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AfD-Reisebüro

"Eine Katastrophe für Hechingen"

AfD-Reisebüro: "Eine Katastrophe für Hechingen"
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 Fotos: Jens Volle 

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Datum:

Für "Grünwähler" endet die Traumreise an der Türschwelle: In Hechingen präsentiert ein AfD-Stadtrat diffamierende Schaufensterplakate in seinem Reisebüro. Partner TUI ist darüber gar nicht glücklich.

Sehr deutsch, mit weißen Socken in braunen Sandalen, steht Johannes Simon vor seinem Reisebüro auf dem Hechinger Marktplatz und grinst in die Kamera. Für Pressefotos steht der 72-Jährige gerne bereit. Im Inneren seines Ladens sorgen hellblaue Holzbalken, ein überdimensionales Pyramiden-Poster und eine Mykonos-Windmühle, gemalt vor dem tiefblauen Ägäischen Meer, für Lust auf ferne Länder. Mittendrin ist Simons Schreibtisch, an dem er für gewöhnlich Kund:innen Reiseangebote unterbreitet. Vergangene Woche war es jedoch vermehrt die Presse, die ihm gegenübersaß.

Für überregionale Schlagzeilen sorgte die Dekoration, die AfD-Stadtrat Simon unübersehbar im Schaufenster seines Reisebüros präsentierte: "Grünwähler haben hier Haus-Verbot". Zudem waren dort Flyer mit potenziell strafbaren Inhalten zu sehen, die sogar die Polizei auf den Plan gerufen haben. Und auch ein AfD-Infostand direkt vor dem Büro sorgte jüngst für Diskussionen, auch wenn er dort schon seit über einem Jahr stand. Seit einigen Tagen ist von all dem nichts mehr zu sehen, solange man sich vom Hinterzimmer des Büros fernhält. Grund dafür ist eine Abmahnung des Touristikkonzerns TUI, dessen babyblaues Logo die Außenfassade des Reisebüros schmückt und den kürzlich entfernten blauen AfD-Logos irritierend ähnlich sieht.

Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Flyern

Diffamierende Schaufensterplakate, davor der Infostand mit einem blauen AfD-Sonnenschirm: Rechtens? Ja, meint die Stadt auf Anfrage der Hechinger Bunten Liste bei der Gemeinderatssitzung am 20. Juli. Simon bezahlte monatlich 20 Euro und erhielt eine Sondernutzungserlaubnis. Dass es sich bei der Sondernutzung um Parteiwerbung für die AfD handelte, sei zulässig, solange die Partei vom Verfassungsschutz nicht als "erwiesen rechtsextrem" eingestuft ist. Das heißt im Wesentlichen: Simon bezahlt, also darf Simon Werbung für die AfD machen.

"Das ist eine Katastrophe für Hechingen", sagt Beate Dillmann, Inhaberin von Optik Bidlingmaier auf dem Hechinger Marktplatz. Das Zentrum der 20.000-Einwohner-Stadt sei ohnehin fast ausgestorben, da brauche es keinen weiteren Publikumsschreck. Auch für Silvia Bakos käme es überhaupt nicht infrage, bei Simon eine Reise zu buchen. Sie betreibt das Frauenfitnessstudio Mrs. Sporty, drei Gehminuten vom Reisebüro entfernt und direkt an der üblichen Spaziergangsroute der wöchentlichen Montagsdemonstrationen gelegen. Diese sind aus den Corona-Demonstrationen hervorgegangen und werden jede Woche von der AfD, oft von Simon selbst, bei der Stadt angemeldet.

Simon ist immer mit dabei, genauso wie der zweite AfD-Stadtrat Kai Rosenstock. Jüngst hätten die montäglichen "Spaziergänge", wie die AfD sie nennt, an Zuwachs gewonnen. Mehr als 50 Menschen sollen am vorvergangenen Montag mitgelaufen sein. Bakos beschreibt die Demos als laut, oft diskriminierend. "Was macht denn ihr da oben?", würden Teilnehmende immer wieder hämisch zu den trainierenden Frauen in ihr Fitnessstudio hoch rufen. Sie selbst ignoriere Simon – so gut das eben geht. Schwierig sei das, wenn sie mit ihren Kundinnen im Freien trainiert und am Reisebüro vorbeikommt. Dann rufe ihnen der Stadtrat nach: "So, habt ihr geschwitzt?" oder "So, waren wir wieder im Fürstengarten?" Ob sie die Art und Weise, wie gegen Simon vorgegangen wurde, richtig findet, weiß sie nicht so recht – dass gleich die Polizei aufkreuzt, findet sie "ein bisschen krass".

