KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Mit Volldampf zur Weißwurst

Mit Volldampf zur Weißwurst
|

Datum:

Am Tag nach der Wahl der EU-Kommissionspräsidentin ist Günther Oettinger in der Kontext-Redaktion. Klar, dass er nach von der Leyen und Kramp-Karrenbauer gefragt wird. Aber was sagt er zu Wolfgang Dietrich, dem VfB und zu Stuttgart 21?

Überraschung: Der EU-Kommissar für Haushalt und Personal findet beide Parteifreundinnen gut, die frisch gewählte Präsidentin sogar sehr gut und die flink nachgerückte Verteidigungsministerin ziemlich gut. Dass letztere noch jüngst verkündet hatte, auf keinen Fall ins Kabinett einrücken zu wollen – Schwamm drüber, manchmal geht’s eben schnell in der Politik.

Siller fragt: Gestern sagt sie, ich will nicht ins Kabinett, dann werde ich gebraucht und dann gehe ich. Das ist verzeihbar?

Oettinger antwortet: Das muss sie abwägen. Die CDU braucht eine Vorsitzende, die das Profil der Partei stärkt, neben dem Kanzleramt, und sie wird es geprüft haben, ob sie es zeitlich hinbekommt, sowohl die Bundeswehr zu führen, im Kabinett mitzuwirken und die Partei zu stärken.

Siller antwortet: Sie hat es doch vor allem gemacht, damit sie sich besser als Kanzlerkandidatin aufbauen kann.

Oettinger einsilbig: Mag sein …

Siller setzt nach: Aber das sollte jetzt nicht das entscheidende Kriterium dafür sein, wer der beste Verteidigungsminister oder die beste Verteidigungsministerin ist.

Oettingers Ratschlag im Guten: Geben Sie ihr 100 Tage und lassen sie sich mit ihren Generälen beraten, und dann werden wir sehen, ob sie ein Programm hat und ob sie mit Verve reingeht, dass sie die Menschen überzeugen kann.

Logo: Siller fragt

Alle Folgen von "Siller fragt" gibt es hier.

Also warten wir doch mal ab, ob der Nachfolgerin von "Ja, ja, ja- Ursula" ("Bild"-Zeitung) noch mehr einfällt, als eine Erhöhung der Rüstungsausgaben anzukündigen. Statt 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts möchten’s schon zwei sein, wie von Trump gefordert. In Euro: 72 statt 47 Milliarden.

Weil die CDU immer wieder wackelt, wenn es um die Abgrenzung zum rechten Rand geht, will Siller wissen: Sie schließen aus, dass die CDU sich der AfD bedient?

Eindeutig ja, sagt Oettinger, das hätte er zusammen mit Erwin Teufel bereits 1992 vorexerziert. Mit den Republikanern. Die AfD sei eine erschreckende Partei, die menschenverachtend agiere und an rechtsradikale Parolen anknüpfe. Nach den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg müssten im Notfall drei oder auch vier Parteien eine Regierung bilden – ohne die AfD. Im Übrigen glaubt er, dass die Rechtspopulisten ihren Höhepunkt "hinter sich haben". Auch Italiens Salvini werde über kurz oder lang "entzaubert" werden, seine Rolle als "begnadeter Populist" trage nicht über mehrere Jahre.

Sichtlich entspannter betrachtet der 65-Jährige seine eigene Perspektive. Offiziell ist Ende Oktober Schluss mit dem EU-Kommissar, bis September will er sich für einen neuen Job entschieden haben. Es wird etwas in der Wirtschaft werden mit Wohnsitz womöglich in Frankfurt, von wo aus er flugs in die USA jetten kann. So viel verrät er. Gazprom ist es jedenfalls nicht, das dementiert er sofort, auch wenn er zu Gerd Schröder inzwischen ein gutes Verhältnis habe.

Ebenfalls nicht zur Debatte steht eine Präsidentschaft beim VfB Stuttgart. Das wünsche sich zwar sein Sohn, aber er habe andere Präferenzen.

O-Ton Oettinger: Eigentlich würde es mich reizen, Mittelstürmer beim VfB zu werden, aber ich bin auch nicht schneller als Gomez.

Krisenberater beim retirierten Präsidenten Dietrich wäre vielleicht erfolgreicher gewesen. Schließlich hat er seit 1992 mit ihm auf der Tribüne zusammen "gebibbert" und viele Gespräche geführt – über den VfB und Stuttgart 21. Sein Rat: Über die Begründung für den Rücktritt hätte er zwei Tage schlafen sollen. Seine Erklärung hat mir aber auch gezeigt, dass es gut ist, dass es einen Wechsel gibt.

Stefan Siller hat den Ball aufgenommen und gefragt: Sie haben eben selbst erwähnt, dass Sie Herrn Dietrich auch von Stuttgart 21 her kannten. Sind Sie immer noch ein glühender Verfechter dieses Projekt?

Kurze Antwort, aber man beachte die Differenziertheit: Nicht glühend, aber überzeugt davon, ja.

Siller hakt nach, sichtlich erstaunt: Tatsächlich? Herr Grube als ehemaliger Bahnchef hat schon vor drei Jahren gesagt, er hätt’s nicht nur nicht erfunden, er hätt’s auch nie gemacht.

Das überzeugt Oettinger nicht, im Gegenteil, es lässt ihn einen wunderbaren Schlusssatz formulieren: Ich bin mir sicher, wenn wir 2024 noch putzmunter sein sollten, und wir steigen gemeinsam ein und fahren nach München und dann zurück nach einer Weißwurst, und wir kommen in einer Stunde dreißig an und erleben einen völlig neuen leistungsfähigen Bahnhof – dann werden die Vorzüge erkennbar.

Der Satz ist so zauberhaft wie jener vor zehn Jahren, als Oettinger den damaligen französischen Präsidenten mit Angela Merkel nach Bratislava fahren ließ, und befürchtete, dass Sarkozy beim Gezuckel über die Geislinger Steige der Kanzlerin Rotwein auf das Jackett schütten könnte. Jetzt geht’s also nur noch bis München. CO2-freundlicher ist das allemal.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


5 Kommentare verfügbar

  • Peter Meisel
    am 27.07.2019
    Antworten
    Mit Volldampf ins Weinberghäussle? Günter Oettinger unterschreibt am 2. 4. 2009 den Finanzierungsvertrag für Stuttgart 21 über 4.526 Mrd. Euro und ist sich heute noch sicher:
    „Wenn wir 2024 noch putzmunter sein sollten, und wir steigen ein und fahren nach München und dann zurück nach einer…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:


Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 7 Stunden
Alles gut




Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!