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Geht’s noch, Burladingen?

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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Datum:

Burladingen hat seinen Ruf als braune Kleinstadt weg. Dazu hat nicht nur der AfD-Bürgermeister beigetragen. Zur Gemeinderatswahl tritt die AfD auch mit einer eigenen Liste an. Und alle machen Wahlkampf, als wäre das ganz normal.

Draußen auf der Burladinger Hauptstraße hängen an diesem Donnerstag Ende April nur die Europa-Plakate der MLPD und der Grünen. Drinnen im Rathaus allerdings nimmt der Kommunalwahlkampf schon Fahrt auf: Bürgermeister Harry Ebert, AfD-Mitglied und Verächter seiner Gemeinderäte ("Landeier"), liefert sich geharnischte Rededuelle mit den Ratsmitgliedern von CDU und Freien Wählern, als gelte es, gleich morgen das Kreuz auf der richtigen Liste zu machen. Bei der AfD natürlich. Viele AfD-KandidatInnen lauschen gebannt den Tiraden ihres Mitglieds Ebert. Dabei geht es um nicht mehr als einen – Gehweg. "Das hier ist Absurdistan", sagt ein anderer Zuhörer entnervt. Stimmt. Und alle tun so, als wäre das ganz normal.

Viele schauen vor dieser Kommunalwahl auf die kleine Stadt am Rande der Schwäbischen Alb. Nur in wenigen Gemeinden hat es die AfD geschafft, eine eigene Liste für den Gemeinderat aufzustellen. In Burladingen schon. Das hat auch mit Harry Ebert zu tun, der seinen Parteifreunden im Hintergrund die Themen souffliert, die populär sind – den Streit um das Ärztehaus etwa. Der auf Facebook zündelt und erst im Februar den AfD-Ultras um Christina Baum die Stadthalle für ihr Treffen zur Verfügung gestellt hat, nachdem sie in Ulm rausgeflogen waren. Doch es geht um mehr als um Ebert. Der kleine Mann spricht mit seiner Missachtung der gewählten Gemeinderäte und seinen Ausfällen gegenüber Geflüchteten viele an in der Kleinstadt am Rand der Schwäbischen Alb.

Martin Buck steht vor seiner Metzgerei an der Hauptstraße, links fordert ein MLPD-Plakat das Recht auf Flucht, rechts machen sich die Grünen für Umweltschutz stark, Buck verdreht die Augen. Der stämmige Mann ist Metzgermeister, 50 Jahre alt und sein schwarzes T-Shirt weist ihn aus als Motorradfreund Burladingen. Seit 2000 verkauft er hier am Ort seine Koteletts und Würstchen, kein bissle rechts sei er, sondern stinknormal, sogar einen Lehrling habe er schon entlassen, weil der auf Facebook immer die SS-Runen verwendet habe, auch wenn er Wasser geschrieben habe, "das ist doch gesponnen". Auch Christian Beck hat bei ihm das Metzgerhandwerk erlernt. Der kandidiert jetzt auf der AfD-Liste. Schulterzucken. Ist ja nicht verboten.

Auf die Grünen allerdings ist der Metzger nicht gut zu sprechen. "Mir wollen die den Kassenausdruck verbieten wegen der Umwelt", sagt er, "solche Leute dürften hier doch gar nicht plakatieren." Und dann die Einschränkungen bei der Tierhaltung, da kann doch keiner mehr Geld verdienen. Buck poltert gerne. Ihn stört es nicht, dass der Bürgermeister bei der AfD ist und sich "ungehobelt" gibt, so nennt er das und grinst. "Ich komm gut mit ihm aus", sagt er und verschwindet: Jetzt muss er das Motorrad seiner Frau reparieren.

Es gibt noch mehr Menschen im Ort, die den fremdenfeindlichen Ausfällen ihres Bürgermeisters heimlich applaudieren und über seine Provokationen gegenüber den sogenannten Etablierten grinsen. Bei der Landtagswahl 2016 gab es 21 Prozent für die Rechtspopulisten, bei der Bundestagswahl 2017 haben die Burladinger zu 17,8 Prozent AfD gewählt, ein Jahr später ist Harry Ebert bei der AfD eingetreten und wurde damit der erste AfD-Bürgermeister in Baden-Württemberg. Noch so ein rechter Superlativ. Wäre wirklich alles gut, wenn der Bürgermeister weg wäre, wurden die Gemeinderäte bei einer Podiumsdiskussion vor der Bundestagswahl skeptisch gefragt? "Burladingen ist keine braune Stadt", meinten Dörte Conradi (CDU) und Rosi Steinberg (Freie Wähler) einhellig, es gebe keine rechtsradikalen Strukturen in ihrer Heimatstadt.

Das meint allerdings auch der AfD-Bürgermeister, der sich seine Stadt nicht braun anmalen lassen will, aber selber gerne am rechten Rand zündelt. Die Hakenkreuzschmierereien am örtlichen Kino, als in den Alb-Lichtspielen die Rechtsrock-Dokumentation "Blut muss fließen – under cover unter Nazis" lief. Der Überfall auf ein Grillfest ausländischer Jugendlicher, Reichsbürger im Ort – alles ganz normal?

Offensiv gegen den Albtraum

Nicht für die Alboffensive "KeinBraunerAlbtraum". Die Gruppe engagierter Antifaschisten hat bereits Vorträge in Burladingen organisiert. "Und wir haben schon mehrere Pro-Asyl-Anzeigen im 'Burladinger Amtsblatt' geschaltet", sagt ihr Sprecher Moritz Elser, "um wahrnehmbar Stellung zu beziehen und den Bürgermeister zu ärgern." In Burladingen war bereits Anfang der 90er Jahre die deutsche Kontaktadresse des Neonazi-Netzwerks der Hammerskins, mehrere Jahre lang. Burladingen ist nicht nur eine AfD-Hochburg. "Dort gibt es auch eine Neonazi-Szene von etwa 30 bis 40 Leuten", sagt Elser, der die Alboffensive 2008 mitgegründet hat. Burladingens Problem geht tiefer.

