Eine Kundgebung "für Demokratie und Menschlichkeit" in Burladingen mit 160 Teilnehmern? Das möchte man fast als Großdemonstration bezeichnen, selbst wenn das lächerlich wenig klingen mag. Aber sicher war die Veranstaltung die größte politische Kundgebung, die es in der 12 000-Einwohnerstadt bisher gab. Der eben gegründete Grünen-Ortsverband und weitere Gruppen hatten dazu auf den Rathausplatz gerufen: das lokale Bündnis "Burladingen ist bunt", der SPD-Kreisverband, die Jusos Zollernalb, das Demokratiezentrum/Albbündnis, die Alboffensive und die Sammlungsbewegung Aufstehen. Wenn in der Albgemeinde überhaupt je öffentliche politische Manifestationen stattgefunden haben, dann handelte es sich um eine kleinere Aktion des Bauernverbands mit einem brennenden Heuhaufen, an den man sich vage erinnert, oder um turnusgemäße Warnstreiks der IG Metall.
Das leise Erwachen einer nicht gekannten Protestkultur auf dem Lande war jedoch kaum der Grund für das mediale Interesse, das die Demonstration begleitete; ganz sicher wäre deswegen kein Team des Landesfernsehens angereist. Doch Burladingen ist nicht irgendeine Stadt, Burladingen ist die Stadt Harry Eberts, des ersten AfD-Bürgermeisters im Südwesten, der es in jüngster Vergangenheit mehrfach in die bundesweiten Schlagzeilen schaffte und der wesentlich dazu beitrug, dem biederen Städtchen auf der Alb den Ruf einer "braunen Hochburg" zu verschaffen (Kontext berichtete <link https: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft rechtsabbiegen-in-burladingen-4413.html internal-link-new-window>hier und <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik knisternde-ruhe-4813.html internal-link-new-window>hier). Da besitzt ein Aufmarsch für Demokratie und Menschlichkeit eine andere Dimension als wenn in Tübingen Tausende auf die Straße zögen.
Nur ein Gemeinderat ließ sich bei der Kundgebung blicken
Die anwesenden Burladinger befanden sich gegenüber den angereisten Mitdemonstranten in der Minderheit. Es sei denn, man würde jene Mitbürger hinzu zählen, die im Auto im Schrittempo am Ort des Geschehens vorbei rollten und verstohlene Blicke auf die Szene warfen. Tatsächlich war das Verkehrsaufkommen an diesem Nachmittag am Rathausplatz ungewöhnlich hoch. Ob es sich um bloße Neugier handelte? Ob man die Insassen als Befürworter oder Gegner der Aktion ansehen muss, die sich entweder nicht trauten herauszukommen, oder die gegen jene auf dem Platz die Faust in der Tasche ballten?
Das ist strittig. Niemand kann sich derzeit sicher sein, wie die politischen Linien in der Stadt wirklich verlaufen. Oder anders gesagt, wer und wie viele hinter dem AfD-Bürgermeister und seiner Partei stehen und wer nicht. Eindeutig ließ sich das nur auf dem Platz bestimmen: Mochten auch die Veranstalter bekunden, es gehe nicht um die Person Eberts, sondern um die Verteidigung der Demokratie – wer hier in der frühwinterlichen Kälte standhaft fror, brachte mit seiner Anwesenheit letztlich seine Haltung gegen das Stadtoberhaupt und das von ihm geschaffene politische Kleinklima zum Ausdruck.
Unter den Einheimischen befanden sich auch einige, von denen man kaum angenommen hätte, dass sie sich einer Demonstration anschließen würden, die von den Grünen initiiert und von der SPD mitgetragen wurde. Aus den Reihen des Gemeinderats hatte sich nur Alexander Schülzle von den Freien Wählern auf dem Rathausplatz eingefunden. Er hörten den Appell des SPD-Kreisvorsitzenden Alexander Maute ("Es braucht einen Aufstand der Anständigen in diesem Land.") und den gewagten Vergleich von Mathieu Coquelin vom Demokratiezentrum: "In der Demokratie ist es wie mit dem Zähneputzen: Wenn man nichts macht, wird's braun." Und vom aufmüpfigen Teilort Melchingen brachte Bernhard Hurm, Intendant des Theaters Lindenhof, solidarische Grüße und ein Hölderlin-Gedicht mit.
Burladingen ist von jeher konservativ geprägt; war, wenn überhaupt, eine Hochburg der CDU mit einem der stärksten Ortsverbände im weiten Umkreis. Jeder Aufruf von linker oder grüner Seite wäre in der Vergangenheit restlos verhallt. Hinzu kommt, dass man in der lokalpolitischen Kultur üblicherweise kein Aufsehen mag. Streitigkeiten werden nicht ans Licht gezerrt. Die hält man mit Rücksicht auf das Ansehen des Gemeinwesens lieber unter der Decke.
AfD will zur Kommunalwahl mit eigener Liste antreten
Gegen den Bürgermeister Front zu machen, trauen sich viele obendrein nicht. Man könnte privat noch auf die Gnade des Rathauses angewiesen sein. Und der Schultes, heißt es, sei äußerst nachtragend. Unter diesen Aspekten betrachtet ist die Zahl und Beteiligung der einheimischen Demonstranten durchaus beachtlich. Was misstrauische konservative Burladinger und zumal die ortsansässigen AfD-Anhänger nicht davon abhalten dürfte, die Kundgebung als das Werk auswärtiger Provokateure und Demo-Touristen zu diffamieren.
Selbst Insider vermögen derzeit nicht zu sagen, wo in der Albgemeinde und ihren neun Teilorten die politischen Linien und Sympathien verlaufen. Nach dem Willen der Burladinger Wähler wäre die AfD bei der Bundestagswahl 2017 mit 17,8 Prozent der Stimmen zur zweitstärksten Kraft im Bundestag avanciert, bei der Landtagswahl 2016 lag die Partei in Burladingen mit 21,3 Prozent sogar an der Wahlkreisspitze. Welchen Einfluss hatte dabei die Popularität Eberts und wie ist es um diese Popularität zwischenzeitlich bestellt?
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Rolf Steiner
am 31.10.2018