Ähnlich verhielt es sich auch in Großbritannien. Einer der größten Mathematiker des 20. Jahrhunderts, Alan Turing, der auch als Erfinder der modernen Computertechnologie gilt und aufgrund seiner Rolle als Codebrecher und Kryptoanalytiker im Krieg als Held betrachtet wird, wurde von seiner eigenen Regierung umgebracht – aufgrund seiner Homosexualität. Er wurde zu einer Behandlung gegen die "Krankheit" gezwungen, die ihn zerstörte. Am Ende beging er Selbstmord. So sah die Welt vor nicht allzu langer Zeit aus. Deshalb sollte man stets beachten: Ja, die Zeiten sind unschön, aber es gibt auch Zeichen von Hoffnung. Man muss daran denken, wie die Dinge gewesen sind und was in den letzten Jahren erreicht wurde. All dies geschah nicht einfach so, es war kein Geschenk des Himmels. Es geschah dank ernstem, hingebungsvollem Aktivismus, hauptsächlich durch junge Menschen.
Dies macht deutlich, was erreicht werden kann, und heute ist es einfacher als früher. Denn durch das, was in der Vergangenheit erreicht wurde, kann man heute mit einem guten Fundament, einer Hinterlassenschaft, starten. Man muss heute nicht streiten, um über grundlegende Frauenrechte oder die Rechte von indigenen Völkern und anderen Minderheiten zu reden. ... Die Zustände heute sind schrecklich, aber so schlimm sind sie nicht mehr. Man kann gewisse Sachen erreichen, wenn man sich für sie einsetzt.
Denken Sie, dass einzelne Akte des Ungehorsams große Auswirkungen auf die Gesellschaft haben könnten?
Ein Beispiel hierfür fand vor Kurzem statt und machte deutlich, was man mit derartigen Aktionen erreichen kann. Eine junge Frau – die schwedische Aktivistin Elin Ersson – stand in einem Flugzeug allein auf, um den möglichen Tod eines Menschen zu verhindern. Es handelte sich dabei um einen afghanischen Geflüchteten, der abgeschoben werden sollte. Groß angelegter ziviler Ungehorsam könnte sehr viel mehr erreichen. In diesem Kontext appelliere ich allerdings immer wieder daran, auf den Gesamtzusammenhang zu achten.
Wir müssen stets daran denken, warum Menschen aus ihrer Heimat fliehen. Sie fliehen nicht, weil sie in den Armenvierteln von New York leben wollen. Sie fliehen, weil man in ihrer Heimat nicht mehr leben kann. Man kann dort nicht leben aufgrund der Dinge, die wir getan haben. In weiten Teilen ist genau dies der Grund. Dieser Umstand macht auch deutlich, was die Lösung für die Krise ist, nämlich das wieder aufzubauen, was wir zerstört haben. Wir müssen die Gräueltaten, die wir verübt haben, wiedergutmachen. Dann werden auch weniger Menschen gezwungen sein zu fliehen. Jenen, die hier um Asyl bitten, sollten wir in einer humanen und zivilisierten Art und Weise entgegenkommen. Vielleicht werden wir nie das Niveau der Zivilisierung jener armen Länder erreichen, die die meisten Geflüchteten aufnehmen. Aber es sollte und darf nicht völlig außer Reichweite sein.
Sie sagen oft, dass viele Menschen vor dem Klimawandel fliehen. Wie können wir sofort und realistisch etwas dagegen unternehmen?
Die Benutzung fossiler Brennstoffe muss zügig beendet werden, während die Verwendung erneuerbarer Energien massiv erhöht werden muss. Ähnlich verhält es sich mit der Erforschung von erneuerbarer Energie. Die Erhaltung der Natur muss als wichtigste Aufgabe erachtet werden. Außerdem muss eine weitreichende Kritik am kapitalistischen Modell der Ausbeutung von Menschen und Ressourcen erfolgen. Es ist nämlich dieses Modell, das unserer Spezies den Todesstoß geben könnte.
