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Dividenden trotz Geld vom Staat

Sozialhilfe für Daimler-Aktionäre

Dividenden trotz Geld vom Staat: Sozialhilfe für Daimler-Aktionäre
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Daimler kassiert durch Kurzarbeit viel Geld vom Staat, um durch die Krise zu kommen – und zahlt seinen Aktionären noch mehr Geld als Gewinnbeteiligung aus. In den Niederlanden ist das nach Protesten der Bevölkerung verboten worden.

Paris hat den Eiffelturm, Wien ein Riesenrad und Stuttgart den Daimler-Stern. Dieses "Wahrzeichen", als welches nicht nur die Deutsche Presseagentur (dpa) das fünf Meter große Firmenlogo auf dem Turm des Hauptbahnhofes adelt, führte Zugreisende fast sieben Jahrzehnte lang an die Machtverhältnisse in der Landeshauptstadt heran. Vergangene Woche musste der Stern jedoch weichen, weil nicht einmal das Stuttgarter Erkennungszeichen den S-21-Bauarbeiten im Weg stehen darf. Es wird wohl ein paar Jahre dauern – geplant sind vier –, bis das Werbemittel aufs Bahnhofsdach zurückkehren kann.

Derweil verkündet Daimler-Chef Ola Källenius vor der Aktionärsversammlung an diesem Mittwoch frohe Botschaften. So sei es trotz Krise gelungen, die Erwartungen für das Geschäftsjahr 2020 "deutlich zu übertreffen". Und, wie das "Handelsblatt" berichtet, sekundiert der Aufsichtsratsvorsitzende: Den Stresstest Corona-Krise, sagt Manfred Bischoff, habe der Konzern "mit Bravour bestanden", das Unternehmen sei "für die Zukunft hervorragend aufgestellt". In Zahlen bedeutet das: Die AnteilseignerInnen sollen mit 1,44 Milliarden Euro am Gewinn im Krisenjahr beteiligt werden, fast 50 Prozent mehr als beim letzten Mal. Auch die Aktien stehen hoch im Kurs. Während sie im Dezember 2019 – bevor Corona kam – noch mit knapp 50 Euro pro Stück bewertet wurden, sind sie aktuell auf fast 75 Euro geklettert.

Wie gelingen solche Kunststücke in Krisenzeiten? Etwas Unterstützung scheint jedenfalls nicht abträglich. So hatte Källenius zwar im März 2020 betont, dass Daimler keine Staatshilfe benötige. Doch wenig später schickte der Konzern zehntausende Mitarbeiter in Kurzarbeit, wobei die Agentur für Arbeit 700 Millionen Euro zur Finanzierung beisteuerte. Statt das Krisengeld an die Steuergemeinschaft zurückzuzahlen, wird es nun über Umwege an Investoren durchgereicht, von denen die größten derzeit aus China und Kuwait kommen.

Aber Momentchen mal! Ist Kurzarbeit denn keine Versicherungsleistung? Und hat der langjährige Beitragszahler Daimler vor diesem Hintergrund nicht ein Anrecht auf diese Zahlungen?

Nicht nur moralisch fragwürdig

Normalerweise stimmt das. Trotzdem lässt die Bürgerbewegung Finanzwende diese Argumentation nicht durchgehen. Die Nichtregierungsorganisation betont, dass Kurzarbeitergeld derzeit nicht mehr aus Beitragsmitteln der Versicherten gezahlt werde, sondern steuerfinanziert sei: "Denn die Ausgaben für Kurzarbeitergeld explodierten von 157 Millionen Euro im Jahr 2019 auf über 20 Milliarden Euro im Jahr 2020", heißt es im Begleittext zu einer Kampagne, die einen Lockdown für solche Dividenden fordert, die ansonsten vom Staat kofinanziert würden. Um die hohen Kosten der Kurzarbeit zu stemmen, habe die Arbeitsagentur nämlich nicht nur ihre finanziellen Reserven aufgebraucht. Auch die Bundesregierung musste einspringen und steuerte eine Liquiditätsspritze bei. Zunächst als Darlehen, allerdings mit einer Besonderheit, wie die Finanzwende hervorhebt: "Falls sie [die Agentur für Arbeit] die rund 10 Milliarden Euro bis Ende 2021 nicht zurückgezahlt hat, werden die Hilfen in Zuschüsse umgewandelt, die nicht zurückgezahlt werden müssen."

