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Rechtsabbiegen in Burladingen

Rechtsabbiegen in Burladingen
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Burladingen, ein Städtchen am Rande der Schwäbischen Alb, war bisher allenfalls durch Trigema bekannt. Jetzt hat es auch der Bürgermeister zu einer gewissen Berühmtheit gebracht: als Fan der AfD.

So viel Hass auf eine Liebesbotschaft! Die Reaktionen auf ihren Valentinsgruß haben Bonita Grupp kalt erwischt. Vor einem Jahr hatte die Frau, die bei Trigema für E-Commerce zuständig ist, ein Bild gepostet von einem verliebten Paar, das sich hinter einem Herzen küsst. Sie weiß, er dunkelhäutig, beide beschäftigt bei Trigema. Das Textilunternehmen ist der größte Arbeitgeber am Ort, Bonita Grupps Vater der Chef, 18 Flüchtlinge haben sie als Näher angestellt. "Wir dulden weder auf Facebook noch in unserer Betriebsfamilie Diskriminierung aufgrund von Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht oder Religion": Mit dieser Erklärung hat sie sich damals öffentlich gegen die rassistischen Ausfälle gestemmt. Für die junge Frau, Internat in der Schweiz, Studium in England, Freunde aus Polen und Frankreich, kamen die nationalistischen Töne gegen alles Fremde überraschend.

Ihr Bild lacht von den weißen Lastwagen, die im Hof von Trigema stehen. Bonita Grupp empfängt im gläsernen Besucherzimmer, von wo aus sie ihren Heimatort betrachten kann. Eine Kleinstadt am Rande der Schwäbischen Alb, 12 000 Einwohner, eigentlich eher ein Straßendorf, das namenlos wäre, gäbe es nicht ihren Vater Wolfgang Grupp, einen der berühmtesten Mittelständler Deutschlands. Und gäbe es nicht das Problem mit den Rechten, mit dem Bürgermeister, der zu ihnen gehört. "Man darf sich nicht verstecken", sagt die 27-Jährige, "nicht in diesen Zeiten".

Hier, nahe der Hohenzollern Burg, werden die Betten zeitig aus dem Fenster gehängt, damit die Nachbarn sehen, dass man nicht mehr faul in der Kiste liegt. Rabenschwarz war das Städtchen schon immer. Die SPD gilt hier als revolutionäre Partei und kriegt seit 15 Jahren keine Ortsgruppe mehr auf die Beine. Im Gemeinderat sitzen nur Freie Wähler und CDU.

Und die gehen jetzt auf die Barrikaden. Wegen ihres Bürgermeisters Harry Ebert, der sich an die AfD ranschmeißt, mit rassistischen Äußerungen zündelt und seine Stadträte beleidigt. Das ist dann doch zu viel. Sie habe Ebert als Parteilosen gewählt, erzählt Bonita Grupp, "schade, dass er in dieser Amtszeit vieles kaputt macht".

Tatsächlich hat der Schultes Burladingens Ruf als braunes Gelände noch verstärkt. Seit er vor einem Jahr seine Sympathie für die AfD bekundete, nachhaltig im Amtsblatt notiert, schlagen die Wogen hoch. Die Fraktionsvorsitzenden haben die Brocken hingeschmissen, die beiden Stellvertreterinnen des Stadtoberhaupts auch. Eine davon ist Rosi Steinberg von den Freien Wählern. Im Hauptberuf betreibt sie einen Kosmetiksalon.

Kaum Möglichkeiten, den rechten Bürgermeister loszuwerden

Ein schwieriger Mensch sei er schon immer gewesen, bescheinigt sie dem Bürgermeister. Einer mit der Tendenz zur beleidigten Leberwurst, wenn es nicht nach seinem Kopf ging. Das haben sie noch geschluckt, die rechtsdrehenden Schmähungen nicht mehr. Ebert hatte seine Stadträte als "Landeier" beschimpft, ihren Besuch einer Flüchtlingsunterkunft als "Asylantenschau" verhöhnt und das kirchliche Heim für geflüchtete Jugendliche als "Armleuchterprojekt" diffamiert. Und dabei "war das hier so eine Idylle", seufzt Steinberg.

Derzeit läuft ein Disziplinarverfahren gegen den Mann, der seit Wochen nicht mit der Presse redet und mit seinen Stadträten nur das Nötigste. Grund ist Eberts respektloser Umgang mit den Stadträten. Dass er noch bis zur nächsten Wahl 2023 im Amt bleiben soll ist für viele eine schreckliche Vorstellung. Aber im Ländle ist ein Bürgermeister ein kleiner König, im Grunde nicht abwählbar, oder wie man in Burladingen sagt: "Es ist einfacher, eine eingeölte Sau mit bloßen Händen zu fangen, als in Baden-Württemberg einen Bürgermeister loszuwerden." Auch Wolfgang Grupp, der Trigema-Chef, Herr über 1200 Arbeitsplätze und damit wirklicher König von Burladingen, ist mit seinen Vermittlungsversuchen gescheitert.