Die 12 000-Einwohnerstadt war noch nie die Hochburg der Revolution, auch wenn die MLPD-Plakate vor den Wahlen schon fast trotzig die Vereinigung aller Proletarier fordern. Hier wurde schon immer streng schwarz gewählt und mit demokratischen Gepflogenheiten ging man hier gerne etwas freihändig um. Als Trigema-Chef Wolfgang Grupp Ende der 80er Jahre einen jüngeren CDU-Kandidaten durchbringen wollte, spendierte er seinen rund 1000 Beschäftigten ein Vesper, verteilte CDU-Beitrittsformulare und, schwupps, war der Sohn des Firmen-Prokuristen der neue CDU-Kandidat im Bananenwahlkreis 61.

Im örtlichen Friedhof hat Grupp längst einen stattlichen Platz für sich und seine Familie reservieren lassen, in der Stadthalle gibt es einen Wolfgang- Grupp-Saal und manche steigen auf die Bremse, wenn sie sehen, dass der Firmenchef von seinem Anwesen zu seiner Fabrik über die Hauptstraße schreiten will. Wolfgang Grupp ist der ungekrönte König von Burladingen. Es gibt hier einen gewissen Nachholbedarf in Sachen Demokratie.

Karl-Friedrich Erb ist jung, grün und voller Zuversicht, den Burladinger Gemeinderat ein bisschen aufmischen zu können. Dazu muss er allerdings erst gewählt werden und dafür hängt er sich rein. Vor einem Jahr hat sich ein grüner Ortsverband gegründet, eine Reaktion auf die braunen Umtriebe vor Ort. An diesem Samstagabend hat die Grüne Liste den migrationspolitischen Sprecher der Landtagsgrünen, Daniel Lede Abal, zum Vortrag geladen, am Vormittag stand der 21-jährige Erb noch mit Infos, Blumensamen und "Nazis-Nein-Danke-Aufklebern" vor dem Rathaus. Direkt neben der AfD. Alles ganz friedlich, alles ganz normal. Harry Ebert war auch da, warum Erb kandidiere, habe der gefragt, "weil ich eine bessere Welt schaffen will", hat der Metallbaumeister geantwortet. Keiner ist ausfällig geworden, gestritten wurde auch nicht.

Als Daniel Lede Abal über Migrationspolitik und Asylgesetz spricht, hören ihm nur sechs Menschen zu und die sind alle von der grünen Gemeinderatsliste. Von den Burladingern hat niemand den Weg in das Haus am Bahnhof gefunden. Alles ganz normal halt. Hetze braucht keine Fakten. Und der AfD-Spitzenkandidat Joachim Steyer will nichts sagen. "Mit Ihnen spreche ich nicht", antwortet er auf Kontext-Nachfrage.

Fürs Burladinger Urgestein bloß ein Imageschaden

Dörte Conradi kann so schnell nichts erschüttern. Die langjährige CDU-Gemeinderätin lässt ihrem Verwaltungschef Ebert nix durchgehen. Da mag der kleine Mann noch so zappeln auf seinem Stuhl, sich gelangweilt wegdrehen oder seinen Gemeinderäten vorwerfen, dass sie sich nicht informiert hätten. "Ich bin verwundert, dass Sie Bewertungen von Sitzungen vornehmen, bei denen Sie gar nicht anwesend waren", hält sie forsch dagegen. Conradi ist ein Burladinger Urgestein, seit Mitte der 90er Jahre sitzt sie für die CDU ehrenamtlich im Gemeinderat, das bisschen Gehweg-Geplänkel bringt sie nicht aus der Ruhe. Die AfD-Liste auch nicht.

Conradi steht an den Samstagen am Infostand der CDU, weit weg vom Rathaus, verteilt Flyer. So halten es auch die Freien Wähler, und gemeinsam geht man in die Stadtteile, etwa in den Kindergarten in Stetten, wie auf eine gemeinsame Wahlkampftour. Alles normal? Alles wie immer jedenfalls bei CDU und Freien Wählern, die sich seit zwei Wahlperioden die 23 Gemeinderatssitze teilen. Das wird sich nach dem 26. Mai ändern. "Burladingen ist nicht der braune Ort, als der es immer hingestellt wird", wiederholt die CDU-Fraktionschefin wie schon vor zwei Jahren. Alles nur ein Imageschaden, und schuld ist der Bürgermeister. "Schreiben Sie was Nettes", lautet die beliebte Aufforderung, als bräuchte Burladingen nur eine gelungene Werbekampagne.

In diesen Tagen kurz vor der Wahl haben die MLPD Plakate und die Grünen längst Konkurrenz bekommen. Die Burladinger Hauptstraße ist blau geworden, bis hinauf ins Killertal hängen die AfD-Plakate dicht an dicht am Straßenrand. "Geht’s noch, Brüssel?" brüllt es von unzähligen Plakaten herab. Geht’s noch, Burladingen?


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2 Kommentare verfügbar

  • XXL
    am 23.05.2019
    Antworten
    Burladinger blaue Plakate - wer bezhalt diese Massen-Werbung eigentlich? Aus welchem Topf kommen die Gelder, die für diese Braunen in Massen eingesetzt werden?

    Haben nicht die Weidel und der Meuthen einen empörenden Wahlgeld-Betrug ausgelöst?

    Stecken Kopp und Co. dahinter oder Sponsoren aus…
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