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AfD und die Wirtschaft

Rassismus macht das Geschäft kaputt

AfD und die Wirtschaft: Rassismus macht das Geschäft kaputt
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Wie ist der Aufwärtstrend der AfD zu stoppen? Nur gemeinsam mit Eliten, die mit ökonomischer Macht ausgestattet sind, meint unser Autor. Und appelliert an CEOs.

Wen die aktuellen Umfragezahlen für die AfD überraschen, der hat sich lange schon in die Tasche gelogen. Seit vielen Jahren gibt es die Leipziger Mittestudie, auch Autoritarismus-Studie genannt, eine alle zwei Jahre durchgeführte Untersuchung, zuletzt 2022 unter dem Titel "Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten" publiziert. Das Wort "Mittestudie" ist eigentlich ironisch zu nehmen. Die Leipziger Sozialforscher:innen konstatieren, die berühmte Mitte der Gesellschaft fühle sich am rechten Rand ganz gut aufgehoben.

Peter Kern, Jahrgang 1954, ist freier Autor ("Die Angestellten zwischen Büroalltag und Fluchtphantasie") und war lange politischer Sekretär beim Bundesvorstand der IG Metall.

Die Studie macht das antidemokratische Potenzial in Deutschland sichtbar, an das die AfD erfolgreich andockt. Den Satz "Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land" unterschreiben rund 43 Prozent der Ost- und 37 Prozent der Westdeutschen. "Wir brauchen starke Führungspersonen, damit wir in der Gesellschaft sicher leben können", finden 27 Prozent der Befragten. Dass "die Bundesrepublik … durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet ist", glauben acht Prozent. Letztere Zahl erscheint beinahe gering, aber es ist bloß die Sicht der Eingefleischten – dazu sind noch 18 Prozent der Befragten zu addieren, die latente Zustimmung signalisieren. "Die Ausländer kommen hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen": Rund zwölf Prozent stimmen dem Satz völlig, weitere 16 Prozent mit leichter Einschränkung zu.

Die Fragetechnik der Leipziger Soziologen bringt auch den scheinbar verschwundenen Antisemitismus zum Vorschein. "Es macht mich wütend, dass die Vertreibung der Deutschen und die Bombardierung deutscher Städte immer als kleinere Verbrechen angesehen werden." 31 Prozent der Deutschen sehen dies so. "Israels Politik in Palästina ist genauso schlimm wie die Politik der Nazis im Zweiten Weltkrieg." 19 Prozent manifeste, 30 Prozent latente Zustimmung. Die Autor:innen der Studie sprechen von einer Umweg-Kommunikation. Antisemitismus ist in Deutschland tabuisiert. Wer den Umweg geht, vermeidet es, das Tabu zu brechen.

Was tun? Wirtschaft gegen rechts

Der von der Demoskopie dokumentierte und sich in den nächsten Landtagswahlen vielleicht niederschlagende Erfolg der AfD macht eine politische Haltung der Unternehmen notwendig. Sie sind nun als Stimme der Öffentlichkeit gefragt.

Die CEOs der deutschen Konzerne sind gefordert, die AfD als absolut schädlich für den ökonomischen Reichtum dieser Gesellschaft zu benennen. Diese Gefährdung herauszustellen, ist gegenwärtig die einzig erfolgversprechende Strategie gegen die Rechte. Glaubwürdig lässt sie sich nur von mit ökonomischer Macht ausgestatteten Personen vertreten. Die kosmopolitischen Eliten, wer immer das sein soll, werden von der AfD gerne attackiert. Wenn die wirtschaftlichen Eliten diese Partei attackieren, werden Frau Weidel und Herr Höcke an Attraktivität rasch verlieren. Und sich mit den ökonomisch Mächtigen anzulegen, verbietet ihnen ihr politischer Instinkt. Für das obere Management der deutschen, am funktionierenden Export interessierten Konzerne wäre ein neuerlicher Nazismus geschäftsschädigend. Das ist die Achillesferse der Rechten. Sie gilt es zu durchtrennen, um ihr Projekt lahmzulegen.