Ein Schritt in diese Richtung würde eine grundlegende Veränderung des Lebensstils vieler Menschen bedeuten, auch des "American Way of Life". Darüber hinaus ist die Geschichte der Menschheit von Zerstörung und Blutvergießen geprägt. Ohne Zweifel gibt es also auch eine aggressive und gewalttätige Seite des Menschen, die wir überwinden müssen. Wie stehen Sie zu dieser dunklen Seite der menschlichen Natur?
Seitdem Gewalt und Unterdrückung existieren, gibt es Reflexionen über die Natur des Menschen. Was Sie beschrieben haben, ist nicht falsch. Doch der Mensch ist auch ein Wesen, das Mitgefühl, Güte, und Solidarität zeigt. Er kümmert sich auch um seine Mitmenschen – und einige wichtige Persönlichkeiten wie Adam Smith waren sich dessen bewusst und meinten, dass diese die grundlegenden, wichtigen Eigenschaften des Menschen wären. Die Herausforderung für die soziale Politik ist es, einen Weg zu finden, diese Eigenschaften in institutionellen und kulturellen Strukturen auszuleben. Demnach müssen wir unsere milde, gutmütige Seite vorziehen, während wir die rauen und zerstörerischen Aspekte unserer Natur unterdrücken.
In Bangladesch werden in naher Zukunft Millionen von Menschen zu Klimaflüchtlingen. Dies hat vor allem mit dem steigenden Meeresspiegel sowie mit den immer extremer werdenden Wetterbedingungen zu tun. Atiq Rahman, ein Klimaforscher aus Bangladesch, meint diesbezüglich, dass diese Menschen das Recht haben sollten, in all jene Staaten zu ziehen, in denen die Treibhausgase produziert werden. Millionen sollten demnach auch in die USA einreisen dürfen. Ich nehme an, auch Sie sind der Meinung, dass er damit recht hat?
Rahmans Kommentare stammen aus einem Text in der New York Times. Sie waren irgendwo in der Zeitung vergraben. Eigentlich hätten sie die Schlagzeile sein sollen, denn seine Worte illustrieren die sogenannte Migrationskrise sehr gut. Es war Papst Franziskus, der das Ganze auf den Punkt brachte, als er meinte, dass die Migranten nicht die Ursache der Krise sind, sondern deren Opfer. Warum betrachten wir es überhaupt als Krise, wenn zum Beispiel 8 000 Opfer von Krieg und Zerstörung in Österreich ankommen, einem reichen und mächtigen Land mit acht Millionen Einwohnern? Andere Staaten, die weitaus weniger wohlhabend sind, nehmen viel mehr Geflüchtete auf. Im Libanon sind vierzig Prozent der Bevölkerung Geflüchtete, die von einem Verbrechen zum nächsten geflohen sind, etwa vor jenen, die kürzlich im Irak und in Syrien stattgefunden haben und dort weiterhin zum Alltag gehören. ...
Doch reiche Staaten, die nicht nur die Kapazitäten haben, Geflüchtete aufzunehmen, sondern auch eine maßgebliche Verantwortung für die Situation in den Ursprungsländern tragen, wollen ebenjene Menschen nicht aufnehmen. Es gibt nur einen Staat in Europa, der tatsächliche Bereitschaft zeigte und richtig reagierte, nämlich Angela Merkels Deutschland, das rund eine Million Geflüchtete aufnahm. Abgesehen davon sollte man sich fragen, was Europa und die Vereinigten Staaten eigentlich tun. Sie sind damit beschäftigt, andere Länder zu bestechen, damit diese die Geflüchteten fernhalten. Europa tut das, indem es einen Deal mit der Türkei eingegangen ist, damit sie diese Menschen, die aus Syrien, Irak oder Afghanistan fliehen, aufnimmt. ...
2 Kommentare verfügbar
Schwa be
am 02.11.2018Andromeda Müller
am 04.11.2018