KONTEXT:Wochenzeitung
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Keine Zukunft mit mehr Autos

Keine Zukunft mit mehr Autos
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Die Autoindustrie will verstanden haben, verpasst sich einen grünen Anstrich und balzt um Vertrauen, dass sie die ökologische Wende ohne Verbots- und Ordnungspolitik hinbekommt. So lange die Zerstörung der Umwelt mit Milliarden Euro bezuschusst wird, mag das glauben, wer will.

Was ist bloß aus der Opulenz geworden? Es gab eine Zeit, stellt der Wirtschaftsjournalist Wilfried Eckl-Dorna im "Manager Magazin" fest, da ging es auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) noch um die "maximale Überwältigung der Gäste" – als die Größen der Industrie noch mit üppigen Buffets, Show-Effekten und prächtigen Tanzensembles ihre "eigene Situation würdigten". Und nun? "Statt teurem Kobe-Rindfleisch", bilanziert Eckl-Dorna und es klingt ein klein wenig pikiert, serviert Volkswagen (VW) seinen Gästen "diesmal als Highlight vegane Burger im Kleinformat: Häppchen statt Happen eben."

Wie sinnbildlich. Auch die Stände sind geschrumpft, die Branche klagt über schwindende Gewinne, und Schwergewichte wie Nissan, Toyota und Fiat wollten auf "Europas führender Plattform für Mobilität" (Selbstbeschreibung) nicht einmal mit einem Stand aufwarten. Draußen demonstrieren Zehntausende gegen die Messe, überall werden Plakate mit fiesen Sprüchen zur Schau gestellt, etwa "Stinker raus!" oder "Autos sind doof". Die Industrie will sich gesprächsoffen zeigen, doch die jungen Klimaschützer von "Fridays for Future" und "Sand im Getriebe" schlugen die Einladung aus, im Rahmen der Messe zu diskutieren. Der Frankfurter Oberbürgermeister hätte gern ein paar kritische Worte vorgetragen, durfte aber nicht, und veröffentlicht nun auf Facebook Sätze wie: "Wir brauchen eine Automobilindustrie, die sich gesetzeskonform verhält. (…) Ich möchte ehrlich sein: Frankfurt braucht mehr Busse und Bahnen, aber nicht mehr SUVs."

Die "buckeligen Blechberge", in deren Kauf sich "ein eklatanter Mangel an Urteilskraft manifestiert" (Johannes Vincent Knecht in "Konkret"), sind schwer in Verruf geraten und dabei doch so wichtig für die Margen einer Branche, die nach dem Massenbetrug an Millionen von Kunden mit einem Imageproblem zu kämpfen hat. "Auch die Automobilindustrie hat die Zeichen der Zeit verstanden", behauptet nun der Chef jener Aktiengesellschaft, die am tiefsten in den Abgasskandal verstrickt ist, im Streitgespräch mit der taz. Dort benennt Herbert Diess, der seit April 2018 auf dem Chefsessel von VW sitzt, das durchaus ambitionierte Ziel, "in den nächsten zehn Jahren etwa 50 Prozent unserer Flotte auf Elektrobetrieb" umstellen zu wollen.

Noch wird der ökologische Ehrgeiz aber von der Gegenwart untergraben. "Volkswagen war 2017 und 2018 der größte Klimasünder unter den Autoherstellern", behauptet Greenpeace in einem Bericht, der gerade rechtzeitig zur Messe erschien, und unterstellt dem Produzenten einen CO2-Ausstoß, der "über den jährlichen Treibhausgas-Emissionen von Australien" liege. Laut der Umweltschutz-Organisation sind allein die zwölf größten Autobauer, zu denen auch Daimler und BMW gehören, für neun Prozent der jährlichen Treibhausgas-Emissionen weltweit verantwortlich.

Noch ist eine Trendwende nicht erkennbar. In Deutschland, führt Kanzlerin Angela Merkel etwas verklausuliert auf der IAA aus, "sehen wir ja, dass wir heute zwar viel effizientere Technologien im individuellen Auto haben, aber dass seit 1990 keinerlei CO2-Reduktion in der Gesamtmenge des Verkehrs erreicht wurde." Und daran verdeutlicht sich ein ungelöster, wahrscheinlich sogar unlösbarer Konflikt für die hiesige Schlüsselindustrie.