Rosi Steinberg, weiß, was die Leute reden. Seit 45 Jahren ist sie die Schönmacherin der Gemeinde. In ihrem Salon wird unter der Entspannungsmaske so manches erzählt. Dass man den Ebert doch endlich in Ruhe lassen solle. Aber auch, dass man ihn "het missa liega lau", als er mit seinem BMX-Rad gestürzt war. Was übersetzt so viel heißt wie: Man hätte nicht den Rettungshubschrauber holen sollen. Es herrscht ein rauer Ton auf der Schwäbischen Alb. Sie hat auch davon gehört, dass vor wenigen Wochen das Haus eines Burladinger Reichsbürgers nach Waffen durchsucht wurde. "Um Gottes Willen, jetzt auch noch Reichsbürger", hat sie gedacht. Als ob der Ruf nicht schon braun genug wäre. Steinberg will, dass wieder Frieden einkehrt. "Die Burladinger sind konservativ, aber keine Ausländerhasser", sagt sie.

Die Kosmetikerin ist eine unverbesserliche Optimistin. "Brause" nennen sie ihre Freunde, weil ihr Temperament auch manchmal überschäumt, vor allem, wenn es um den kleinen König Harry Ebert geht. Den großen König, den Wolfgang Grupp, verehrt sie, "seine Eleganz, seine Aura". Einmal hat sie sich dabei ertappt, wie sie auf die Bremse stieg, als sie ihn am Straßenrand auf eine Lücke im Autostrom warten sah. So einer muss doch immer Vorfahrt haben. Sie hat dann doch wieder Gas gegeben, schließlich gibt es offiziell ja keine Könige mehr. Auch nicht in Burladingen.

Er lasse sich seine Stadt nicht braun anmalen, sagte Harry Ebert, nachdem Rechtsradikale 2006 auf dem örtlichen Weihnachtsmarkt eine Massenschlägerei provoziert hatten. Darüber hat so mancher bitter gelacht. Neonazis sind hier schon lange ein Problem. Seit 2005 gab es immer wieder Übergriffe bei Grillfesten, wo Neonazis ausländische Jugendliche angriffen. Zuletzt, im April 2015, wurden Hakenkreuze und rechte Parolen an das örtliche Kino gesprüht. Ludwig Schülzle hatte in seinen Alb-Lichtspielen die Rechtsrock-Dokumentation "Blut muss fließen – undercover unter Nazis" gezeigt. Organisiert von der antifaschistischen Alboffensive.

Den anschließenden Film über den Hitler-Attentäter Georg Elser hat der 81-Jährige zunächst aus dem Programm genommen, weil er nicht schon wieder Hakenkreuze wegputzen wollte. Er hat den Film dann doch noch gezeigt. Die CDU hat ihn unterstützt mit einer Erklärung, die Vereine haben zum gemeinsamen Kinobesuch aufgerufen. Nur vom Bürgermeister kam keine Reaktion.

Dafür aus dem Teilort Melchingen und vom dortigen Theater Lindenhof. Die Theaterleute um Stefan Hallmayer haben ihre eigene Elser-Aufführung aus Solidarität mit dem Kinobesitzer wieder ins Programm genommen. In Melchingen ist man Fremdschämen gewohnt. Und hält genauso zuverlässig dagegen. Der 900-Seelen-Ort hat seit 20 Jahren eine Frau als Ortsvorsteherin, die erste im Zollernalbkreis, und darauf sind sie hier stolz. Hier kommen die wenigen SPD-Stimmen her, die das Burladinger Wahlergebnis immer ein wenig bunter machen. Der Ortschaftsrat hat vor wenigen Wochen einstimmig beschlossen, die Burladinger Verhältnisse deutlich zu kommentieren. Seitdem hängen an der örtlichen Bushaltestelle großflächig die Menschenrechte und das Grundgesetz. Und wer in der hübschen Dorfkneipe "Schlingelnudeln Dorfsau" isst, wird nicht nur satt, sondern von der Bedienung auch stolz auf diesen plakativen Protest hingewiesen.

