Hinter der Hartherzigkeit steckt jede Menge Unwissen. Der UNHCR, die Malteser und viele andere Hilfsorganisationen haben inzwischen umfangreiche Erfahrungen gesammelt über Fluchtmotive und Kommunikation aus der neuen Gegenwart in die alte Heimat. An der Uni Innsbruck forscht ein WissenschaftlerInnenteam darüber seit Jahren, nicht erst seit der sogenannten Flüchtlingswelle von 2015. Migranten berichten selten Negatives, etwa, dass der Traum vom guten Job sich nicht erfüllt hat. "Weil man dann als Versager dargestellt wird", sagt Belachew Gebrewold, der renommierte Politikwissenschaftler und Migrationsforscher mit äthiopischen Wurzeln. Flüchtlinge wollten zeigen, dass sie es geschafft hätten. Mehr noch: Selbst wenn per Handy oder Skype doch mal von Problemen die Rede ist, "dann wird das in den Herkunftsländern nicht geglaubt". Aus der Perspektive der aufnehmenden Gesellschaften ist an den Pull- oder Nicht-Pull-Faktoren also gar nichts zu ändern.
Gerade viele Christdemokraten halten die Aussicht auf Arbeit nach abgelehntem Asylgesuch aber gerade für einen dieser Pull-Faktoren, der angeblich weitere MigrantInnen nach Deutschland zieht. Dabei zeigen Studien längst, dass es weniger die Pull-, sondern vielmehr die Push-Faktoren sind, die den Ausschlag geben. Häufig ist es der älteste Sohn der Familie, der Mutigste und Beweglichste, den man mit hohen Erwartungen ziehen lässt. "Migranten entscheiden sich ad hoc", erläutert Gerbewold in der "Tiroler Tageszeitung", weil viele Dinge zusammentreffen müssten: "Wie finanziere ich das, wen involviere ich in den Prozess? Das können Freunde oder Familie sein oder jemand, der Geld verleihen kann. Das nächste ist, wen bezahle ich? Dann die Frage: Wie kann ich meinen Lebensunterhalt auf dem Weg verdienen, wenn das Geld ausgeht?" Und auch die Fluchtursachen, eben jene Push-Faktoren, sind erforscht. "Wir haben viele Länder untersucht", sagt der Professor. Der gemeinsame Nenner seien Kriege und der Klimawandel, der dafür sorgt, dass "viele Menschen, die für sich selbst sorgen konnten, das durch die ausbleibende Regenzeit nicht mehr können".
33 000 Ausbildungsstellen nicht besetzt
Zwei Ökonomen der Columbia University in New York, darunter der Karlsruher Wolfram Schlenker, prognostizieren auf Basis der Asylansuchen in der EU aus 103 Ländern in den Jahren 2000 und 2014 den Anstieg der Zahl der Klimaflüchtlinge. Bei der optimistischen Annahme einer Erderwärmung um 1,8 Grad kämen etwa 100 000 Menschen pro Jahr zusätzlich nach Europa. Bei zwei oder mehr Grad bis zu einer Million. Und beide Forscher betonen, dass die Herkunftsländer nur wenig Verantwortung für den fatalen Prozess tragen: "Viele der Länder, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind, stoßen besonders wenig Treibhausgas aus, während die Industrieländer, die weniger betroffen sind, am meisten CO2, Methan und Distickstoffoxid in die Atmosphäre befördern."
Viel gute Gründe für den deutschen Südwesten also, sich in Sachen Integration um einen der sonst so gern hervorgekehrten Spitzenplätze zu bemühen. Zumal nicht nur UnternehmerInnen drängen, etwa weil zu Ferienbeginn noch 33 000 Ausbildungsstellen im Land unbesetzt waren, fast zwölf Prozent mehr als im Sommer 2017. Der Landkreistag steht schon länger fest an der Seite der CDU-Ministerin und verlangt in einer Stellungnahme zum geplanten Einwanderungsgesetz der Bundesregierung einen "einmaligen Statuswechsel, der den gut integrierten Geduldeten und Flüchtlingen zugute käme, gleichzeitig Anreize für den Zuzug von Wirtschaftsflüchtlingen vermiede und den auf Arbeitskräfte angewiesenen Unternehmen helfen würde, Planungssicherheit für die Landkreise in Bezug auf die Integration der Flüchtlinge zu schaffen und den Verwaltungsaufwand erheblich zu verringern".
9 Kommentare verfügbar
Schwa be
am 28.08.2018