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Knisternde Ruhe

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Burladingen hat in diesem Sommer für Schlagzeilen gesorgt. Der Bürgermeister zündelte am rechten Rand, beleidigte seine Gemeinderäte, ein Riss ging durch den Ort. Bei einer Kontext-Diskussion schien das Städtchen aus seinem Dornröschenschlaf zu erwachen.

Bei Rosi Steinberg klingeln derzeit beide Telefone. Vor Silvester wollen sich viele von der Burladinger Kosmetikerin schön machen lassen. Großer Bahnhof also im Salon der Frau, die für die Freien Wähler im Gemeinderat sitzt. Doch im Konflikt um Bürgermeister Harry Ebert, der im Sommer seine Räte noch beleidigt und mit ausländerfeindlichen Facebook-Posts am rechten Rand gezündelt hat, ist es ruhig geworden. "Das ist hier unter der Gesichtsmaske kein Thema mehr", sagt Steinberg, "und wir im Gemeinderat lassen uns auch nicht mehr aus der Ruhe bringen." Alles gut also in Burladingen? Konflikt gelöst, Ruhe im Karton?

Zweifel sind angebracht. Im Sommer jedenfalls sah es noch anders aus. Die Wogen gingen hoch in dem 12 000-Einwohner-Ort. AfD-Sympathisant Ebert fand mit seinen rechten Ansichten auch Freunde, ein Riss ging durch den Ort. Viele setzten sich gegen das braune Image zur Wehr, im Gemeinderat flogen die Fetzen. Höchste Zeit, "Farbe zu bekennen gegen braun": Unter diesem Motto hatte <link https: www.kontextwochenzeitung.de editorial ausgeschlafene-alb-4421.html internal-link-new-window>Kontext zur Podiumsdiskussion ins Theater Lindenhof geladen. Und auch Rosi Steinberg diskutierte mit den mehr als 100 Burladingern, die gekommen waren, weil sie die Schnauze voll hatten von dem rechten Zündler an der Verwaltungsspitze. Viele wollten etwas tun. Der katholische und der evangelische Pfarrer, aber auch Rosi Steinberg, versprachen, Unterschriftenlisten in Kirchen und Kosmetiksalon auszulegen. Burladingen schien aus seinem Dornröschenschlaf erwacht.

Montage: Riss durch Burladingen

Rechtsabbiegen in Burladingen

Ausgabe 323, 07.06.2017
Von Susanne Stiefel

Burladingen, ein Städtchen am Rande der Schwäbischen Alb, war bisher allenfalls durch Trigema bekannt. Jetzt hat es auch der Bürgermeister zu einer gewissen Berühmtheit gebracht: als Fan der AfD.

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"Nur vier haben bei mir unterschreiben", sagt Rosi Steinberg heute. Und was aus den anderen Listen wurde, weiß sie nicht. Das Verfahren gegen den Bürgermeister ruht beim Landratsamt, und im Gemeinderat herrscht kalter Frieden. CDU und Freie Wähler haben sich zusammen geschlossen, "wir lassen uns nicht mehr klein kriegen", sagt Steinberg, die inzwischen Fraktions-Chefin der Freien Wähler ist. Der Bürgermeister blieb vielen Sitzungen fern, sein Vertreter aus der Verwaltung habe seine Sache gut gemacht. Und im Rathaus haben die Gemeinderäte eine Pressestelle angeregt, damit die Ebertsche Politik der Informationsverweigerung durchbrochen wird. Dass in diesem Jahr zum ersten Mal die Weihnachtsfeier ausgefallen ist, kann Rosi Steinberg verschmerzen. Ab und an guckt sie noch rein auf Harry Eberts Facebook-Seite. "Immer noch der gleiche AfD-Sumpf", stellt sie dann wenig überrascht fest, "aber kommunal ist Ruhe." Es ist eine knisternde Ruhe.

Rosi Steinberg lässt inzwischen vieles an sich abprallen, weil das meiste eh im Sande verläuft. Die anonyme Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Rektor des örtlichen Schulverbund etwa, wegen einer Luftballonaktion, die für ein buntes Burladingen warb. Darin sah der anonyme Stänkerer "eine politische Aktion, die gegen die AfD gerichtet war" und damit einen "klaren Missbrauch der Kinder für politische Zwecke". Abgelehnt. So blieb den AfD-Mitgliedern, die sich von Luftballons angegriffen fühlten, nur die Genugtuung, dass ausgerechnet ein blauer Ballon am weitesten geflogen war. Man könnte das als Kindergarten abtun, wenn es nicht so traurig wäre.

Die Auseinandersetzungen haben Rosi Steinberg zugesetzt. Sie haben aber auch ihren Blick geschärft. Das Bekenntnis, das sie noch auf dem Podium im Theater Lindenhof abgegeben hat: "Burladingen hat kein Problem mit den Rechten, Burladingen ist nicht braun", das würde sie so nicht wiederholen. Inzwischen hat sie Post von einem Mann gekriegt, der sich als ehemaliger Rechter outete. Der hat ihr erzählt, dass die Aktionen in Burladingen organisiert waren und keine Zufälle. Dass es gut organisierte Strukturen gab. Gibt es die heute noch?

Manchmal kommt sich Rosi Steinberg vor wie Mutter Courage. Etwa wenn sie zur AfD-Veranstaltung vor Ort geht, weil man schließlich nur über etwas lästern könne, das man selbst erlebt hat. Sie habe 150 Leute gesehen, 30 aus Burladingen, viele von der Stadtverwaltung, wer weiß, vielleicht waren die verdonnert von ihrem Chef? "Den Rest haben die von der AfD mitgebracht", sagt Rosi Steinberg. Schwarz gekleidete Männer zwischen 20 und 35, die übermäßig applaudiert haben. Bei der Bundestagswahl haben in Burladingen über 17 Prozent die AfD gewählt.

Als das Telefon an diesem Vorweihnachtstag wieder klingelt im Schönheitssalon, ist es die Autovermietung. Rosi Steinberg organisiert vor Weihnachten noch schnell den Umzug einer vierköpfigen Familie aus Syrien. Der Umzugswagen steht schon vor der Tür. Und morgen will sie noch schauen, dass auch der Bruder mit seiner Frau noch nach Burladingen kommt. Ruhe bewahren, die Rechten mit fehlender Aufmerksamkeit bestrafen, das tun, was richtig ist – so lautet Rosi Steinbergs Strategie. Sie weiß, dass das ein schmaler Grat ist.


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3 Kommentare verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 27.12.2017
    Antworten
    Die Ruhe vor dem Sturm?
    Bürgermeister haben sich an unsere Gemeindeordnung (GemO) zu [b]halten[/b] – nicht nur zu [i]orientieren[/i]!

    GemO ERSTER TEIL – Wesen und Aufgaben der Gemeinde – 1. ABSCHNITT – Rechtsstellung
    § 1 Begriff der Gemeinde (1) Die Gemeinde ist Grundlage und Glied des…
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