Mut nur im Kleinformat

In Burladingen ist der Protest weniger sichtbar. Kein Plakat an der großen Straße, die die kleine Stadt durchschneidet. Nur wer gute Augen hat, erkennt den briefmarkengroßen Aufkleber, der hinterm Rathaus am Schild "Kundenparkplatz" angebracht ist: "Wer dem Rechtspopulismus nach dem Mund redet, hat sein Verantwortungsgefühl verloren und sollte als Bürgermeister abtreten". Mut im Kleinformat, Mundaufmachen eher selten. "Wer sich hier aus dem Fenster lehnt, spürt Gegenwind", weiß Karin Dinkelacker, die evangelische Pfarrersfrau. Im Pfarrhaus hängt ein Schild: "Dieser Bürgermeister spricht nicht in meinem Namen. Karin Dinkelacker, Landei a.D." Die ehemalige Stadträtin steht auch auf der Unterschriftenliste derer, die sich vom Bürgermeister distanzieren. "Es gibt grünere Auen als Burladingen", sagt sie und denkt laut darüber nach, ob es nicht besser wäre, den unwirtlichen Ort zu verlassen.

Tipsy Peucker tut das nicht, obwohl sie Grund dazu hätte. Zwei ihrer Alpakas waren plötzlich tot, und sie hat Hassmails bekommen, in denen stand, mit ihr solle man dasselbe machen. Die Reittherapeutin vermutet, dass die Tiere vergiftet worden sind. Warum? Weil sie Unterschriften gesammelt hat gegen die rassistischen Sprüche des Harry Ebert, um zu zeigen, "dass es in Burladingen Leute gibt, die anders denken als der Bürgermeister". Gemeinsam mit ihrer Mutter hat sie 120 Mutige gefunden.

Unterm Tisch liegt Siegfried, der Wachhund, im Kinderhaus daneben räkelt sich die Katze und die 40-Jährige sitzt im Garten ihres Reiterhofs, wenige Kilometer über Burladingen. "Jetzt erst recht", hat sie sich gesagt, "wer Angst bekommt, hat verloren." Wenn Oma und Opa von Hitler erzählt haben, habe sie sich immer gefragt, wie konnte das passieren? Sie will das Feld nicht räumen. "Ich pack doch net meinen Traum zusammen, das seh' ich überhaupt nicht ein." Eine Freundin hat ihr einen Sticker gebastelt, "Je suis Alpaka" steht darauf. Der Bürgermeister hingegen hatte die Gerüchte um den Tod der Tiere mit einem grinsenden Alpakafoto auf Facebook kommentiert.

Wenn auf der Schwäbischen Alb der Dorfsegen schief hängt, ist der katholische Pfarrer gefragt. Doch Konrad Bueb hat viel zu tun ("110 Beerdigungen im Jahr"), ist 65 Jahre alt und will sich nicht in die Politik einmischen. "Ich bin kein Don Camillo", sagt der kleine Mann. Die Vereinsvorsitzenden halten sich zurück, weil sie ahnen, dass sie mit diesem Bürgermeister, den die Burladinger erst vor zwei Jahren im Amt bestätigt haben, noch Jahre werden auskommen müssen. Schließlich muss auch künftig hier ein Vereinsheim renoviert oder dort ein Vordach genehmigt werden. Und mancher Zaun steht auch nicht dort, wo er sollte. Da hält man sich lieber raus. Es sind die Frauen, die sich nicht einschüchtern lassen. Sie machen den Mund auf, egal ob CDU, Freie Wähler oder Grünensympathisantin. Egal, ob sie konservativ, gläubig oder ängstlich sind.

Sie wagen sich zu einer Veranstaltung nach Melchingen. Zu den Aufmüpfigen, die Bürgermeister Ebert an der Fasnet gehörig eingeschenkt haben: ein Bonsai-Trump sei er, der auf Facebook rechte Parolen rumschmiert. In das Theater, das viele Burladinger nur mit hochgeschlagenem Kragen betreten, wie Rosi Steinberg sagt. Gemeinsam mit ihrer CDU-Fraktionskollegin Dörte Conradi und mit Bonita Grupp will sie "Farbe bekennen gegen braun." Auf offener Bühne.

Auch Tipsy Peucker versteckt sich nicht. Die Idee einer Demonstration für Toleranz und gegen Ausländerfeindlichkeit hat sie verworfen. Denn eine kleine Stadt, die einen König hat und einen Bürgermeister, der sich wie ein Nebenkönig fühlt, ist in demokratischen Protestformen nicht erprobt. Doch sie hat eine andere Idee. Sie will 1000 bunte Luftballons steigen lassen. In allen Ortsteilen. Jeder Ballon ein Symbol für eine bunte, vielfältige und tolerante Gesellschaft.

 

Info:

Farbe bekennen gegen Braun: eine Veranstaltung von taz, Kontext und dem Theater Lindenhof am Freitag, 9. Juni, in Melchingen im Theater. Beginn 20 Uhr.

Auf dem Podium: Bonita Grupp, Dörte Conradi (CDU) und Rosi Steinberg (FW) aus Burladingen. Theaterchef Stefan Hallmayer und der Büttenschreiber Gregor Götz aus Melchingen und Andreas Hauser, für die Linken im Kreistag Zollernalb.

Moderation: Susanne Stiefel (Kontext)


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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 10 Stunden
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