Es gibt im Lager der Unternehmer:innen durchaus Leute, die für eine solche Strategie zu gewinnen sind. Der frühere Vorstandsvorsitzende der Daimler AG Dieter Zetsche war nicht erfreut über die sich in seinem Haus breitmachende rechtsradikale Truppe "Zentrum", früher "Zentrum Automobil", die bei Betriebsratswahlen antrat und einige Mandate errang. Das Bild von schönen Limousinen, leider gebaut in einem braun angehauchten Sindelfingen, kann man im Hause Daimler nicht gebrauchen. "Wir verfolgen diese Entwicklung mit Sorge", ließ er sich vernehmen. Auch Ola Källenius, der aktuelle Daimler-CEO, positionierte sich später deutlich: "Wir sind so divers wie unsere Kunden. Diese Vielfalt macht uns stark. Deshalb haben Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz bei uns keinen Platz."

Sonst geht's ans Eingemachte

Als es vor ein paar Jahren in Chemnitz zu Jagdszenen auf Ausländer kam, erklärte die dortige Industrie- und Handelskammer, man sei "auf der ganzen Welt aktiv und deshalb auf offene Märkte, stabile Handelsbeziehungen und gleichsam darauf angewiesen, in anderen Ländern der Welt willkommen zu sein … Fachkräfte kommen nur, wenn ein Klima der Weltoffenheit herrscht. Gleiches gilt für Unternehmen."

Theodor W. Adorno ging einmal in einem Rundfunkvortrag der Frage nach, wie den für Verhetzung anfälligen Menschen zu begegnen sei. Er nannte als das wirksamste Gegenmittel "den durch seine Wahrheit einleuchtenden Verweis auf ihre Interessen, und zwar auf die unmittelbaren … Erinnert man die Menschen ans Allereinfachste: dass offene oder verkappte faschistische Erneuerungen … auf Katastrophenpolitik hinauslaufen, so wird sie das tiefer beeindrucken als der Verweis auf Ideale oder selbst der auf das Leid der anderen, mit dem man ja … immer verhältnismäßig leicht fertig wird."  (pk)

Der in Dresden produzierende Chiphersteller Globalfoundries erklärte im "Handelsblatt": Es sei derzeit nicht einfach, einen Ingenieur aus dem Ausland davon zu überzeugen, nach Sachsen zu ziehen und seine Familie mitzubringen. "Wir müssen ihm erklären, dass die Region Dresden sicher ist, dass Kinder alleine zur Schule gehen können und man durch das Tragen eines Kopftuches nicht ausgegrenzt wird."

Eine auf der Befragung von 600 Unternehmen beruhende Studie aus Halle kam zu dem Ergebnis, ostdeutsche Betriebe bekämen sechsmal mehr Absagen in Bewerbungsgespräche als westdeutsche Firmen. Rassismus macht das Geschäft kaputt. Die Studie stammt aus einer Zeit, als der sogenannte Fachkräftemangel noch gar nicht richtig akut war. Die Verhältnisse im deutschen Osten dürften sich kaum verbessert haben.

"Wir müssen aufpassen, dass wir die Menschen nicht komplett an die Radikalen verlieren", so der Chef von Jenoptik. "Ich sehe schon das Risiko, dass unsere Demokratie hier in Gefahr geraten könnte", sagte er neulich der "Süddeutschen Zeitung". Der Konzernchef interpretiert seine wirtschaftlichen Zahlen politisch – und dabei kommt nichts Erbauliches heraus. In der optischen Industrie wird es sich wie in den großen, tonangebenden Branchen verhalten: Mehr als die Hälfte der Beschäftigten sind dem Exportgeschäft zuzuordnen, und die Länder der Europäischen Union sind so wichtig wie der chinesische oder der US-amerikanische Markt. Nationalistische Töne, wie sie auf dem AfD-Parteitag in Magdeburg zu hören waren, klingen in den Ohren der Unternehmer ganz schrill.