In ihrer Anfrage im Gemeinderat verwies die Bunte Liste nicht nur auf besagten Infostand, sondern auch auf Flyer im Reisebüroschaufenster, die sich insbesondere gegen Grüne Politiker:innen richteten. "Welche rechtliche Handhabe hat die Stadt, öffentliche Diffamierung und Diskriminierung wie die genannten Schaufensterplakate zu unterbinden?", wollte Stadträtin Almut Petersen wissen. Gar keine, antwortete die Stadt mit Verweis auf das Hausrecht und die Meinungsfreiheit. Sollte es sich allerdings "tatsächlich um persönliche Beleidigungen oder Diffamierung konkreter Personen(gruppen), Parteien oder sonstigen juristischen Personen handeln, befinden wir uns ggfs. im Bereich von Straftatbeständen, für die eine Strafanzeige von den betroffenen Personen oder Gruppierungen über die Polizei gestellt werden müsste".

Und siehe da: Eine Woche später kam es zur besagten Anzeige und zu einer polizeilichen Durchsuchung in Simons Büro. Nun wird geprüft, ob eines der ausgestellten Flugblätter gegen Paragraf 188 verstößt: Beleidigung gegen Personen des politischen Lebens. Was genau darauf zu sehen ist, dürfe er nicht sagen, erklärt Simon. Nur so viel: Auf der Rückseite stand: "Lüge nicht, betrüge nicht, der Staat duldet keine Konkurrenz." Vorne waren laut Staatsanwaltschaft Hechingen mehrere Politiker:innen der Bundesregierung scheinbar unter psychischen Krankheiten leidend abgebildet. Ein Stapel aus etwa 50 solchen Flyen wurde beschlagnahmt.

Die Plakate sind weg, die Menschenfeindlichkeit bleibt

Freitagmittag im August. Die Sonne brennt erbarmungslos auf den Hechinger Marktplatz, der mit all seinen leerstehenden Läden und keiner Menschenseele auf der Straße fast gespenstisch wirkt. Genauso leise wie die Hechinger Innenstadt zur Mittagszeit fielen die Reaktionen auf Simons Aktionen aus. Das Plakat mit dem Hausverbot für Grünenwähler habe er "selbst gebastelt", erzählt der Rentner mit kindlichem Stolz, während er im Chaos seines Hinterzimmers nach dem Kunstwerk wühlt. Da fällt ihm plötzlich ein: "Ach, das hab ich ja der 'Spiegel'-Reporterin mitgegeben." Das Nachrichtenmagazin hatte am 10. August über den Aufstieg der AfD in Ländern und Kommunen berichtet und dabei Hechingen einen Besuch abgestattet. Auf Simons Tisch liegt eine Ausgabe des rechtsextremen "Compact"-Magazins, darauf zu sehen ist Wirtschaftsminister Robert Habeck hinter Gittern. Bis vor Kurzem war das Heft noch im Schaufenster ausgestellt. Flyer gegen "Gender & Co." oder Habecks Einwanderungspolitik, Infobroschüren zur "grünen Gefahr" oder Impfschäden bei Kindern hat Simon zur Genüge und teilt sie bereitwillig aus. Die Menschen in Hechingen, die sich trauten, etwas dagegen zu sagen, richteten sich schriftlich an die TUI. Und das waren anscheinend nicht ganz wenige, schließlich schrieb der Touristikkonzern eine Abmahnung. Weitere rechtliche und vertragliche Schritte seien bereits eingeleitet und die TUI wolle die Geschäftsbeziehung beenden, heißt es auf Anfrage von Kontext. Vermutlich werden die TUI-Logos beim Reisebüro Simon bald verschwinden.