Im Ernst: 85 Prozent der PKW müssten von der Straße

"Das Mehr an PKW-Verkehr hebt den Fortschritt auf", heißt es in einer Publikation des Umweltbundesamts (UBA) aus dem Mai dieses Jahres. Das einzelne Auto ist heute zwar im Schnitt schadstoffärmer. Weil insgesamt aber immer mehr davon auf den Straßen unterwegs sind, ist der Verkehr der einzige Sektor in Deutschland, in dem die klimaschädlichen Emissionen seit den 1990er Jahren nicht sinken, sondern sogar leicht steigen.

Für Baden-Württemberg, wo der Verkehr fast ein Drittel der klimaschädlichen Treibhausgase verursacht, liegt eine Untersuchung vor, die zu einem bemerkenswerten Ergebnis kommt: Elektroautos hin oder her – wenn das Land seine Klimaziele ernst nehmen wollte, müsste es die Zahl der verkehrenden PKWs bis 2050 um 85 Prozent reduzieren, heißt es in einer umfangreichen Studie der Baden-Württemberg-Stiftung. Das UBA kommt zu einem ähnlichen Befund, formuliert aber etwas subtiler, die "Umwelt- und Klimaentlastung im Personenverkehr" könne "letztlich nicht allein durch technische Verbesserungen am Fahrzeug erreicht werden", sondern "nur in Kombination mit Maßnahmen wie einer Erhöhung der Verkehrseffizienz oder einer veränderten Verkehrsmittelwahl". (Vermutlich wäre es aber auch für Grüne politischer Selbstmord, auf Basis dieser Erkenntnisse die entsprechend radikalen programmatischen Forderungen zu entwickeln.)

Nun wünscht sich der Verband der Automobilindustrie auf der IAA "anstelle einer Klimapolitik, die auf Verbote oder de-facto-Verbote setzt", das "Vertrauen von Politik und Gesellschaft", dass sie die "besten technischen Lösungen und die geeigneten Pfade zum klimaneutralen Verkehr finden". Wie wahrscheinlich aber ist es, dass die Autobauer, wenn man ihnen nur freie Hand lässt, daraufhin hinarbeiten, das PKW-Aufkommen in der Republik drastisch zu reduzieren?

"Wir haben SUVs, wir leben vom konventionellen Autogeschäft", räumte VW-Chef Diess aktuell in der taz ein. "Wir brauchen etwa 4 bis 5 Prozent Gewinnmarge, um Zukunftsinvestitionen überhaupt tätigen zu können." Und wenn sich die Fahrzeuge nicht verkaufen, "haben wir in unserem System keine Chance". Das große Geld wiederum verdient die Branche nicht mit Elektroautos, sondern insbesondere mit SUVs – davon wurden im vergangenen Jahr weltweit etwa 30 Millionen verkauft, sieben Prozent mehr als noch 2017. Weil die Klimakiller bei Kunden so beliebt sind, gab der Konzern, der sich nun um ein grünes Image bemüht, im Oktober 2018 bekannt: "Volkswagen treibt die größte SUV-Offensive der Unternehmensgeschichte weiter voran. Im Jahr 2025 wird voraussichtlich rund jeder zweite weltweit verkaufte Volkswagen Pkw ein SUV sein." Aktuell ist es nur etwa jeder Fünfte.

An der Autoindustrie zeigt sich exemplarisch: Ein Unternehmen kann nichts investieren – und ihm droht langfristig sogar der Untergang –, wenn es keine Gewinne einfährt. Deswegen muss nach den Grundsätzen betriebswirtschaftlicher Logik jeder Umweltschutz unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit stehen, um am Markt zu bestehen. Solange klimaschädliche Produkte lukrativer sind als umweltverträgliche, ist daher die Annahme illusorisch, ein Umsteuern könnte ohne ordnungspolitische Maßnahmen erfolgen. Aktuell aber wird die Zerstörung der menschlichen Lebensgrundlagen nach den Zahlen des Umweltbundesamts allein in Deutschland mit jährlich etwa 57 Milliarden Euro subventioniert. Mindestens, denn bei der genannten Summe handle es sich um "lediglich eine Untergrenze".