Bosse müssen Farbe bekennen

Man kontrastiere die Sicht der Wirtschaftsvertreter:innen mit dem Weltbild der in der Mittestudie erfassten Befragten: 18 Prozent der Ostdeutschen sehen sich als Mitglieder einer Nation an, die anderen überlegen ist. Neun Prozent der Westdeutschen unterliegen dem gleichen Wahn. Mut zu einem starken Nationalbewusstsein wünschen sich 41 Prozent der Ost- und 33 Prozent der Westdeutschen. "Hart und energisch" möchten 28 Prozent der Ost- und 18 Prozent der Westdeutschen die Interessen Deutschlands durchgesetzt sehen. Mehr als 50 Prozent der Befragten mit der Parteipräferenz AfD stehen zu ihrem "Ausländer raus".

Ein Ende der Europäischen Union und ihrer gemeinsamen Währung wäre das Ende der Ambition, in der ökonomischen Champions League mitzuspielen. Den drohenden Abstieg den AfD-Anhänger:innen unter die Nase zu reiben, ist das einzige Argument, das sie überzeugen kann. Das Argument ist im Wortsinn natürlich keines: Wäre die AfD-Propaganda rational angelegt, könnte man sich auf Argument und Widerlegung beschränken. Aber Parteitagsbeschlüsse sind nur die Oberfläche, hinter der die psychische Schicht liegt, an welche die Hetzpropaganda anknüpfen will. Die AfD-Propagandist:innen haben einen feinen Instinkt für die niedrigen Instinkte, die in den Individuen schlummern.

Vor wenigen Jahren äußerte sich der oberste Boss der Siemens AG auf seinem Facebook-Account so: "Lieber Kopftuchmädchen als Bund Deutscher Mädchen." Alice Weidel schade dem Ansehen Deutschlands in der Welt. Will man die AfD ins Abseits stellen, wird man an den Bossen nicht vorbeikommen. Die müssen gegen die neulackierten Braunen Farbe bekennen. Sie dazu zu bringen, wird nicht einfach sein. Als Joe Kaeser, der zitierte CEO, seinen Kopftuch-Spruch absetzte, blieb die Unterstützung seiner Kolleg:innen aus. Seine Einschätzung damals: Die Vertreter der Industrie, soweit sie Konsumgüter für den deutschen Markt produzieren, würden sich von der AfD nicht offen distanzieren, weil sie kaufmännisch dächten. Umfrageergebnisse von 20 Prozent, dazu eine Dunkelziffer an Sympathisanten, da käme leicht ein Viertel der deutschen Gesellschaft zusammen. AfD-Distanzierung? "Das kann man sich nicht leisten", fasste Joe Kaeser die Reaktion seiner DAX-Kolleg:innen zusammen. Es ist nun die Sache der demokratischen Parteien, der Kirchen und der Gewerkschaften, den Unternehmern Courage abzuverlangen, denn von ihrem Heimatmarkt allein lässt sich nicht leben.


Dass ein AfD-Stadtrat in Hechingen vor seinem Reisebüro mit einem Infostand für die rechte Partei wirbt, hat dem Partner TUI gar nicht gefallen: "Eine Katastrophe für Hechingen".


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4 Kommentare verfügbar

  • Bodo Sinn
    am 17.08.2023
    Antworten
    Weltfremder Denkansatz. Ist es nicht so, daß ein Großteil der AFD`ler "Wirtschaftsleute" sind??
    Wenn man davon ausgeht, daß der Großteil der AFD-Wähler sich wirtschaftlich abgehängt fühlen, ist da nicht eine Politik verantwortlich, die eher Aktienkurse und Dividenden im Fokus hat, als der…
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