Wenn der Himmel aufklart, wächst in Khost die Angst. Im Osten Afghanistans, an der Grenze zu Pakistan, ist der Krieg so alltäglich geworden ist, dass schon Kinder wissen, was eine Predator-Drohne und was ein Apache-Hubschrauber ist. "Wenn die am Horizont auftauchen", berichtet der Journalist Emran Feroz, "fangen die Kleinen panisch an zu schreien, rennen zu ihren Eltern. Viele trauen sich überhaupt nicht mehr, draußen zu spielen." Und diese Furcht, sagt er und stockt, sei leider durchaus berechtigt.
Denn während die Drohnenangriffe im US-amerikanischen Militärjargon als "surgical strikes" (Angriffe mit chirurgischer Präzision) dargestellt werden, töten sie regelmäßig Zivilisten, teilweise sogar ausschließlich. All das erwähnt Feroz ruhig und sachlich in einem Stuttgarter Café. Seinen Cappuccino ziert ein Herz aus Milchschaum, das große Stück Schokokuchen vor ihm rührt er eine halbe Stunde nicht an. "Manchmal ist es schon schwer, mit diesem krassen Kontrast klarzukommen", sagt der 26-Jährige schließlich, schweigt kurz, zuckt mit den Schultern. "Aber jemand muss sich ja mit dem Thema beschäftigen." Und das sind nicht besonders viele.
"Als Journalist", erzählt Feroz über seine letzte Reise, "bist du hier inkognito unterwegs." Kaum ein Land sei für Medien unsicherer als Afghanistan. Für seine Recherchen war er zuletzt im vergangenen Mai im Herkunftsland seiner Eltern. Ihnen hat er zu verdanken, dass er neben Deutsch und Englisch die beiden afghanischen Amstssprachen Dari und Pashto beherrscht. Ein großer Vorteil, gerade für seine Recherchen in Khost. Die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz wird von der paramilitärischen Khost Protection Force (KPF) kontrolliert. "Da verdienst du doppelt so viel wie bei der Armee", berichtet Feroz. Finanziert und ausgebildet wird die Kampfeinheit von der CIA – wobei sich der Geheimdienst nicht scheut, Menschen mit krimineller Vergangenheit zu engagieren und auszurüsten. Diese werden meist vor Ort rekrutiert, sprechen häufig nur den regionalen Dialekt, eine Variante des Pashto, und "merken sofort, wenn du nicht von hier bist", erzählt Feroz. Dank seiner Sprachkenntnisse konnte er den Grenzposten jedoch glaubhaft versichern, dass er Verwandtschaft besuchen wolle, und ungehindert einreisen.
Feroz: 6000 Zivilopfer in Afghanistan
Hier spricht Feroz vier Wochen lang mit Menschen wie Abdul Hadi, der sich zunächst verwundert zeigt, dass sich überhaupt jemand um sein Schicksal schert. Hadis Vater, Haiji Delays, Taxifahrer, wurde 2014 durch einen Drohnenangriff getötet, gemeinsam mit vier Weiteren, die in seinem Wagen saßen, als sie die Hellfire-Rakete traf. Abdul Hadi ist 22 Jahre alt, als er die Leiche seines Vaters anhand verbrannter Körperteile identifizieren soll. Später wird er die vage Auskunft erhalten, im Taxi habe "ein Verdächtiger" gesessen. Nach drei Jahren ist Emran Feroz der erste, der an die Haustür seiner Lehmhütte klopft, nur um mit ihm über seinen Vater zu sprechen. Eine psychologische Betreuung erhalten die traumatisierten Opfer so gut wie nie.
Der Tod von Haiji Delays hat es nicht einmal bis in die regionalen Nachrichten geschafft, erzählt Feroz, der gefasst wirkt und dessen Trauer dennoch unverkennbar ist: "Wie viele Menschen den Drohnen zum Opfer fallen, kann niemand mit Gewissheit sagen." Der offizielle Bericht der UN nennt im Jahr mindestens 250 afghanische Zivilopfer durch NATO-Luftangriffe. "In Wahrheit sind es aber deutlich mehr", sagt Feroz. Denn im Bericht aufgelistet werden nur diejenigen Opfer, die in mindestens drei verschiedenen Quellen als solche aufgeführt werden. In vielen Fällen, gerade in provinziellen Gebieten, sei das Militär jedoch die einzige Quelle und spreche meist pauschal von Aufständischen oder Terrorverdächtigen. Feroz rechnet seit Kriegsbeginn 2002 mit 6000 Zivilopfern durch Drohnenangriffe, "mindestens" – also deutlich mehr, als die Terroristen, die getroffen werden sollten.
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Schwa be
am 19.11.2017