Warum werden umweltschädliche Subventionen nicht beendet?

Auf der IAA verweist die Kanzlerin darauf, dass auch die Elektromobilität aktuell noch "ein Entwurf für die Zukunft" sei, "denn wirklich klimafreundlich sind die Autos erst dann, wenn der Strom auch aus erneuerbaren Energien entsteht". Und damit insgesamt die Anreize "auch so gesetzt werden, dass dann die Technologieentwicklung in die richtige Richtung geht", müsse es "ein Element der Bepreisung" für CO2-Ausstoß geben – "weil wir ja auch das Verhalten der Bürgerinnen und Bürger in bestimmte Richtungen lenken wollen". Eine Gelegenheit, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen, bietet die Sitzung des Klimakabinetts am kommenden Freitag, dem 20. September. Ob's klappt? 

In einem deftigen Kommentar für die "Süddeutsche Zeitung" schreibt der Journalist Michael Baumüller, dass die Bundesregierung rein rhetorisch zwar auf der Höhe der Zeit angekommen sei: "Rein praktisch könnten ihre Bestrebungen in einem der größten Fälle von Wählerbetrug enden, die das Land bisher erlebt hat." Denn bei den bisher publik gewordenen Vorschlägen, die eigenen Klimaziele umzusetzen, handle es sich um einen "weitgehend nutzlosem, absurden Mix", um solche Maßnahmen also, die bloß niemandem weh tun sollen.

Ein viel weitreichenderer Schritt, der eigentlich längst überfällig erscheint, aber öffentlich kaum diskutiert wird, wäre es, umweltschädliche Subventionen einzustellen – etwa die Förderung des Flugverkehrs mit rund zwölf Milliarden pro Jahr, das Dieselprivileg oder Energiesteuerbegünstigungen. Bezüglich letzterem Phänomen bemängelte das Kieler Institut für Wirtschaftsforschung in einem Bericht vom März 2018: "Es handelt sich hierbei um eine Subventionierung gerade von Produktionsverfahren und -prozessen, die ausgesprochen umweltfeindlich sind bzw. besonders viel Energie verbrauchen (...). Im Grunde genommen führen diese Ausnahmen die gesamte betriebene Energie- und Umweltpolitik ad absurdum."

Für das UBA handelt es sich außerdem um eine heimliche Subvention, wenn die Nebenkosten fossiler Energiegewinnung nicht den Verursachern in Rechnung gestellt, sondern "stattdessen Staat und Gesellschaft aufgebürdet" werden. Etwa wenn die Allgemeinheit für die Kosten zerstörter Lebensgrundlagen aufkommen soll, welche durch die Einnahmen eines viel zu gering besteuerten CO2-Ausstoß nicht annähernd kompensiert werden. Kohle und Atom dürften daher nicht mehr gegenüber den Erneuerbaren Energien begünstigt werden, denn nur so hätten letztere "im Wettbewerb eine faire Chance und können sich im Markt durchsetzen".

Aber ist das wirklich vorstellbar? Dass die regierende Politik angesichts einer eskalierenden Klimakrise so verantwortungslos ist, allen Sonntagsreden zum Trotz die Zerstörung der Welt noch zu bezuschussen?

Zehn Millionen für die Weltverbrennung – pro Minute

Dazu eine kleine Anekdote aus Brüssel. 2013 wollte Günther Oettinger, damals in seiner Funktion als Energie-Kommissar, nachweisen, dass Europa erneuerbare Energien viel zu stark bezuschusst. Weil die zuständigen Beamten ihre Arbeit ordentlich erledigen wollten, schrieben sie der Vollständigkeit halber in einen ersten Entwurf, dass ein Großteil der Subventionen in der Energiewirtschaft Kohle- und Atomstrom zugute kommt. Wie sieht nun ein eleganter Umgang mit solch einem Befund aus? Ganz einfach, die Passage wurde ersatzlos gestrichen. Die "Süddeutsche Zeitung" erkundigte sich, was mit den Zahlen passiert ist. Es habe nie welche gegeben, lautete die Auskunft einer Sprecherin, "was eine bizarre Behauptung ist, weil der 'Süddeutschen Zeitung' zwei entsprechende Entwürfe vorliegen".