Sich mit Mitteln aus dem Staatshaushalt unterstützen zu lassen und gleichzeitig Gewinne auszuschütten, sei zwar durchaus moralisch verwerflich, meint Lena Blanken, die bei der Finanzwende Kampagnen leitet. In Daimlers Fall hält sie es aber "auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht für fragwürdig". Denn einerseits seien Pandemie und Wirtschaftskrise noch nicht überstanden, also könne ein solides finanzielles Polster nicht schaden. Und andererseits dürfte der Konzern alle Mittel gebrauchen, um die Transformation zur Elektromobilität besser zu stemmen. Während eine üppige Gewinnausschüttung an Aktionäre fließen soll, ist beim Unternehmen aber nicht nur geplant, tausende Arbeitsplätze abzubauen. Im Zuge umfangreicher Sparmaßnahmen wurde auch das Budget für Forschung und Entwicklung im vergangenen Jahr bereits um eine Milliarde Euro gekürzt.

Vor diesem Hintergrund äußert sich auch die Belegschaft kritisch. Rund 600 Beschäftigte der Daimler-Zentrale in Stuttgart beteiligten sich zum Monatsanfang an einem digitalen Warnstreik, zu dem die IG Metall aufgerufen hatte. "Während die Dividende und die Vorstandsgehälter steigen", bemängelte Carmen Klitzsch-Müller, die Betriebsratsvorsitzende der Daimler-Zentrale, "soll weiterhin auf Kosten der Beschäftigten gespart werden."

Milliardengewinne trotz Pandemie

Diejenigen, die den Gewinn im Jahr 2020 erarbeitet haben, sahen sich teils geminderten Lohnzahlungen ausgesetzt. Diejenigen, die ihr Geld für sich arbeiten ließen, sehen ein Plus auf Belegschafts- und Staatskosten. Daimler ist dabei kein Einzelfall. Auch BMW schickte im vergangenen Frühling 30.000 Beschäftigte in Kurzarbeit – zeitgleich ließen sich Susanne Klatten und Stefan Quandt, die ihren Aktienbesitz am Unternehmen geerbt haben, fast 800 Millionen Euro Gewinnbeteiligung auszahlen.

Obwohl die ökonomischen Schäden der Corona-Krise noch lange nachwirken werden und der Staat die Wirtschaft mit Billionenbeträgen stabilisiert, planen die 100 größten Aktiengesellschaften ihren Anteilseignern 40 Milliarden Euro von ihren Gewinnen trotz Pandemie zukommen zu lassen. Dennoch gibt es, wie die Finanzwende kritisiert, "noch immer keine Auflagen für Unternehmen, die vom Kurzarbeitergeld profitierten". Dass sich das prinzipiell auch anders regeln ließe, haben die Niederlande vorgemacht: Dort gilt – nach großer öffentlicher Empörung – inzwischen ein Verbot für große Unternehmen, Kurzarbeitergeld zu beziehen und trotzdem Gewinne auszuschütten.

Eine Hilfsleistung zu beziehen, sie einzubehalten und dann den doppelten Betrag an Aktionäre auszuschütten, kann zwei Dinge bedeuten – beide werfen kein gutes Licht auf das begünstigte Unternehmen: Entweder hat es die Hilfe gar nicht wirklich gebraucht und sie wurde für eine asoziale Gewinnmaximierung genutzt. Oder das Unternehmen könnte die Hilfe zwar eigentlich ganz gut gebrauchen – aber die Anteilseigner haben ein höheres Interesse am kurzfristigen Eigennutz als am langfristigen Unternehmenswohl.

Vor der geplanten Gewinnausschüttung haben sich Lena Blanken und die Finanzwende in einem offenen Brief an Daimler-Chef Källenius gewandt. "Ein solches Verhalten", heißt es darin, "verhöhnt die Bereitschaft zur Solidarität, ohne die eine Gesellschaft eine Krise nicht gemeinsam bewältigen kann." Doch an einer öffentlichen Debatte scheint Daimler nicht interessiert. Die Antwort des Konzerns fällt denkbar knapp aus: Vorstand und Aufsichtsrat hätten einen Vorschlag zur Gewinnausschüttung unterbreitet, der auf der Hauptversammlung erläutert und begründet werde. "Bitte haben Sie Verständnis, dass wir diesem Tagesordnungspunkt nicht vorgreifen." Wagen wir uns an eine Prognose: Dass die Anteilseigner am heutigen Mittwoch dagegen stimmen, sich üppig auszahlen zu lassen, wirkt eher unwahrscheinlich.


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