Wie kommt man dazu, ein Interview-Buch mit Noam Chomsky, der Ikone der linken Philosophie, zu machen? "Man schreibt ihm eine Email und fragt, ob er Lust dazu hat", sagt Emran Feroz und lacht dabei. Mehrere Interviews hat er per Skype und Mail mit dem mittlerweile fast Neunzigjährigen Granden geführt. Zum letzten Gespräch ist Feroz in die USA geflogen, um Chomsky live zu treffen, in Büro 234 an der Universität von Arizona, am Ende eines Ganges links, wie programmatisch.
Tucson, die Stadt in der Noam Chomsky lehrt, liegt an der Grenze zu Mexiko. Hunderte Migranten aus Honduras, Guatemala und El Salvador fliehen momentan vor politischen und sozialen Krisen, um in den USA Asyl zu beantragen. Viele dieser Menschen werden sterben beim Versuch, über Mexiko die Vereinigten Staaten zu erreichen, so, wie es schon tausenden vor ihnen ergangen ist. "Sie werden von den Grenzwächtern absichtlich in den Tod geschickt und verdursten in der glühender Hitze der Wüste", sagt Emran Feroz. Er hat diese Wüste besucht, nur einen halben Tag lang war er dort. "Es hatte 45 Grad, du kannst nur ganz kurz aus dem Auto aussteigen. Es ist nicht auszuhalten. Und dann stellt man sich vor, Flüchtlinge wandern durch diese Hitze und hoffen, dass endlich die nächste Stadt kommt. Es kommt aber keine." Noam Chomsky, erzählt Feroz, ginge dieses Thema sichtlich nahe. Auch in seinem Buch nimmt es viel Raum ein. (Anna Hunger)
Herr Professor Chomsky, Sie haben die sogenannte Migrations- beziehungsweise Geflüchtetenkrise bereits erwähnt. Zurzeit macht die Geflüchtetenpolitik der USA weltweit Schlagzeilen. Die Behörden trennen Eltern von ihren Kindern, an der südlichen Grenze geschehen fürchterliche Dinge. Zum Glück gibt es hier in Tucson, das nahe der Grenze liegt, sehr viele Aktivisten, die helfen wollen und Geflüchtete retten.
Ich würde nicht sagen, dass man von "sehr vielen" Aktivisten sprechen kann, dennoch ist ihre Arbeit sehr wichtig. Das ist ein interessanter Aspekt, hier im Süden Arizonas. Die allgemeine Politik ist sehr rechts gerichtet, doch in Tucson und einigen anderen Orten gibt es einige Hilfsorganisationen, die stark von der Öffentlichkeit unterstützt werden. Diese Menschen sind sehr couragiert. Sie errichten Camps in der Wüste, wo sie versuchen, den Geflüchteten zu helfen. Es gibt dort Notversorgung, Schlafplätze und andere grundlegende Dinge. Man versucht, jenen Menschen zu helfen, die es geschafft haben, die Grenze zu überqueren und den Grenzpolizisten zu entkommen. Diese Helfer gehen in die Wüste, die bekannterweise sehr tödlich ist, und verstecken dort Lebensmittel- und Wasserrationen für Geflüchtete, die zufällig vorbeikommen könnten.
Das ist sehr riskant. Manchmal werden sie auch verhaftet. Oftmals tauchen die Grenzpolizisten auf und zerstören alle Hilfsmittel. Doch die Helfer geben weiterhin ihr Bestes. Aus meiner Zeit in Boston kenne ich Menschen, die in Tucson gerettet worden sind. Es waren ebenjene Aktivisten, die ihnen das Leben retteten und die Weiterreise ermöglichten. Ursprünglich kamen sie aus Guatemala, wo in den frühen 1980er-Jahren aufgrund der Politik Ronald Reagans ein Genozid stattfand. Menschen fliehen weiterhin vor den Auswirkungen solcher Desaster.
Ich habe hier in Tucson Menschen getroffen, die ihr Leben riskieren, um anderen zu helfen. Dürfen wir hoffen, dass sich die Zeiten zum Besseren ändern?
Ich denke, dass das ein Zeichen der Hoffnung ist, ja. Aber die Zeiten sind ziemlich düster, das steht außer Frage. Andererseits bemerkt man eine außerordentliche Veränderung, wenn man in die letzten 50 Jahre zurückblickt. Wie bereits erwähnt, ist dies bezüglich der Anerkennung der Rechte von indigenen Völkern sehr stark der Fall gewesen. Wir haben große Veränderungen erlebt. Vergessen Sie nicht, was in den USA in den 1960er-Jahren los war. Wir hatten damals noch rassistische Gesetze, die eine Heirat zwischen weißen Menschen und "Personen, die einen Tropfen fremdes Blut" hatten, verbaten. ...
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Schwa be
am 02.11.2018