Global betrachtet ist der Wahnsinn noch viel größer. Laut einer Untersuchung des Internationalen Währungsfonds (IWF), der traditionell nicht im Verdacht steht, linksradikale Öko-Propaganda zu verbreiten, belief sich die Summe der umweltschädlichen Subventionen weltweit auf unvorstellbare 5,3 Billionen Dollar im Jahr 2015 (kein Übersetzungsfehler, im Englischen "$5,3 trillion"). Oder, um die Dimensionen etwas begreiflicher zu machen: gut zehn Millionen Dollar pro Minute. Und während Sie nun – liebe Leserin oder lieber Leser – diesen Satz, vielleicht stirnrunzelnd und womöglich etwas ungläubig, verarbeiten, ist erneut eine Summe in die Verbrennung der Welt geflossen, die, sofern Sie Ihren Reichtum nicht der Ausbeutung fremder Lohnarbeit zu verdanken haben, deutlich höher sein dürfte als ihr Einkommen in den nächsten paar Jahren.

Angesichts dieser Größenordnungen erscheint sehr fragwürdig, ob der öffentliche Diskurs die angemessenen Schwerpunkte setzt. Man darf gespannt sein, wie ausgiebig am kommenden Freitag, wenn die vereinten Klimaschutzbewegungen zum Generalstreik aufrufen, wieder einmal die Frage erörtert wird, wie legitim es ist, für ein politisches Anliegen die Schule – oder sogar die Arbeit! – zu schwänzen.

Alles auf Streik

In Guayama auf Porto Rico demonstrieren die „Fridays for Future“ (FfF) am 20. September ab 12 Uhr vor dem Rathaus, in Kingston auf Jamaica auch, in Inuvik Kanada ziehen sie durch die Stadt, auch in Ulaanbaatar in der Mongolei gehen Jugendliche fürs Klima auf die Straße, in Moskau, in Koszalin in Polen, im französischen Nantes, Zagreb, Prishtina, Lome in Togo, Khartoum im Sudan, Yokohama in Japan – weltweit rufen die FfF kommenden Freitag zur globalen Arbeitsverweigerung und zum Startschuss der „Global Climate Strike: Week for Future!“ auf.

Los geht's in den meisten deutschen Städte vormittags zwischen elf und halb zwölf – in Stuttgart beginnt der Streik um 11 Uhr 30 an drei Stellen in der Stadt, um 13 Uhr gibt's eine große Kundgebung auf dem Schlossplatz, von fünf bis halb sechs am Nachmittag gymnastiziert ein Yoga-Flashmob ebenda neun Sonnengrüße, um 18 Uhr 15 kommt das Peta Zwei Streetteam und informiert über Umweltzerstörung durch tierische Produkte. Am Samstag geht's weiter um 16 Uhr auf dem Pariser Platz mit dem Start der Aktionswoche Lampedusa Calling, „Kesselbambule“ schlägt seine Zelte fürs dreitägige Basis Camp vor dem Neuen Schloss auf und möchte die Stuttgarter Innenstadt übers Wochenende autofrei gestalten. Am Sonntag springen ihnen mit „Platz da!“ die Aktivisten von Fuss e.V., Greenpeace und die Radgruppe der Naturfreunde vom Feuersee bei.

Weitere Termine rund um Klima-Woche gibt es hier. (ana)


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4 Kommentare verfügbar

  • Monika Naggl
    am 19.09.2019
    Antworten
    Im Urlaub in Südfrankreich konnten wir den Treibhaus-Effekt, der unsere Erde unbewohnbar werden lässt, ganz wunderbar erleben, wenn wir von der Badestelle zurück zum Auto kamen, das auf einem Parkplatz in der Sonne stand. Ich empfehle daher als erste Maßnahme zur Konversion der Autoindustrie das…
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