Doch der Betreiber ist sehr daran interessiert, die Zusammenarbeit fortzusetzen: Simon hat den Infostand mitsamt den fragwürdigen Broschüren und Flyern entfernt. Auch den Plan, das Wahlkreisbüro für den AfD-Landtagsabgeordneten Joachim Steyer im Reisebüro einzurichten, habe er verworfen. Die Zusammenarbeit mit TUI sei dem Rentner und dreifachen Vater zu wichtig, zwei, drei Jahre würde er das Büro gerne noch weiterbetreiben. Und mit der TUI mache er nun mal die meisten Umsätze. Ganz begeistert von deren Buchungssystem präsentiert er exemplarisch einen Buchungsvorgang. Eine Woche für zwei Personen, all-inclusive natürlich. Wie wär's mit Zypern? Davon würde er stark abraten. "So viele Schwarzafrikaner wie dort haben Sie noch nie gesehen." Natürlich leide die Sicherheit darunter, die hätten ja eine ganz andere Kultur. "In Afghanistan etwa, dort hat man Sex mit Tieren." Ganz zu schweigen von den vielen Pädophilen, warnt er. Und fast im selben Atemzug erzählt Simon, erst am vorigen Abend habe er die Buchung einer jungen Türkin abgeschlossen: Hochzeitsreise für 18.000 Euro, zuerst Dubai, dann eine Overwater-Villa auf den Malediven. "Wir begrüßen sehr gerne unsere türkischen Freunde."

Die meisten juckt's einfach nicht

Vor Simons Laden befindet sich – wie an so vielen Stellen in der Stadt – eine Baustelle. Als der Infostand noch stand, musste der Platz zwischen Stand und Baustelle für Rollstühle und Kinderwagen reichen. Eng war es, doch aufgefallen ist der Tisch mit dem leuchtend blauen AfD-Sonnenschirm scheinbar nur wenigen. Fragt man die Menschen in Hechingen nach den montäglichen AfD-Demos, reagieren die meisten mit Gleichgültigkeit: "Sollen sie halt machen", meint eine Frau, Anfang 20, die gerade ihren Pudel Gassi führt. Auch kein Problem an der ganzen Sache sieht Semsettin Örek, 25, türkischer Kurde, seit sechs Jahren in Hechingen und seit zwei Monaten Inhaber des Barbershops am Marktplatz gegenüber dem Reisebüro. Der Grieche Vassilios Sotiroudis ist gerade auf dem Heimweg und regt sich lieber über die vielen Baustellen auf. Dass eine rassistische Partei öffentlich für sich wirbt, juckt ihn nicht.

Simon ist wenig verwundert über die fehlende öffentliche Reaktion. Die meisten hätten darüber gelacht. Was erwarte man sich auch in so einem "verschlafenen Kaff"? Bis auf ein paar Antifa-Sticker auf der Schaufensterscheibe sei der große Widerstand ausgeblieben. Bei einer einzigen Montagsdemo im vergangenen Winter seien vermummte Antifa-Mitglieder aufgetaucht und hätten die Demonstrierenden bezichtigt, sie würden von der AfD bezahlt. Da muss Simon lachen: "Wie dumm kann man sein? Wir sind die AfD!" Und er ist sich sicher: "Die Leute sind überwiegend meiner Meinung, sie trauen sich nur nicht, die Gosch aufzumachen."

Über die vom Marktplatz absteigenden Treppen kommen zwei junge Männer, 27 und 28 Jahre alt, schwarz gekleidet. Sie sind Muslime, erzählen sie, und wohnen direkt neben besagtem Reisebüro. Simon hatte sie schon öfters zu den "Montagsspaziergängen" eingeladen, bisher haben sie dankend abgelehnt. Doch die Vorstellung findet der 27-jährige Enes witzig: "Typisch wär's ja nicht." Eigentlich ist ihnen die Sache egal. "Wir mögen die AfD halt nicht, doch solange die nicht 'scheiß Ausländer' sagen oder vor unserer Haustür stehen und gegen uns eine Demo machen, ist alles schön und gut." Na, dann ist ja alles schön und gut.


Lesen Sie dazu ebenfalls in dieser Ausgabe: AfD und die Wirtschaft – Rassismus macht das Geschäft kaputt.


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16 Kommentare verfügbar

  • Erich Weichsel
    am 27.08.2023
    Antworten
    Der gagga alte "Mann" ,beleidigen will ich ihn hier nur in Maßen, sollte ins Heim gehen, da könnte er sich therapieren lassen. Diese AfD Deppen sind wirklich ein Unglück für Deutschland. Sie sind eine Schande für das deutsche Volk und kapieren es nicht. Warum gehen sie nicht nach Russland oder zum…
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