sagen dazu die Eckpunkte des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. Nicht viel mehr als Lyrik, denn das Versprechen ist gegeben seit Einführung der "Green Card", die ab 2000 rund 20 000 IT-Fachkräfte für eine begrenzte Zeit ins Land locken sollte. Diese Zahl konnte nie erreicht werden. Die IT-Fachkräfte tauchen nun in dem neu ausgehandelten Eckpunktepapier abermals auf, weil die Wirtschaft sie "dringend benötigt".
Mehr als Entwicklungshilfe: Geldüberweisungen der Angehörigen
Ob Auswahl und Abwerbung, Zuwanderung, Flucht oder das von UNO und den Aufrichtigen in der EU so dringend angemahnte Resettlement, also die legale Neuansiedlung von MigrantInnen (der sich jedoch immer mehr reiche Länder verschließen), eine Gemeinsamkeit eint alle, ganz unabhängig vom Weg ins bessere Leben: Wer erst einmal angekommen ist, überweist Geld in die alte Heimat. Allein in einem einzigen Jahr, 2016, flossen laut Bundesregierung fast 18 Milliarden Euro aus Deutschland zurück in die Herkunftsländer. Weltweit liegt dieser private Geldfluss jährlich bei über 500 Milliarden Euro und übertrifft die Entwicklungshilfezahlungen der reichen Staaten um ein Vielfaches. Für Deutschland mit seiner – allen anderslautenden Gerüchten zum Trotz – vergleichsweise bescheidenen Einwanderungsquote gehen die Statistiken von einer Verdoppelung aus. Übrigens: Die Banken schneiden bei dem Geldtransfer in die ärmeren Länder kräftig und unanständig mit, dank satter Gebühren. Eben erst wurde wieder eine Initiative angestoßen, eine Senkung auf drei Prozent zu erreichen – bis ins Jahr 2030 (!).
"Wenn ihr uns nicht helft, dann können wir nichts mehr tun", sagt der fiktive Isa El-Mahdi vor 28 Jahren. Er kann eine EU-Kommissarin für Afrikas Anliegen interessieren. Sie verhandelt unermüdlich, sucht Länder, die Menschen aufnehmen, und scheitert. Der Film endet nach dem ersten Toten an der spanischen Küste mit ihrem Appell: "Wir brauchen euch, wie ihr uns braucht. Wir können nicht weitermachen wie bisher. Ihr könnt uns helfen, die Zerstörung aufzuhalten, die wir anrichten. Aber wir sind noch nicht bereit für euch, ihr müsst uns noch mehr Zeit geben." Der EU-Ratsvorsitzende Sebastian Kurz (ÖVP) hat dieser Tage und in völliger Verkennung der Realität – mit Blick auf den Außengrenzschutz – Afrika zu "Europas Hoffnung" erklärt.
In Wahrheit ist es viel eher anders herum. Europa müsste die Hoffnung Afrikas sein. Doch tatsächlich wird ausgesiebt und ausgesondert. Ein paar Jahre nach "Der Marsch" hat die BBC eine Dokumentation mit szenischen Sequenzen produziert, der wiederum die (Arbeits-)Migration mit dem inzwischen noch drastischeren Klimawandel verknüpft: Zwei Freunde schaffen es auf ihrer Flucht durch den Kontinent bis ans Mittelmeer und werden dort auseinandergerissen, weil die in ihren tätowierten Barcodes gespeicherten Informationen sie nicht beide ausweisen als für Europa nützlich. Der eine muss zurück, der andere darf nach Frankreich und dort in einer der großen Orangenplantagen schuften, die auf dem Gebiet früherer Weingüter entstanden sind. Fiktion? Oder doch der Blick in eine wenig entfernte Zukunft?
1 Kommentar verfügbar
Schwa be
am 19.10.2018Ich…